China ist nicht nur eine der führenden Wirtschaftsmächte, sondern auch weiterhin unangefochten die Nr. 1 für den Werbeartikel-Import. Dabei ist das Land schon lange kein Billig-Eldorado mehr, und im Zuge eines immer schnelleren Markttempos werden lange Lieferzeiten zum Problem. Trotzdem gibt es gute Gründe, am Standort China festzuhalten.

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Es ist das größte wirtschaftliche Investitionsprojekt seit dem Marshall-Plan, nur ist die Investitionssumme um ein Vielfaches höher: Unter dem in diesen Tagen vielgehörten Schlagwort „One Belt, one Road“ baut China eine neue Seidenstraße. Von Zentralasien bis Europa entstehen entlang der alten Handelsroute Eisenbahnstrecken, Autobahnen und Pipelines. Gleichzeitig stößt China mit der „maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“ auf die Weltmeere vor und errichtet ein Netzwerk von Häfen, Kanälen, Straßen und Schienenwegen. Gesamtvolumen des Konjunkturprogramms: rund 900 Mrd. Dollar – zum Vergleich: Im Rahmen des Marshall-Plans flossen rund 13 Mrd. (das wären heute etwa 129 Mrd.) Dollar. Das gigantische und vieldiskutierte Projekt verdeutlicht auf eindrucksvolle Weise Chinas Metamorphose vom Schwellenland zur Weltmacht – und die Rolle, die es im globalisierten Handel spielt und zukünftig zu spielen gedenkt. Schätzungen zufolge exportiert China jährlich Waren im Wert von 2.000 Mrd. Dollar. Dennoch hat das Riesenreich gigantische Überkapazitäten aufgebaut – Bauunternehmen, Stahlkonzerne und andere Architekten des chinesischen Wachstums stehen unter Druck und drängen darauf, ihre Produkte und Dienstleistungen in internationalen Märkten zu verkaufen. Gleichzeitig wandelt China seit Jahren seine Industrien um – es will nicht mehr „Werkbank der Welt“ für Billigprodukte sein. Die sollen woanders hergestellt werden – in Ländern, an die China wiederum Infrastruktur, Energieträger und Rohstoffe liefern kann.

Im Perlflussdelta etwa fokussiert man sich auf „Sunrise Industries“ wie Elektronik und Hightech. Schon jetzt mischen chinesische Firmen hier z.T. ganz vorne mit. Die Zwölf-Millionen-Stadt Shenzhen, eines der Zentren für die weltweite Elektronik- und Computerindustrie, wird bereits als „neues Silicon Valley“ gehandelt. Schon vor der Krise verordnete die Regierung hier einen Strukturwandel, strich Herstellern von Spielwaren oder Bekleidung Steuervorteile, erhöhte die Mindestlöhne und verschärfte Umweltschutzvorschriften. „China will die Produktionszweige, die viel Handarbeit erfordern, nicht mehr und orientiert sich vermehrt in Richtung Digitalisierung, Highend-Produkte oder Robotik“, so Kaspar Benz, Geschäftsführer der Schweizer Werbeartikelagentur Pandinavia. Die Vorreiterschaft Chinas im digitalen Bereich zeichnet sich bereits jetzt in der Werbeartikelbranche ab und stellt Importeure vor ganz neue Herausforderungen, wie Ralf Dickopf, Geschäftsführer von mcs promotion, berichtet: „Immer mehr Produkte haben eine digitale Schnittstelle – Stichwort: Internet der Dinge. Man nehme z.B. das Trendprodukt Fitnesstracker. Der Import eines solchen Armbandes wirft eine Vielzahl von Fragen auf: Wo und von wem wird die dazugehörige App entwickelt, wo werden die Nutzerdaten gespeichert? Welchen Einfluss haben meine Kunden auf die Entwicklung der App? Wer hält die erforderlichen Updates nach? Ist das Ganze mit allen erforderlichen Softwareanwendungen kompatibel? Dies ist nicht ernsthaft an unsere Kunden zu verkaufen. Um wirklich sicherzugehen, müsste ich im Vorfeld eine eigene App entwickeln und diese dann dem Produzenten des Armbands zur Verfügung stellen. Ein solcher Prozess ist natürlich wesentlich komplexer als der Import ‚normaler‘ Produkte.“

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„Sunrise Industries“: Shenzhen, Zentrum der Elektronik- und Computerindustrie, wird bereits als „neues Silicon Valley“ gehandelt.

Fokus auf den Binnenmarkt

Doch vollzieht sich im „analogen“ Bereich ebenfalls ein Wandel – vorbei sind die Zeiten, als chinesische Fertigung gleichzusetzen war mit schlecht gemachten Kopien: „‚Made in China‘ ist immer noch negativ behaftet – zu Unrecht“, meint Stef van der Velde, CEO des niederländischen Importeurs Giving Europe. „Die Produktqualität in China ist inzwischen gut, v.a. im Vergleich zu anderen Produktionsländern wie Indien, Vietnam oder auch der Türkei.“ Auch, was eigene Entwurfsleistungen angeht, hat sich viel getan, wie Dickopf berichtet: „China ist inzwischen sehr weit vorne, was Design angeht. Viele Produkte, die man heute auf den Fernost-Messen sieht, sind verkaufsfertig, inklusive hochwertiger Verpackungen. Die Hong Kong- Messen bieten zudem aktuelle Trends in einer Bandbreite, die selbst die PSI-Messe übersteigt.“ Viele angestammte Produktionsbetriebe für Waren verschiedenster Art – von Haushaltsartikeln über Kleidung bis hin zu Outdoor- und Reiseaccessoires – orientieren sich in Richtung profitablerer Geschäftsmodelle für ihre Produkte. „Es gibt keine bessere Lösung für Unternehmen, als den Schwerpunkt vom ‚Original Equipment Manufacturer‘ zum ‚Original Design‘ und ‚Original Brand Manufacturer‘ zu verlagern”, wie es Benson Pau, Chairman der Hong Kong Exporters‘ Association (HKEA) unlängst formulierte. Vertrieben werden diese Produkte inzwischen zu großen Anteilen im eigenen Land – dort ist im Zuge eines in vielen Regionen gestiegenen Lebensstandards ein riesiger Binnenmarkt entstanden, und die chinesische Führung hat großes Interesse, diesen weiter aufzubauen. Noch auf dem Volkskongress im März d.J. sagte Regierungschef Li Keqiang, die enorme heimische Nachfrage müsse ausgeweitet werden.

Für den eigenen Markt zu produzieren ist für die chinesischen Hersteller durchaus interessant, weil unkompliziert, wie Benz verdeutlicht: „Es kommt durchaus vor, dass Lieferanten sich in Richtung Binnenmarkt orientieren, denn dieser bietet größere Stückzahlen und gleichzeitig weniger Stress, weil die gesetzlichen Auflagen weniger streng sind.“ Dennoch bleibt der Export für viele attraktiv – allein die Umsatzzahlen des Sourcing-Portals Alibaba sprechen Bände: So meldete das Unternehmen im ersten Quartal 2017 ein Umsatzplus von 60%. „Es stimmt, dass in China ein riesiger Binnenmarkt entsteht, aber viele Produzenten sind immer noch sehr exportorientiert – es gibt einfach viele Anreize“, urteilt Mike Oxley, CEO des britischen Unternehmens Lesmar. „Eine Exportbremse hat sich bereits vor einigen Jahren abgezeichnet, und einige Marktplayer haben Probleme bekommen“, ergänzt Dickopf. „Diese Probleme haben sich jedoch zumindest aus unserer Sicht nicht fortgesetzt – im Gegenteil: Die Menge der chinesischen Unternehmen, die die von unserem Markt geforderten Zertifizierungen vorweisen können, nimmt exponentiell zu und liegt weit über meinen Erwartungen – das ist ein starkes Indiz dafür, dass es sehr wohl noch Unternehmen gibt, die bereit sind, in unseren schwierigen, weil anspruchsvollen, Markt zu gehen.“

Die Preiskurve geht nach oben

Jedoch: Die Feststellung, dass die Zeiten des „Billig-China“ vorbei sind, ist inzwischen ein alter Hut. Seit Jahren steigen die Preise aufgrund der sozio-ökonomischen Umbrüche im Reich der Mitte kontinuierlich an. „Die Preise gehen immer weiter nach oben, und es gibt nur eine Richtung“, meint Benz. „Das betrifft alle Produktgruppen, aber insbesondere diejenigen Produkte, die arbeitsintensiv sind und viele Arbeitsschritte erfordern, wie z.B. Taschen.“ Valentina Circo, CEO des italienischen Unternehmens CIPI, ergänzt: „Die Hauptfaktoren, die das Importbusiness beeinflussen, sind die steigenden Lohnkosten – diese haben Auswirkungen auf die Preise – und die strengeren Arbeitsgesetze, die sowohl die Lieferzeiten als auch die Preise beeinflussen. Beides war ebenso voraussehbar, wie es mit Blick auf das große Ganze wünschenswert ist.” Denn natürlich sind bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie ein höherer Lebensstandard im Sinne aller, die ethisch vertretbare Produktion und mehr unternehmerische Verantwortung fordern. Gleichwohl: Bislang kommt nur ein geringer Teil der chinesischen Bevölkerung überhaupt in den Genuss eines besseren Lebens, wie Circo verdeutlicht: „Es gibt zwei Arten von Arbeitnehmern – die ‚White Collars‘, also die Angestellten, und die ‚Manpower‘, also die Arbeiter. Viele Angestellte gründen nach einer Lernphase ihr eigenes Handelsunternehmen. Das Fundament für Chinas Wirtschaft bilden immer noch die Arbeiter, genauer gesagt die Wanderarbeiter aus den ländlichen Regionen. Aber es scheint, als reichten all diese Arbeitskräfte nicht aus, um ein Abwandern der Produktion in Drittländer zu verhindern.”

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Weg von Billigprodukten: Spielzeugfabrik in Guangdong.

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Hin zu Hightech: Drohnen des chinesischen Herstellers DJI.

Arbeitsmarkt im Wandel

Denn dort, wo der Lebensstandard steigt, neue Beschäftigungsfelder etwa im Dienstleistungssektor entstehen und mehr Menschen als zuvor Zugang zu höherer Bildung erhalten, haben insbesondere junge Nachwuchskräfte keine Lust mehr, am Fließband zu sitzen. „Bei einem unserer Partner, einem Plüschlieferanten, sind fast alle Mitarbeiter über 50 Jahre alt. Da stellt sich schon die Frage, wie es weitergehen soll“, berichtet Benz. Der Mangel an ungelernten Arbeitskräften führt zusammen mit steigenden Lohnkosten und dem von der Regierung verordneten Strukturwandel dazu, dass Produktionszentren verlagert werden – ein Trend, der sich seit Jahren beobachten lässt: „Viele Firmen, die in Küstennähe sitzen, haben ihre Produktion in Wirklichkeit anderswo. Dabei wird auch aktiv ins Ausland geschaut – z.B. auf Vietnam, wo es eine große chinesischstämmige Bevölkerung gibt. Wenn man in China ins Landesinnere reist, sieht man, wie überall neue Wirtschafts- und Produktionszentren entstehen“, berichtet Benz. „Aber das ist für uns nur bedingt eine Option – die Nähe zu den Häfen ist aus Zeitgründen entscheidend.“ „Die Verlagerung in entferntere Provinzen, wie z.B. Yunnan, Hebei oder Hunan, schreitet fort“, ergänzt Oxley. „Das ist gerade für Schnellschüsse, wie sie in unserer Branche häufig sind, natürlich schlecht. Wir haben uns an insgesamt längere Lieferzeiten gewöhnt – sie sind der neue Normalzustand. Gleichzeitig sind wir viel wählerischer und vorsichtiger geworden, was die Bezugsquellen angeht – wir prüfen im Vorfeld genau, ob ein Lieferant einen Zeitrahmen einhalten kann, und versuchen stets, weitere Fabriken in der Hinterhand zu haben.“

Die in den küstennahen Regionen verbliebenen Fabrikbesitzer sind ihrerseits erfindungsreich, wenn es darum geht, mit den Umbrüchen im Arbeitsmarkt Schritt zu halten. „Vor ein paar Jahren war die Abwanderung von Arbeitskräften ein großes Problem, v.a. dann, wenn Fabriken extrem schnell gewachsen sind. Chinesische Hersteller sind jedoch gut darin, wettbewerbsfähig zu bleiben, und wissen, wo sie sich zusätzliche Arbeitskräfte besorgen können – etwa, indem sie sie in anderen Teilen des Landes abholen“, so Oxley. „Hinzu kommt ein steigender Grad an Automation in chinesischen Fabriken – was früher ausschließlich Handarbeit war, erledigen zunehmend auch Maschinen.“ „Manche setzen z.T. auf neue Materialien, um Kosten, die durch höhere Löhne entstehen, durch geringere Rohstoffkosten zu kompensieren. Einer unserer Produktionspartner bietet jetzt z.B. Beachbags aus Stroh an“, berichtet Benz. „Darüber hinaus sind die Produzenten einfach gezwungen, gute Chefs zu sein und ihre Mitarbeiter gut zu behandeln – das ist an sich sehr positiv und unterm Strich das, was alle wollen.“

Dauerthema Nachhaltigkeit

Zuallererst will das der Anwender – zumindest auf dem Papier. „Corporate Social Responsibility ist seit Jahren ein heißes Thema”, so Circo. „Die Kunden fragen heute nicht nur nach Produktsicherheit und -konformität, sondern auch nach Compliance und Lieferketten-Tracking.” Forderungen, die an den Markt in China herangetragen und dort auch gehört werden – zumindest, was die Beschaffung von Bescheinigungen oder Mitgliedsurkunden angeht. „Die Zahl der Fabriken, die BSCI- oder Sedex-Mitglied oder sogar beides sind, nimmt kontinuierlich zu. Das stimmt mich zuversichtlich – aus ethischer Sicht, aber auch, weil es ein Indiz für Professionalität und Seriosität ist. Trotzdem bleibt es essenziell, ein Auge auf die Prozesse vor Ort zu werfen“, so Oxley. „Viele Fabriken haben zwar Exportlizenzen, arbeiten jedoch gleichzeitig als Agenten für andere, nicht lizensierte Produzenten, andere absolvieren Audits als ‚Pflichtübung‘, halten die erforderlichen Verbesserungsprozesse jedoch nicht nach. Hinzu kommen weitere Punkte, die es abzufragen gilt, wie Kapazität, Qualität, Geschäftspapiere oder Zahlungsziele. All das kontrollieren wir sorgfältig.“ Van der Velde meint: „Es stimmt, dass in China langsam, aber kontinuierlich Fortschritte stattfinden, was die Arbeitsbedingungen angeht. Um jedoch wirklich sicherzugehen, muss man alles mit eigenen Augen prüfen – das kostet viel Geld und bringt längere Lieferzeiten mit sich. Wer trotz dieses hohen Aufwands weiterhin schnell liefern kann, macht irgendwo etwas nicht gründlich genug. Leider gibt es dafür im Markt zu wenig Bewusstsein, denn ein Großteil der Importeure und Wiederverkäufer hält sich nicht an die Regeln oder verfügt schlichtweg nicht über die nötigen Ressourcen. Am Ende bürgen wir als Importeure für das, was in den Bescheinigungen steht – da können wir uns nicht allein auf den Gesetzgeber verlassen, sondern müssen mitarbeiten.“ Allein schon deshalb, weil sich die gesetzlichen Auflagen ständig ändern, wie van der Velde weiter ausführt: „Die EU aktualisiert ihre Vorgaben auf wöchentlicher Basis. Wir beschäftigen vier Mitarbeiter, die sich allein mit Normen und Gesetzen beschäftigen – wie soll ein chinesischer Betrieb da mithalten? Was wir brauchen, ist mehr Austausch zwischen der EU-Legislative und der chinesischen Regierung.“

Kleine Schritte

Nicht, dass der chinesische Gesetzgeber untätig wäre – die Auflagen der chinesischen Regierung werden durchaus strenger, auch in Sachen Umweltschutz. „Es passiert immer wieder, dass die chinesische Regierung neue Umweltauflagen kurzfristig durchdrückt“, berichtet Marcin Pawłowski, badge4u. „Ich weiß von einigen Zulieferern für Metallbleche, die kürzlich schließen mussten, weil sie eine spezielle Maschine zur Emissionsreduzierung nicht kurzfristig anschaffen konnten. Das sorgt dann z.T. für längere Lieferzeiten oder Engpässe. Aber generell ist es natürlich positiv, wenn in China der Umweltschutz vorangetrieben wird, denn die Umweltbelastung ist in vielen Regionen des Landes gravierend.“ Auch in anderen Bereichen schaut Peking inzwischen genauer hin, wie Oxley anführt: „Die Zollkontrollen sind viel strikter und gewissenhafter geworden. Den Zollbehörden ist ihre Rolle für die Reputation Chinas sehr bewusst, und sie achten inzwischen meist peinlich genau auf Trademarks und die Einhaltung von Bestimmungen und Gesetzen.“ Das sind natürlich kleine Schritte, doch tragen sie gemeinsam mit der steigenden Professionalisierung des Exportmarktes dazu bei, dass ein Großteil der Importeure nach wie vor gern in China operiert. „Der gesamte Sourcing-Prozess ist reifer geworden“, so Oxley. „Man findet heute mehr zuverlässige und professionelle Produzenten als noch vor einigen Jahren. Auch die Qualität auf den Messen wird immer besser, insbesondere in Hong Kong.“ „Es ist relativ einfach, mit chinesischen Produzenten zu arbeiten“, fügt Benz hinzu. „Sie sind am Business und an guten Partnerschaften interessiert und sehr lösungsorientiert. Es geht dabei immer um die Sache und wird nie persönlich, man zerstreitet sich sehr selten mit einem Produktionsunternehmen. Da sind die Probleme in anderen Ländern ungleich höher.“

Beziehungsarbeit

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Trotz strengerer Auflagen kämpfen viele Regionen Chinas mit massiver Umweltverschmutzung.

Es ist eine Binsenweisheit im Importgeschäft, dass enge Beziehungen zu den Produzenten das A und O für erfolgreiche Projekte sind – Beziehungen, die so mancher über Jahre ausgebaut und gepflegt hat. „Partnerschaften und enge Zusammenarbeit sind enorm wichtig, dazu gehört auch der Face-to-Face-Kontakt. V.a. bei Sonderanfertigungen gehen oft mehrere Meetings voraus – nicht selten zum Essen –, bevor alle Eckpunkte abgeklärt sind und ein Auftrag in Produktion gehen kann“, so Pawłowski. „Mit Unternehmen, die man nicht gut kennt, kann schnell etwas schiefgehen. Es kam vor, dass ein neuer Kontakt zunächst gute Muster, beim fertigen Produkt jedoch eine abweichende Qualität geliefert hat. Wir wechseln nicht einfach einen Supplier, bloß weil ein anderer preiswerter ist. Zuverlässigkeit ist wichtiger als der Preis, das haben wir in der Vergangenheit gelernt.“ Deshalb sehen selbst Profis davon ab, die jahrzehntelang ausgebauten Wege zu verlassen, bloß um bei der Marge nachzubessern. Es lohnt sich in vielen Fällen, höhere Kosten in Kauf zu nehmen und in den angestammten Produktionsregionen zu verweilen. „Für uns ist es weder notwendig noch möglich, aus China wegzugehen“, stellt Pawłowski klar. „Es gibt zu viele Unwägbarkeiten in anderen Ländern – was die Arbeitsbedingungen angeht, aber auch die Verlässlichkeit: Vor einem Jahr z.B. habe ich auf der drupa einen indischen Lieferanten kennengelernt – von dem habe ich bis heute auf meine Anfrage kein Angebot erhalten.“ Oxley: „Auch wir blicken über den Tellerrand, aber neu entstehende Produktionszentren wie Bangladesch, Myanmar oder Vietnam bringen eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich. Deshalb lautet die Conclusio: Ja, es findet eine Abwanderung statt, aber sehr vieles bleibt in China, und auch wir werden trotz der steigenden Kosten weiterhin von dort importieren.“ „Die Formel ist einfach: Wenn es möglichst billig sein soll, wird weiter abgewandert“, präzisiert Benz. „Wenn jedoch der Kunde höhere Preise akzeptiert, sehe ich keinen Grund, aus China fortzugehen, erst recht nicht mit Blick auf die positiven Fortschritte, die dort aus ethischer Sicht stattgefunden haben. Wir sind bis auf weiteres in China gut bedient.”

Keine Preisdiskussionen mehr

Es ist nicht verwunderlich, wenn Importeure, die ihren Job ernst nehmen, sich weigern, der Preisdiskussion weiter nachzugeben und statt dessen ein Umdenken fordern – zuallererst bei den Anwendern. Van der Velde: „Irgendwann ist das Limit erreicht, und es geht nicht mehr billiger. Es ist an der Zeit, dass der Markt ein gewisses Preisniveau akzeptiert – das übrigens vielfach noch immer zu niedrig ist, um faire Löhne zuzulassen.“ Dickopf zufolge erkennen jedoch inzwischen viele Anwender, dass ein möglichst kostengünstiges und gleichzeitig möglichst sicheres Sourcing die Quadratur des Kreises bedeutet: „,Immer billiger‘ ist heute keine Option mehr. Der Preis ist nicht irrelevant, aber er ist nicht mehr Kriterium Nr. 1. Die Preise liegen ohnehin offen: Jeder Kunde kann mit wenigen Klicks, z.B. auf Alibaba, recherchieren, was ein Produkt ungefähr kosten wird. Wer dem Kunden an anderer Stelle Einsparpotenziale vermitteln kann, hat einen Wettbewerbsvorteil – reduzierte Prozesskosten sind die neuen Preise. Was für Kunden heute zählt, sind außerdem Langfristigkeit, Verlässlichkeit, Qualität der Lieferkette, ständige Verfügbarkeit sowie – zuallererst – möglichst geringe Lieferzeiten. Zeit ist heute unser K.O.-Kriterium.“ Vor diesem Hintergrund wiederum rücken europäische Märkte zusehends in den Fokus. „In vielen Fällen dauert es einfach zu lang, einen Artikel in Fernost produzieren zu lassen“, so Dickopf. „Produktionsregionen in Osteuropa bieten je nach Artikel einen enormen Lieferzeitvorteil bei minimalem Aufpreis.“ Circo: „Die unsichere Wirtschaftslage in Europa führt dazu, dass viele Kunden ihre Budgets nicht langfristig planen können und sehr kurzfristig ordern. Infolge dessen lassen wir z.T. auch in Europa produzieren, wo die Preise, ebenfalls infolge der wirtschaftlichen Lage, heruntergegangen sind – so wird z.B. selbst Italien als Produktionsstätte wieder interessant.“ „Das Tempo im Markt zieht an, es wird immer schwieriger, einem Anwender zu erklären, warum ein Produkt vier Monate Lieferzeit hat. Deshalb wird Europa für uns bedeutsamer“, so auch van der Velde. „Langfristig wünsche ich mir, dass die Unterscheidung ‚EU vs. China‘ an Relevanz verliert. Es sollte zwischen ‚Made in China‘ und ‚Made in the EU‘ eigentlich keinen Unterschied geben, was Qualität, faire Arbeitsbedingungen und Nachhaltigkeit angeht. Der einzige Unterschied sollte in der Lieferzeit liegen.“ Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Doch werden die Importeure der Zukunft sich genau überlegen, ob sie sich auf die Seidenstraße begeben oder eine von vielen Abzweigungen nehmen – diese übrigens werden nicht von China gebaut.

// Till Barth

Bildquelle: flickr.com/dcmaster (1); flickr.com/Nagarjun Kandukuru (1); Shutterstock (1), Thinkstock (1); Illustration: Jens C. Friedrich, © WA Media

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