Nachhaltigkeit mag zwar in aller Munde sein, doch wie ernst ist es Unternehmen mit ihrem Engagement für Umwelt und Soziales? Inwieweit Unternehmen die Mindestanforderungen an Nachhaltigkeitsmanagement  und -leistungen erfüllen, bewerten unabhängige Ratingagenturen.

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CSR-Ratings helfen dabei, die Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDGs) zu beurteilen, die im Rahmen der „Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung“ von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2015 verabschiedet wurden.

„Tue Gutes und rede darüber“ – so lautet eine Faustregel in der Öffentlichkeitsarbeit, die dem Zwecke dient, ein Unternehmen und sein Tun ins bestmögliche Licht zu rücken: wirtschaftlich versiert, sozial engagiert, ökologisch vorbildlich. Ob das die Allgemeinheit überzeugt, bleibt fraglich, denn der eigene Leumund kann ja viel behaupten … Anders tönt es, wenn sich externe Sachverständige ein Urteil bilden. Wo derzeit allerorten das Bewusstsein für die Verfügbarkeit von Ressourcen und sozial verträgliches Wirtschaften wächst, werden auch Unternehmen diesbezüglich immer kritischer unter die Lupe genommen. Nachhaltigkeitsratings bewerten den Umgang mit ökologischen und sozialen Herausforderungen. Das ist nicht nur entscheidend fürs Image, sondern auch von besonderem Interesse für aktuelle und potenzielle Investoren wie z.B. die Mitglieder des CRIC e.V. (Verein ethisch orientierter Investoren), die sich auf diese Weise über Nachhaltigkeitsaktivitäten informieren. Kapitalgeber erhalten gleichzeitig die Möglichkeit, ihre Anforderungen hinsichtlich nachhaltiger Unternehmensleistungen bei ihren Kapitalanlageentscheidungen zu berücksichtigen – Stichwort: Socially Responsible Investments (SRI). Aus globaler Sicht helfen die entsprechenden Berichte außerdem dabei, die Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDGs) zu beurteilen, die im Rahmen der „Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung“ von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2015 verabschiedet wurden. In 17 Zielformulierungen werden dabei die Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und Ungerechtigkeit sowie der Kampf gegen den Klimawandel bis 2030 adressiert. „Der langfristige Erfolg der Agenda 2030 hängt u.a. von entsprechenden Informationen und Reports ab, die sichtbar machen, wie Länder und Regionen und auch Unternehmen die Zielsetzungen in ihrer Arbeit umsetzen … Solche Maßnahmen unterstützen wir ausdrücklich“, so Paloma Durán, Director United Nations Sustainable Development Goals Fund, in ihrem Grußwort zum diesjährigen Jahresbericht der Ratingagentur oekom research.

Transparenz und Objektivität

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Durchschnittliche Bewertung der Unternehmen ausgewählter Branchen auf einer Skala von 0 bis 100 (Bestnote); Basis: GLCU; Stand: 31.12.2015. (Quelle: oekom research, 2016)

Die auch CSR-Ratings genannten Bewertungen werden in der Regel von Ratingagenturen – mitunter auch von entsprechenden Abteilungen in Banken – durchgeführt, die sich auf das Research zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten (ESG) spezialisiert haben und die v.a. börsennotierte Unternehmen nach ökologischen, sozialen und ethischen Kriterien bewerten. Ratingagenturen wie Imug (Institut für Markt-Umwelt-Gesellschaft), Inrate, oekom research, RobecoSAM und Sustainalytics stützen sich bei ihren Analysen auf Firmeninformationen wie Nachhaltigkeitsberichte oder Websites und befragen die Unternehmen selbst. Zusätzlich werden externe Quellen wie Datenbanken, wissenschaftliche Publikationen oder die Meinungen von z.B. Umwelt- oder Menschenrechtsorganisationen berücksichtigt. Aus allen Informationen zusammen werden dann Nachhaltigkeitsprofile und/ oder Ranglisten (CSR-Ratings) erstellt. Dabei können die Analysten je nach Zugang und eigenem Nachhaltigkeitsverständnis durchaus zu voneinander abweichenden Erkenntnissen gelangen, die nicht miteinander vergleichbar sind, weil bei der Beurteilung nachhaltigen Wirtschaftens unterschiedliche Maßstäbe – andere Kriterienkataloge und anders gewichtete Handlungsfelder – angelegt werden. Außerdem hat die Beurteilung unter Berücksichtigung der jeweiligen geographischen, regionalen, ökologischen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten zu erfolgen. Da sich zudem die Konzepte verfeinern, neue methodische Ansätze entstehen und Analysten nicht alles wissen können, haben Ratings nur eine beschränkte Aussagekraft und sind eher als Momentaufnahmen zu werten.

Kritiker fordern daher mehr Transparenz bei Fakten, Methoden und Resultaten, um die Agenturen deutlicher zu- und die Bewertungen besser einordnen zu können. Hilfestellung bietet das Handelsblatt, das mit der kostenlosen Publikation Handelsblatt Business Briefing zu nachhaltigen Investments regelmäßig die Ansätze von Ratingagenturen, Indexanbietern und Vermögensverwaltern vorstellt. Um mehr Transparenz und Qualität im Nachhaltigkeitsresearch zu sichern und die Weiterentwicklung von Qualitätsstandards für Nachhaltigkeitsratings zu fördern, wurde 2004 die Europäische Association for Independent Corporate Sustainability and Responsibility Research (AICSRR), inzwischen umbenannt zu Arista, gegründet. Der Verband zertifiziert Researchhäuser nach europäischen Qualitätsstandards. Dabei verpflichten sich die Ratingagenturen zu Prinzipien wie Unabhängigkeit, aktive Einbeziehung wichtiger Interessengruppen, Dialog mit Unternehmen, ethische Standards sowie Qualität hinsichtlich Umfang, Kriterien, Methoden und Aktualität der Untersuchungen.

Der Ratingprozess: Ablauf und Kriterien

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Sudanesische Frauen bergen die im Rahmen des World Food Programme (WFP) von Flugzeugen abgeworfenen Nahrungsmittel.

Wie Ratingagenturen Nachhaltigkeitsanalysen erstellen, zeigt das Beispiel oekom research. Seit 1993 sind die nach Arista zertifizierten Münchener auf die Bewertung von Unternehmen und Ländern spezialisiert und gehören zu den weltweit führenden unabhängigen Ratingagenturen im Bereich des nachhaltigen Investments. Über 3.700 Unternehmen aus 55 Branchen werden von oekom research nach den definierten Mindestanforderungen an das Nachhaltigkeitsmanagement analysiert. Dabei werden diejenigen Unternehmen aus der jeweiligen Branche identifiziert, die am besten mit Umweltschutz und sozialer Verantwortung umgehen und mit dem „oekom Prime Status“ ausgezeichnet. „Die Bewertung erfolgt nach einem ‚absoluten‘ Best-in-Class-Ansatz: Best-in-Class heißt bei Ratings üblicherweise: Die z.B. 20% besten Unternehmen einer Branche werden als Best-in-Class deklariert. Doch das reicht uns nicht, wir haben darüber hinaus branchenspezifische Mindeststandards definiert. Dabei gilt: Je höher die (potenziellen) negativen Auswirkungen einer Branche auf Umwelt, Mitarbeiter und Gesellschaft, desto höher legen wir die Latte. So müssen Unternehmen der Öl- und Gasbranche für ein ‚Prime‘ mindestens die Note B- erreichen, Banken reicht aktuell noch ein C“, erklärt Dieter Niewierra, Director Communications oekom research. Auf das Urteil der Analysten verlassen sich laut Unternehmensangaben mehr als 120 Finanzdienstleister, spezialisierte Ethikbanken und institutionelle Investoren wie Gesellschaften und Stiftungen bei der Auswahl von Wertpapieren für Publikumsfonds, Spezialfonds und Vermögensmandate. Auf der Kundenliste der Agentur finden sich u.a. Commerzbank, Deutsche Bank und Hypo Vereinsbank, Aktion Mensch, Barmenia Versicherungen, der Deutsche Caritasverband und der WWF International. Die für die Bewertung relevanten Informationen erheben die Mitarbeiter von oekom research sowohl bei den jeweiligen Unternehmen als auch bei unabhängigen Experten. Dabei wird nach eigenen Angaben während des Ratingprozesses großer Wert auf eine umfassende Kooperation gelegt. So erhalten die „Prüflinge“ regelmäßig die Möglichkeit, die Ergebnisse zu kommentieren und zu ergänzen. Nach der Bewertung dient ihnen der erstellte „oekom Corporate Rating Report“ als Bestandsaufnahme: „Die Nachhaltigkeitsratings der oekom research AG haben uns in den letzten Jahren wesentliche Hinweise auf Verbesserungsbereiche gegeben“, so Dr. Ignacio Campino, bis 2012 Beauftragter des Vorstandes Nachhaltigkeit bei der Deutschen Telekom AG.

Eine Win-win-Situation für Investoren, Anleger und Privatkunden, die auf der Suche nach einer nachhaltigen Kapitalanlage sind, und auch für das bewertete Unternehmen, das so die Möglichkeit erhält, seine soziale und ökologische Performance auf den Prüfstand zu stellen und externes Feedback einzuholen: „oekom research wurde von OMV als eine der Ratingagenturen ausgewählt, mit denen wir aktiv zusammenarbeiten. Der Grund ist, dass das Rating von oekom research ein im SRI-Bereich sehr anerkanntes Rating ist, darüber hinaus sind wir von der Transparenz und Objektivität des Ratingprozesses überzeugt. Dialog und Feedbackmechanismen funktionieren sehr gut“, sagt Simone Alaya, Stakeholder Management beim Ölund Gasversorger OMV. Das Rating diene so letztlich auch als Maßstab und Issue Management Tool, um die Ansprüche der Stakeholder kennenzulernen und etwaige Lücken zu schließen.

Die Beurteilung der sozialen und ökologischen Performance eines Unternehmens erfolgt anhand von über 100 branchenspezifisch ausgewählten Kriterien in den drei sozialen Bereichen „Mitarbeiter und Zulieferer“, „Gesellschaft und Produktverantwortung“ und „Corporate Governance und Wirtschaftsethik“ sowie den drei ökologischen Bereichen „Umweltmanagement“, „Produkte und Dienstleistungen“ und „Ökoeffizienz“. Alle Kriterien werden einzeln gewichtet und bewertet und schließlich zu einer Gesamtnote – von Dbis A+ (Bestnote) – zusammengefasst. Aus den Ergebnissen ergibt sich so eine Rangliste der untersuchten Unternehmen innerhalb einer Branche, die ein besonderes Engagement für eine nachhaltige Entwicklung zeigen. „Zum einen wollen wir den Unternehmen zeigen, was sie schon leisten, andererseits aber auch Erkenntnisse darüber liefern, wo noch mehr getan werden kann“, erläutert Niewierra. Zusätzlich zu diesem „Positiv-Screening“ wird ein ausführliches „Exclusion Screening“ durchgeführt, das sich mit ethisch kontroversen Geschäftsfeldern und -praktiken beschäftigt, darunter Abtreibung, Alkohol und Atomenergie, Embryonenforschung, Pelze, Pornografie und Rüstungsgüter, Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit und Tierversuche. Unterstützt wird die Arbeit der Analysten hierbei von internationalen Experten aus den Bereichen Nachhaltigkeit, Menschen- und Arbeitsrechte sowie Verbraucherschutz. Aber auch die bewerteten Unternehmen haben die Möglichkeit zur Stellungnahme. Niewierra: „Der Dialog ist uns hier besonders wichtig, wir wollen niemanden an den Pranger stellen, denn davon hat keiner was.“

Neben der Analyse großer börsennotierter Unternehmen nimmt oekom research auch das Potenzial kleiner und mittlerer börsennotierter Unternehmen – sogenannter small und mid caps – unter die Lupe, deren Produkte und Dienstleistungen einer nachhaltigen Entwicklung besonders förderlich sind. So identifiziert die Ratingagentur Unternehmen, z.B. aus den Branchen „Alternative Health“, „Sustainable Food“, „Recycling & Emissions Reduction“, die dank eines hohen Innovationspotenzials und zukunftsweisender Konzepte sowie Technologien oftmals zu einer lukrativen nachhaltigen Kapitalanlage werden.

Im Licht der Öffentlichkeit

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Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung von international tätigen Großunternehmen mit Sitz in den Industrieländern (GLCU) in %; Stand jeweils 31.12. des Jahres. (Quelle: oekom research, 2016)

Einmal im Jahr veröffentlicht oekom research den „oekom Corporate Responsibility Review“ zur Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung – eine Bestandsaufnahme, die dieses Jahr auch die Nachhaltigkeitsleistungen unter Berücksichtigung der UN Sustainable Development Goals betrachtet. Für die Analysen im Rahmen des Reviews wurden rund 1.600 international tätige Großunternehmen ausgewählt, die ihren Sitz in den Industrieländern haben. „Wenn wir die Entwicklungen der Nachhaltigkeitsbestrebungen der Unternehmen betrachten, ist noch viel Raum nach oben“, kommentiert Robert Haßler, CEO der oekom research AG, die Ergebnisse für das Jahr 2015. „Nach wie vor erfüllen nur etwas mehr als 16% der Un ternehmen weltweit unsere Mindestanforderungen an Nachhaltigkeitsmanagement und -leistungen und wurden daher in 2015 mit dem ‚oekom Prime Status‘ ausgezeichnet.“ Doch lasse sich ein langsamer Trend hin zu einer generellen Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistungen erkennen. So sei der Anteil der Unternehmen mit einer mittelmäßigen Nachhaltigkeitsperformance im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen, der Anteil von Unternehmen mit schlechter Performance leicht gesunken.

Die am besten bewertete Branche, so weitere Ergebnisse der Erhebung, ist der Bereich „Haushaltsprodukte & Kosmetik“, die Automobilindustrie belegt den zweiten Rang. Im Ländervergleich erreichten im letzten Jahr französische Unternehmen die meisten Top 3-Platzierungen, vor Großbritannien und Deutschland. Spitzenreiter bei Verstößen gegen die Prinzipien des UN Global Compact, der weltweit bedeutendsten Selbstverpflichtung von Unternehmen zu einer verantwortungsvollen Unternehmensführung, sind Ausrüster und Service-Unternehmen im Öl- und Gassektor, die auch am häufigsten in Korruptionsfälle verwickelt sind. Während in der Textilindustrie die Arbeitsrechtsverletzungen 2015 sogar zugenommen haben – jedes vierte Unternehmen weist einen entsprechenden Verstoß auf –, wurden Menschenrechtsverletzungen v.a. in der Metall- und Bergbaubranche festgestellt, bei internationalen Handelskonzernen sowie in der Öl- und Gasbranche.

Neben der Entwicklung in den Unternehmen beleuchtet der „Corporate Responsibility Review“, wie sich die Forderungen der 17 UN Sustainable Development Goals mit ihren insgesamt 169 Unterzielen in der Praxis des Unternehmensratings wiederfinden. Dabei werden unterschiedliche Aspekte der SDGs berücksichtigt, die unter den fünf Leitthemen Menschen, Erde, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft mit Themen wie Hungerbekämpfung, Gesundheit und Bildung, Klimawandel, Energie, Wasser, Beschäftigung, Produktion und Konsum zusammengefasst werden. „Wie der ‚oekom Corporate Responsibility Review‘ unterstreicht, können die SDGs in der Tat als Richtlinien für das Nachhaltigkeitsengagement verstanden werden. Analysen wie dieser Jahresbericht tragen dazu bei, hier aufzuklären und Engagement anzufeuern, um eine nachhaltigere Welt zu bauen“, urteilt Durán.

Und auch wenn die Fortschritte der Unternehmen – wie die Ratings zeigen – klein sind und das Bewusstsein für Umwelt- und Sozialaspekte nur langsam wächst, so ist doch die Chance gegeben, die Welt durch nachhaltiges Wirtschaften ein bisschen besser zu machen – frei nach dem Motto: „Tue Gutes, und mach’s noch besser!“ Und dann reden vielleicht auch andere darüber.

// Julia Kuschmann

Bildquelle: UN

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