Am 3. Oktober 2015 jährte sich der Tag der Deutschen Einheit zum 25. Mal. Aus diesem aktuellen Anlass blicken die Werbeartikel Nachrichten zurück auf die Geschichte der Werbeartikelbranche im Osten Deutschlands.

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Geschichsträchtiger Ort: Rund 1 Mio. Menschen feierten am 3. Oktober 2015 beim Festival der Einheit vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

Der Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereinigung waren in vielerlei Hinsicht ein Neubeginn. Die Geschichte der ostdeutschen Werbeartikelbranche allerdings begann schon weit vor 1989. Denn für Werbeartikel gab es durchaus Bedarf im Realsozialismus – wenn auch in wesentlich bescheidenerem Ausmaß als im Westen. Kombinate und volkseigene Betriebe aus allen Bereichen der Wirtschaft unterhielten Geschäftsbeziehungen und waren auf vielen bedeutenden internationalen Messen präsent. Darüber hinaus zelebrierte die DDR ein ausgeprägtes Jubiläums- und Jahrestagswesen, wie z.B. den Tag des Kindes, den Tag der Frau, den Tag des Bergarbeiters oder den Tag der Armee. An die entsprechenden Produkte zu kommen war jedoch angesichts von chronischer Mangelwirtschaft und Rohstoffknappheit ausgesprochen schwierig. „Es gab eine offizielle Stelle, die Präsente ausgegeben hat – aber nur an hohe Wirtschaftsfunktionäre. Für die allgemeine Wirtschaft waren wir quasi die einzige Anlaufstelle in Sachen Werbeartikel, und sogar Generaldirektoren haben bei uns um Produkte gebeten“, erinnert sich Jürgen Hallbauer, dessen Frau Gabriele 1980 in Leipzig mit Werbebedarf Hallbauer das einzige privatwirtschaftliche Werbeartikelunternehmen der DDR gründete. Eine Pioniertat, die gewissermaßen aus der Not geboren wurde: Zuvor hatte Hallbauer jahrelang die elektrotechnische Fabrik seines Schwiegervaters geleitet, der im Zuge der Verstaatlichung 1972 weitere Betriebe angegliedert wurden. „Ich hatte zuletzt die Verantwortung über 800 Mitarbeiter“, erinnert sich Hallbauer. „Wir waren häufig auf internationalen Messen präsent und hatten jede Menge Berührungspunkte mit Werbeartikeln, wurden selbst jedoch nur sporadisch vom DDR-Wirtschaftsministerium mit Produkten ausgestattet. Aufgrund eines Verwandtschaftsverhältnisses im Westen war ich Ende der 1970er als volkseigener Direktor untragbar geworden. Ich sollte degradiert werden, trat jedoch stattdessen in die Firma Werbebedarf Hallbauer ein – aufgrund meiner Vorgeschichte ging das nur als ‚mithelfender Ehemann‘ ohne Anspruch auf Gehaltszahlung.“

Auch sonst waren die Rahmenbedingungen nicht gerade angenehm: Das Unternehmen musste zeitweise bis zu 98% Steuern zahlen, durfte nicht mehr als drei Mitarbeiter haben – und v.a. die Produktbeschaffung gestaltete sich ausgesprochen schwierig: „Wir hatten keinerlei Chance, Produkte aus den Ostblockstaaten zu importieren, mussten also alles im Land selbst besorgen“, so Hallbauer. „Und das ging nur über ein spektakuläres Netzwerk und mit viele Fantasie und Cleverness.“ Materialbeschaffung in der Grauzone und ständige Beziehungspflege durch gegenseitigen Austausch kleiner Gefälligkeiten kennzeichneten den Alltag des einzigen privatwirtschaftlichen Werbeartikelhändlers der DDR. „Ich habe z.B. über irgendeinen Bekannten Lederhäute organisiert, bei einem Betrieb im Vogtland Stanzen bauen lassen, und anschließend hat ein Handwerker, den ich kannte, mir Geldbörsen und Schlüsseltaschen hergestellt“, gibt Hallbauer ein Beispiel. „Dabei galt stets die Devise ‚Eine Hand wäscht die andere‘. Die Verantwortlichen in einer Kristallglasfabrik habe ich so lange ‚geschmiert‘, bis sie mir Zugang zum Exportlager gewährt haben. Nur auf diese Weise konnte ich Aufträge realisieren wie z.B. 10.000 Pressglasfiguren zum Tag der Frau, die in VEBs dann an die Mitarbeiterinnen verteilt wurden.“

Trotz abenteuerlicher Bedingungen florierte der Betrieb. Das Unternehmen belieferte Kunden von der Wurstfabrik bis zur Rostocker Werft, die sich nicht selten ihrerseits für die unbürokratische Beschaffung benötigter Produkte erkenntlich zeigten. „Wir kamen häufig kaum hinterher, so hoch war die Nachfrage“, so Hallbauer. „Von dem Beziehungsgeflecht, das wir uns damals geschaffen haben, profitieren wir z.T. noch heute. Und der wirtschaftliche Überlebenskampf in der DDR hat uns nicht zuletzt für die raue Luft der Marktwirtschaft ab 1990 gerüstet.“

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„Grenzen überwinden“ hieß das Kunstprojekt, mit dem das Bundesland Hessen – Gastgeber der offiziellen Einheitsfeier – auf das Jubiläum am 3. Oktober einstimmte: Im Auftrag der Landesregierung schickte der Künstler Ottmar Hörl mehr als 1.000 „Einheitsmännchen“ auf Deutschlandreise. Vorbild für die bunten Botschafter war unverkennbar das bekannte DDR-Ampelmännchen.

Systemwechsel

Denn mit dem Fall der Mauer, dem Niedergang des Sozialismus und der sich abzeichnenden Wiedervereinigung war plötzlich alles anders. Viele Unternehmen, die bis dato den Staatsbetrieb beliefert hatten, standen plötzlich vor Absatzproblemen – wie die Kunstbuchbinderei Leipzig, die im August 1990 über die Werbeartikel Nachrichten eine „Partnerschaft für Produktion und Absatz“ suchte. Bislang war das 1945 gegründete Unternehmen u.a. ständiger Lieferant von Schreib- und Konferenzmappen für die Abgeordneten der Volkskammer, Kassetten für Olympia-Sieger sowie Speisekartenmappen für die Interhotels gewesen. Wenig später wurde die bayerische Göschl Lederwarenfabrik Mehrheitsgesellschafter. Beileibe kein Einzelfall: Bereits zum 15. Februar 1990 hatten der westdeutsche Schreibgeräteproduzent rou bill und Markant aus dem sächsischen Singwitz den Gründungsvertrag einer gemeinsamen Vertriebsfirma namens rou-mark GmbH unterzeichnet. Markant, der führende Schreibgerätehersteller der DDR, benötigte Management-Know-how und Produktionstechnologien.

Denn verglichen mit dem westlichen Wirtschaftsraum entsprachen die Produktionsstandards, der technische Status quo, die Qualität und v.a. das Produktangebot der DDR-Hersteller vielfach nicht dem westlichen Niveau. Klaus Klötzner, heute Geschäftsführer von Klötzner Werbemittel mit Sitz im sächsischen Glauchau, erinnert sich: „Wir haben vor der Wende Modelleisenbahnen produziert, seit 1972 als VEB. 1990 hatten wir die Möglichkeit zur Re-Privatisierung, davon haben wir jedoch abgesehen, weil unsere Produktionsmittel überaltert waren. Wir haben stattdessen ein neues Standbein in der Werbeartikelbranche aufgebaut. Bevor ich mich 1994 mit Klötzner Werbemittel selbstständig machte, habe ich mit einem süddeutschen Werbeartikelhändler kooperiert.“

Goldgräberstimmung

Aktivitäten westlicher Werbeartikelunternehmen in der noch existierenden DDR gab es bereits unmittelbar nach dem Fall der Mauer – schließlich war das Business in den neuen Bundesländern lohnenswert. Nachholbedarf in Sachen Werbung und hohe Nachfrage nach Westprodukten im Allgemeinen und Werbeartikeln im Besonderen entfachten auch in der Branche die vielfach diskutierte Goldgräberstimmung. Insbesondere die großen Händler und Katalogversender begannen, den neuen Wirtschaftsraum zu erschließen. So richtete die Hach AG bereits 1990 einen Showroom in Leipzig ein, um Kunden vor Ort zu beraten. Im gleichen Jahr präsentierte sich die Oppermann Versand AG auf der Leipziger Herbstmesse und hatte zudem bereits mehrere Handelsvertreter in der DDR im Einsatz. Saalfrank wiederum setzte auf ein Joint Venture – und zwar mit Werbebedarf Hallbauer: „Direkt nach dem Mauerfall bin ich alle 14 Tage von Leipzig nach Schweinfurt zu Saalfrank gefahren und habe Nachschub besorgt“, so Hallbauer. „Die Nachfrage und auch die Gewinnspannen waren enorm: Schreibgeräte, die im Westen 2 DM kosteten, habe ich in Leipzig für 20 Mark der DDR verkauft – das war für DDR-Bürger viel Geld. Wir waren fast nicht in der Lage, die Masse an Aufträgen zu erfassen und zu kontrollieren. Nach der Wiedervereinigung haben wir dann ein Partnerunternehmen mit Saalfrank gegründet, bis ich mich schließlich 1992 mit Hallbauer Exklusivwerbung selbstständig machte – meinem Unternehmen, wie es bis heute besteht.“

Jürgen Rüppner machte sich 1992 selbstständig, nachdem er zuvor als Außendienstvertretung für Oppermann tätig gewesen war. Zusammen mit Steffen Thorhold als Mitgesellschafter hob Rüppner im sachsen-anhaltischen Braunsbedra das Unternehmen Werbemittel Rüppner aus der Taufe. „Zunächst war es einfach, mit Werbeartikeln gutes Business zu machen“, so Rüppner. „Im Zuge der Privatisierung gab es sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen mit großem Bedarf an Werbeartikeln. Man kam leicht an die Verantwortlichen heran, die Entscheidungswege waren kurz, und man hatte vernünftige Margen.“ „Die Startbedingungen waren weniger bürokratisch als heute“, erläutert Klötzner. „Wir haben mit der Druckerei in einem Wohnhaus angefangen, das würde heute in dieser Form gar nicht mehr zugelassen. Gleichzeitig herrschte Mitte der 1990er in den neuen Bundesländern eine hohe Nachfrage nach Werbeartikeln. Wir haben uns in den Anfangsjahren auf den Bankensektor spezialisiert und hatten Kunden zwischen Erzgebirge und Ostsee.“ Auch Hallbauer berichtet von guten Anfangsbedingungen: „Wir haben 1992 mit zwölf Mitarbeitern begonnen und sind bis ca. 2003 stetig gewachsen, begünstigt durch mehrere Fullservice-Kunden.“

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Eine der ersten Werbeartikelshows im Osten: Zusammen mit 20 Ausstellern organisierte Kunze Werbung aus Schwarzheide 1991 im Kulturhaus der Bergarbeiter in Cottbus eine Hausmesse.

„Aufbau Ost“

In der Tat sorgten der Ausbau der Infrastruktur und Subventionen für Unternehmer dafür, dass im Zuge des „Aufbau Ost“ neue Wirtschaftsregionen entstanden. Auch einige Werbeartikelhersteller siedelten in den neuen Bundesländern Dependancen an. So produziert der Porzellanspezialist SND seit 2004 im thüringischen Zeulenroda. Nicht weit entfernt, in Arnstadt, sitzt seit 2006 die foodvertising GmbH, eine 100%ige Tochter der Jung Bonbonfabrik. Auf 4.000 qm sind hier in Spitzenzeiten rund 200 Mitarbeiter beschäftigt. „Es gab eine Vielzahl guter Gründe, in Thüringen zu investieren – weit über die Tatsache hinaus, dass die Baukosten subventioniert wurden“, erklärt Jörg Dennig, Geschäftsführer von Jung Bonbon. „Die Grundstückspreise sind exorbitant günstiger als im Großraum Stuttgart, das Lohnniveau ist nach wie vor im Vergleich niedriger, und es ist einfacher, Mitarbeiter zu gewinnen. Eine gewichtige Rolle spielte auch die logistisch günstige Lage sowie die Tatsache, dass es gute Wachstumsmöglichkeiten gibt. Denn Bauland gibt es in Arnstadt zur Genüge, und dementsprechend unproblematisch ist der Umgang mit den Behörden. Wir haben unsere Expansion nie bereut – im Gegenteil.“

Strukturprobleme

Von der Entstehung neuer Wirtschaftsstandorte und der Ansiedlung großer Unternehmen profitierte jedoch der Werbeartikelhandel in den neuen Bundesländern häufig nur in geringem Maße – dass die Marketingabteilungen und Entscheider meist im Westen sitzen, ist ein großes Problem: „Mit der Stadt Leuna haben wir einen bedeutenden Industriestandort vor der Haustür“, so Rüppner. „Von ca. 110 dort ansässigen großen Unternehmen sind jedoch rund 100 nur Niederlassungen.“ Eine Entwicklung, die seit der Jahrtausendwende fortschreitet: „Ende der 1990er Jahre gab es z.B. etliche Bankfusionen“, so Klötzner, „aus vielen einzelnen Banken sind wenige große geworden, deren Marketing zentral gesteuert wird.“ Auch Hallbauer berichtet von signifikanten Einschnitten: „Die wenigen Zentralen, die es im Osten gab, sind alle zurückverlagert worden bzw. Konzentrations- und Fusionsprozessen zum Opfer gefallen. Wir hatten z.B. mehrere ostdeutsche Brauereien als Kunden – die gehören heute alle zu großen Bierkonzernen. Ähnlich sieht es in der Energiebranche aus. Aufgrund von Zentralisierungsprozessen haben wir innerhalb von zwei Jahren rund 1,5 Mio. Euro Umsatz verloren. Das kann man im Osten nicht kompensieren.“ „Selbst Unternehmen, deren Marketing im Osten sitzt, vergeben z.T. Aufträge an Wettbewerber im Westen“, ergänzt Rüppner, „während die Vorstände betonen, wie wichtig es ist, die Wirtschaft im Osten zu stärken.“

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Herausforderungen

Insgesamt funktioniert das Werbeartikel- Business im Osten deshalb häufig anders als in den alten Bundesländern. Der durchschnittliche Auftragswert ist geringer, viele Kunden aus dem Mittelstand sind Unternehmen, die im Westen als „klein“ gelten würden. Es ist unabdingbar, sich überregional aufzustellen – Werbemittel Rüppner z.B. gründete bereits 1999 eine Niederlassung im schleswig-holsteinischen Neumünster. „Wir haben unser Einzugsgebiet ausgebaut, um uns stabiler aufzustellen und Einbrüche zu kompensieren“, so Rüppner. „Wir haben heute Kunden in allen neuen und auch den alten Bundesländern, und eine gewisse Reisetätigkeit ist normal. Darüber hinaus setzen wir auf ausgedehnte Kundenbindungsmaßnahmen, denn es ist viel schwieriger, neue Kunden zu gewinnen, als bestehende an sich zu binden.“ Klötzner: „Man muss überregional agieren und sich breit aufstellen. Wir sind mit unserem Außendienst in ganz Ostdeutschland aktiv, setzen auf Kundennähe, Qualität in der Beratung und Service – von Beginn an haben wir auch gedruckt sowie Konfektionierung, Lagerhaltung und Logistik angeboten. Auf diese Weise konnten wir uns bis heute gut halten. Trotz des kleinen Marktes besteht übrigens zwischen uns und unseren Kollegen ein fairer Wettbewerb, man kennt sich und kommt miteinander aus.“

Überhaupt – trotz gewisser Ost-West- Unterschiede ziehen viele Werbeartikler im Osten 25 Jahre nach der Wende eine positive Bilanz: „Insgesamt hat der sogenannte ‚Aufbau Ost‘ funktioniert“, urteilt Rüppner. „Die Infrastruktur wurde ausgebaut, und viel Wirtschaft hat sich angesiedelt. Aber auch viele ehemalige DDR-Unternehmen und Marken, die anfangs nicht mehr gefragt waren, konnten sich gut im Markt etablieren – man denke nur an Rotkäppchen Sekt, Florena oder verschiedene Biermarken.“ Klötzner fällt ein ähnliches Urteil: „Niemand war auf die Wende vorbereitet, deshalb wurden viele gesunde Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen. Heute ist die Arbeitslosigkeit in Sachsen auf dem niedrigsten Stand seit 1990 – das ist doch insgesamt eine ordentliche Entwicklung.“

Bildquelle: Coca-Cola (1); Hessische Staatskanzlei (1)

 

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