Immer mehr Menschen bekennen sich aus ganz unterschiedlichen Beweggründen zum veganen Lifestyle. Um auch diese Zielgruppe adäquat ansprechen zu können, haben viele Lieferanten ihre Sortimente mit tierfreien Produkten aufgefrischt.

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Ein treuherzig in die Kamera blickendes Schwein – so endet der Clip über die Herstellung von Fruchtgummi, der derzeit im Netz für Furore sorgt. Mit einem geschickten Dreh, der das Produktionsverfahren von Fruchtgummi rückwärts zeigt, macht der belgische Sender VRT darauf aufmerksam, dass tierische Gelatine in Fruchtgummiprodukten verarbeitet wird. Obwohl der Erkenntnisgewinn nicht so ganz neu ist, treffen die Macher offenbar den Nerv der Online-Gemeinde. Nur eine Woche nach Veröffentlichung wurde das Video bereits rund 786.000 Mal angeklickt, schlechtes Gewissen inklusive.

Das große Interesse an dem Film verwundert nicht in einer Zeit, da bewusste Ernährung immer mehr zur persönlichen wie gesellschaftlichen Verpflichtung zu werden scheint. Ganz oben auf dem Prüfstand: der Fleischkonsum. Den einen gilt Fleisch als wertvoller Nährstofflieferant, als letztes Glied der Nahrungskette und unverzichtbarer Bestandteil genussvoller Dinners oder geselliger Barbecue-Partys. Die anderen sehen das Leid der Tiere und weisen darauf hin, dass der übermäßige Verzehr tierischer Proteine in Verdacht steht, Volkskrankheiten wie Diabetes oder Krebs zu befördern.

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„Alle Kunden mit den für sie passenden Produkten bedienen“ – Fruchtgummi von Kalfany Süße Werbung ohne tierische Gelatine.

Tatsache ist: Offenbar ernähren sich immer mehr Menschen in Deutschland fleischlos. Laut einer Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD) ist die Zahl der Vegetarier hierzulande von 2009 bis 2014 um 1,5 Mio. auf 7,75 Mio. (rund 9,5% der Bevölkerung) gewachsen. Stetig größer wird auch die Zahl derer, denen der Verzicht auf Kalbsleberwurst und Hähnchenkeulen nicht reicht, sondern die sich ganz und gar einem veganen Lebensstil verschrieben haben, die weder Fisch noch Fleisch essen, aber auch keine anderen tierischen Produkte wie Eier, Milch oder Honig zu sich nehmen, die darauf achten, dass ihre Jacken nicht mit Daunenfedern gefüttert sind, die die Einnahme von Medikamenten verweigern, welche zuvor an Tieren getestet worden sind, die keinen Wein trinken, dessen Trauben nach der Lese von Eseln transportiert wurden, und die nur Parfüm an ihre Haut lassen, das ohne den moschusartigen Duftstoff der Zibetkatze hergestellt wurde. Klingt auch heute noch recht abgedreht? Entspricht aber den Konsumgewohnheiten von ca. 900.000 Menschen in Deutschland, wie der VEBU (Vegetarierbund Deutschland e.V.) angibt.

Mal eben kurz die Welt retten

Bis vor nicht allzu langer Zeit galten Veganer noch als moralinsaure Spinner – dieses Bild hat sich gewandelt. Mehr und mehr sind sie im Mainstream angekommen, Prominente von Stromberg-Darsteller Christoph Maria Herbst über Fanta 4-Frontmann Thomas D bekennen sich zur veganen Ernährungsweise, in nahezu jeder größeren Stadt gibt es mehrere vegane Restaurants, Kochbücher wie die von Attila Hildmann preisen den Veganismus als „sexy Alternative“ und erreichen damit Bestsellerauflagen. Ob in den Supermärkten, auf Events und Festivals oder manchmal sogar vor dem Fußballstadion – überall gibt es vegane Alternativprodukte zu Bratwurst & Co. Zeichen dafür, dass die Bedürfnisse der veganen Zielgruppe zunehmend ernst genommen werden, und sich ein Markt rund um diese Lebensart entwickelt. 2014 betrag der Gesamtumsatz von Fleischalternativen und pflanzlichen Brotaufstrichen einer Untersuchung der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) zufolge 213 Mio. Euro – 73% mehr als im Jahr zuvor.

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Beerenwachs statt Bienenwachs. Die Nachfrage nach veganen Kosmetikprodukten wie diesem Lippenpflegestift von KHK ist deutlich gestiegen.

Je größer die Zielgruppe wird, desto unterschiedlicher sind ihre Beweggründe, sich dem veganen Lifestyle anzupassen. Natürlich spielen ethische Einstellungen, aber auch Motive wie Selbstoptimierung, Fitness und Gesundheit eine wesentliche Rolle, auch der Umweltschutz ist ein wichtiger Beweggrund. Zwar gibt es böse Zungen, die behaupten, dass der verstärkte Tofu-Konsum hierzulande dazu führe, mehr Soja-Plantagen anzulegen, für die große Flächen an Regenwald gerodet werden müssten. Doch das ist Quatsch: 98% des weltweit angebauten Sojas werden zur Tierfütterung verwendet und nicht zur Herstellung von Tofuwürstchen. Zweifellos hat die Tierwirtschaft gravierendere Folgen für die Ökosysteme. Umweltschützer rechnen vor, dass für die Produktion von 1 kg Fleisch rund 15.500 l Wasser, für 1 kg Butter 5.500 l Wasser, für 1 l Milch 1.000 l Wasser benötigt würden, dagegen für 1 kg Salat, Tomaten oder Kartoffeln nur zwischen 200 und 300 l Wasser. Einer Anfang 2016 veröffentlichten Studie der Oxford University zufolge könnte die Umstellung auf vegane Ernährung sogar das Klima retten. Die Forscher kommen jedenfalls zu dem Schluss, dass eine Welt, in der jeder Mensch vegan leben würde, die Treibhausgasemissionen um 70% senken würde.

Auch wenn das nicht mehr ist als eine utopische Zahlenspielerei – es zeigt, warum das Thema Veganismus Einzug in die Debatte über Nachhaltigkeit erhält. Bei der Zielgruppe gibt es ohnehin Überschneidungen. Wer sich vegan ernährt – oft jüngere, gut gebildete Menschen in städtischen Ballungsgebieten – hat in aller Regel auch den Anspruch, nachhaltig einzukaufen, und bringt Interesse an Umweltthemen und sozialer Gerechtigkeit mit. Für Unternehmen ist diese Klientel durchaus spannend: Sie ist jung, kaufkräftig, bereit für ihren Lifestyle Geld auszugeben und kommunikativ. Allerdings: Sie ist auch sehr kritisch und dementsprechend sensibel anzusprechen. Kaum vorstellbar, dass sich ein Veganer freut, wenn er auf einem Event eine Minisalami erhält oder mit einem Lederarmband als Giveaway umworben wird.

Tierfreie Werbung

Viele Anbieter haptischer Werbung haben ihre Produktprogramme daher umgestellt oder erweitert. Kalfany Süße Werbung z.B. bietet ebenso wie Markenpartner Katjes neben herkömmlichen Fruchtgummispezialitäten auch veganes Fruchtgummi an, bei dem die Gelatine durch Apfelpektin oder Gummi Arabicum ersetzt wird. „Individualität setzt sich bei Verbrauchern und Kunden mit Interesse an Spezialitäten durch. Wir bedienen alle Kunden mit den für sie passenden Produkten in zertifizierter Herstellung“, erklärt Klaus Richter, stellvertretender Geschäftsführer von Kalfany Süße Werbung die Sortimentserweiterung. Vegetarische Fruchtgummisorten führen die Herbolzheimer schon seit 15 Jahren im Programm, eine interne Neudefinition des Begriffes „vegan“ habe aber, so Richter, dazu geführt, dass die Produkte nochmal überarbeitet worden seien: „Unsere Produkte sind nicht nur ohne tierische Inhaltsstoffe, sondern auch ohne Zuhilfenahme tierischer Erzeugnisse hergestellt.“ Dass die Rohstoffe und die Prozesskosten dadurch höher sind als bei herkömmlichem Fruchtgummi, schrecke Unternehmen im Premium-Marken- oder Gesundheitsbereich nicht ab, betont Richter.

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„Über kurz oder lang werden Tierhaarpinsel aussterben“: Barbara Hofmann hat weite Teile des Sortiments auf Kunsthaar umgestellt.

Auch Carolin Haverkamp, Key Account-Managerin beim Kölner Lippenpflegespezialisten KHK, hat eine verstärkte Nachfrage nach veganen Produkten seit dem zweiten Halbjahr 2015 festgestellt. Das Unternehmen bietet seit Beginn des letzten Jahres als eines der ersten eine vegane Naturrezeptur an, bei der der in Lippenpflegestiften normalerweise verwendete Bienenwachs durch Beerenwachs ersetzt wurde. „Das Beerenwachs hat ähnliche Eigenschaften, sodass die Lippenpflege beim Auftragen gleich zu handhaben ist“, betont Haverkamp. „Die Rezeptur eignet sich insbesondere für Unternehmen, die großen Wert auf eine hohe Qualität legen und auch auf Nachhaltigkeit achten. Ob 5 Sterne-Alpen-Wellnesshotel, Sportartikelhersteller, Pharmaunternehmen, Zahnärzte und Kliniken oder der Bioladen um die Ecke – sie alle nutzen das Trend-Thema Veganismus für ihre positive Imagebildung.“ Um dem Anwender und Empfänger zusätzlich mittels eines Siegels aufzeigen zu können, dass das Produkt vegan ist, ist KHK mit dem Artikel bei der Vegan Society registriert und kann mit der „Vegan-Blume“ der Organisation werben.

Ähnlich handhabt es Kosmetikpinselhersteller Barbara Hofmann, dessen vegane Pinsel ebenfalls mit dem Logo der Vegan Society beworben werden. Rund vier Fünftel des Sortiments sind mittlerweile von Tierhaar- auf Kunsthaarpinsel umgestellt worden. „Das entspricht unserer Philosophie“, so Geschäftsführer Michael Thamm. „Wir achten auf Nachhaltigkeit, Sozial- und Gesundheitsverträglichkeit.“ Viele der verwendeten Hölzer sind FSC-zertifiziert, die Produkte dermatologisch getestet, die Zulieferer Mitglied im BSCI. Begonnen hat die Umstellung schon vor längerer Zeit, nicht zuletzt um Tierhaarallergikern eine gute Alternative anbieten zu können, inzwischen ist die Nachfrage nach explizit veganen Produkten stetig gestiegen. „Es gibt keine Produktnachteile mehr. Die Synthetikspitzen der Kunsthaarpinsel sind ebenso fein wie das sonst verwendete Ziegenhaar. Die Produkte sind auch nicht teurer. Über kurz oder lang werden Tierhaarpinsel aussterben“, mutmaßt Thamm.

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Zielgruppen nicht verlieren: NBL Vitolo bietet Ligneah®- Produkte als Alternative zu Lederartikeln.

Das gilt für Lederprodukte sicher nicht in gleichem Maße. Dennoch hat NBL Vitolo, ein italienischer Spezialist für Businessaccessoires aus Leder, auf den boomenden „Vegan Style“ reagiert und eine Kollektion von Ligneah®-Produkten aus hauchdünnem, lasergeschnittenen Holz ins Programm aufgenommen, das über lederähnliche Optik und Eigenschaften verfügt. „Wir kommunizieren die Kollektion bewusst als umweltfreundlich und vegan. Auch bei uns Italien gewinnt der vegane Lifestyle immer mehr an Bedeutung. Weder wir noch die werbenden Unternehmen wollen diese Zielgruppe verlieren. Allerdings sind die Produkte nicht billig, und nicht jedes Unternehmen ist bereit, für sie entsprechend zu zahlen.“ Wie jede Form nachhaltigen Wirtschaftens ist die Umstellung auf vegane Herstellungsweisen zunächst kostenintensiv. Aber es kann sich lohnen: Die Zielgruppe und der Markt sind da, und darüber hinaus hätten viele Schweine endlich allen Grund, treuherzig zu gucken.

// Mischa Delbrouck

Bildquelle: Barbara Hofmann, Kalfany Süße Werbung, KHK, NBL Vitolo, Veganz

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