Der Kampf um kluge Köpfe ist in vollem Gange – auch in der Werbeartikelindustrie. Um in Zeiten des Fachkräftemangels qualifizierte Mitarbeiter zu finden und zu binden, muss man sich als Arbeitgeber schon etwas einfallen lassen. Wie Unternehmen aus der Branche der Talentklemme entgegenwirken, sich als attraktive Arbeitgebermarke positionieren und für die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter sorgen.

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„Sie können alles und erwarten nichts? Dann bewerben Sie sich bei uns als: ‚Eierlegende Wollmilchsau!‘“ – „Psychopath/ in zur Unterstützung unseres sadistischen Küchenchefs gesucht. Wenn Sie Lust auf miserable Bezahlung und ein Magengeschwür haben, dann bewerben Sie sich bitte bei unserem Chefkoch.“ – „Wir suchen Grantler und Taugenichtse!“ – „PR-Trullas gesucht!“ So kreativ und lustig die Wege, die Unternehmen zunehmend einschlagen, um Nachwuchskräfte und Mitarbeiter zu rekrutieren, so ernst ist der Hintergrund: Deutschland leidet unter einem enormen Fach- und Arbeitskräftemangel. Nach der aktuellen Stellenerhebung des IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) verzeichnete der deutsche Arbeitsmarkt im zweiten Quartal 2018 bundesweit rund 1,21 Mio. offene Stellen – 940.000 in West-, 270.000 in Ostdeutschland. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2017 erhöhte sich die Zahl der unbesetzten Stellen damit um rund 115.000, zum ersten Quartal 2018 um fast 25.000. Dem stehen bei einer vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenquote von derzeit 5,1% (2005: 13%) rund 2,3 Mio. Arbeitslose gegenüber, die für die ausgeschriebenen Stellen aus unterschiedlichen Gründen nicht infrage kommen.

We want you!

Schwer gefragt sind insbesondere gut qualifizierte Fachkräfte, die über eine anerkannte akademische Ausbildung oder mindestens zweijährige Berufsausbildung verfügen. Doch die sind nicht nur hier gefragt: Viele wandern aus, und die Zuwanderung schafft nicht den erhofften Ausgleich. Gleichzeitig gehen viele Fachkräfte in Rente, und es fehlt am Nachwuchs, der demografische Wandel lässt grüßen. Laut der Bundesagentur für Arbeit verlassen jedes Jahr 50.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss, was wiederum dazu führt, dass die Zahl der Schulabgänger seit Jahren sinkt. Letztere wollen außerdem lieber studieren: Nur 13% der Abiturienten beginnen nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) eine Handwerkerlehre. Dabei ist das Einkommen von Handwerkern und Bachelor-Absolventen in etwa gleich, der Arbeitsplatz des Handwerkers aber wesentlich sicherer. Nicht zuletzt ist auch die anhaltend gute Konjunktur und die damit verbundene gute Beschäftigungssituation am Arbeitsmarkt mitverantwortlich für den Fachkräftemangel. Engpässe gibt es v.a. in der Pflege, im Handwerk, im Gastro- und Hotelgewerbe sowie den sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Laut KOFA (Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung) ist aktuell jede zweite Stelle in Deutschland schwer zu besetzen, wobei der aktuellen „Engpassanalyse“ der Agentur für Arbeit zufolge im bundesweiten Durchschnitt aller Berufe eine offene Stelle sage und schreibe 107 Tage unbesetzt bleibt. In Berufen mit Fachkräftemangel sogar noch länger: Mit 183 Tagen führen Klempnereigewerbe, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik die Liste an, gefolgt von der Altenpflege mit 175 Tagen.

Auch wenn nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nach wie vor kein flächendeckender Fachkräftemangel in Deutschland herrscht, so wirkt sich die Talentklemme doch mittlerweile negativ auf die gesamte Wirtschaft aus und wird immer mehr zum Problem für die gesellschaftliche Entwicklung. Laut ifo-Institut könnte z.B. jedes fünfte Bauunternehmen mehr Aufträge annehmen, wenn es genug Arbeitskräfte hätte. So leidet der Wohnungsbau, was zu Wohnraumknappheit in Ballungszentren führt. Da die Verkehrsinfrastruktur aufgrund mangelnder Fach- und Arbeitskräfte nicht ausgebaut werden kann, kommt es zu erhöhten Staukosten, und im digitalen Zeitalter verpasst Deutschland gerade den Anschluss, weil es beim Breitbandausbau hinterherhinkt. Keine guten Karten, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen.

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Jürgen Geiger (3.v.l.) mit den neuen Azubis, die zum 1. August 2018 ihre Ausbildung gestartet haben. Ganz links und ganz rechts im Bild: die Geiger-Notes Vorstandsmitglieder Marianne Marlow und Wolfgang Zeilmann.

Wettbewerbsnachteil

Laut des Instituts der deutschen Wirtschaft IW Köln fehlen in Deutschland derzeit etwa 440.000 Fachkräfte – ein Engpass, der das deutsche Wachstum um jährlich bis zu 0,9% verringere, die Wirtschaftsleistung könne anderenfalls um bis zu 30 Mrd. Euro höher ausfallen, so die Experten. Besonders betroffen sind mittelständische Unternehmen mit 20 bis 200 Mitarbeitern, die meist keine eigene Personalabteilung und kein Budget für die Rekrutierung dringend benötigter Fach- und Arbeitskräfte besitzen. 60% aller Familienunternehmen und mittelständischen Betriebe sehen im Mangel an qualifizierten Mitarbeitern denn auch das größte Wachstumsrisiko, allein den Mittelstand kostet der Fachkräftemangel rund 65 Mrd. Euro im Jahr, wie die „European Private Business Survey“ der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC herausgefunden hat. „Der Mangel an Top-Talenten ist ein erheblicher Wettbewerbsnachteil für den Mittelstand. Er braucht sie dringend, um seine Innovationskraft zu stärken und die Digitalisierung voranzutreiben“, erläutert Dr. Peter Bartels, Vorstand für Familienunternehmen und Mittelstand bei PwC Europe. Hier sei u.a. das Bildungssystem in der Pflicht, neue Technologien sollten „schleunigst Teil der Lehrpläne werden“, so Bartels.

„Der Fachkräftemangel ist inzwischen ein volkswirtschaftlicher Engpass“, sagt auch Achim Dercks, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). „Und er ist auch der zentrale Engpass für viele politische Vorhaben in diesem Land. Politik kann über Rahmenbedingungen entscheiden, eine Regierung kann auch Geld in die Hand nehmen, was sie aber nicht kann, ist qualifizierte Menschen herbeizaubern.“ Dem Arbeitsmarktreport 2018 des DIHK zufolge rechnen 45% der befragten Unternehmen mit Angebotseinschränkungen oder damit, Aufträge ablehnen zu müssen, mehr als jedes zehnte Unternehmen sieht im Fachkräftemangel eine Ursache für sinkende Investitionen. Insgesamt können 1,6 Mio. Stellen in Deutschland längerfristig nicht besetzt werden, so die Schätzungen des DIHK. Dercks: „Die Ausweitung der Beschäftigungspotenziale, die Stärkung der beruflichen Bildung sowie mehr qualifizierte Zuwanderung sind zentrale Teile einer dringend erforderlichen Fachkräftesicherungsstrategie.“ Aus Sicht der vom DIHK befragten Unternehmen sollten zudem die regionale Attraktivität gesteigert und die Infrastruktur sowie Kinderbetreuung ausgebaut werden. Fast 30% gaben zudem an, dass ihnen die leichtere Beschäftigung ausländischer Fachkräfte aus Drittstaaten helfen würde. Hierzu müsste jedoch das Aufenthaltsrecht sinnvoll angepasst werden, u.a. durch eine Erweiterung der Positivliste der Engpassberufe, in die eine Zuwanderung möglich ist. Von der Talentklemme betroffen sind auch kleine und mittelständische Unternehmen aus der Werbeartikelbranche, die im Hauen und Stechen um qualifiziertes Personal einiges aufbieten müssen, um mitzuhalten, denn mit monetären Anreizen allein ist es längst nicht mehr getan. Eine Strategie ist es, selbst für Nachwuchs zu sorgen, doch müssen geeignete Kräfte auch erst einmal gefunden werden.

Auf Nachwuchssuche

„Im kaufmännischen Bereich und bei Trend-Berufen wie Mediengestalter gibt es zwar auch nicht mehr so viele Bewerbungen wie vor einigen Jahren, aber die Stellen sind immer noch problemlos zu besetzen“, erzählt Jürgen Geiger, Geschäftsführer von Geiger-Notes mit Sitz in Mainz-Kastel. „Je weiter wir aber in den gewerblich-technischen Bereich kommen, umso ‚dünner‘ wird es. Dabei sind die technischen Berufe mit ihren IT-gestützten, komplexen Fertigungsprozessen heutzutage nicht weniger anspruchsvoll als die der Schreibtischtäter.“ Das Problem, qualifizierte Mitarbeiter zu finden, werde jedes Jahr größer, so Geiger, der nicht zuletzt deswegen auf die Ausbildung von Fachkräften im eigenen Hause setzt. Derzeit sind es 20 Azubis, die im Anschluss an ihre Ausbildung fast alle in eine Festanstellung übernommen werden und als „Mitunternehmer, Mitentscheider, Mitverdiener“ von zahlreichen Vorzügen profitieren. Dazu gehört u.a. die Möglichkeit, Stammaktien des Unternehmens zu erwerben. Geiger: „Mit dem Belegschaftsaktien-Programm zeigen wir unseren Mitarbeitern, dass sie für uns mehr sind als nur Arbeitskräfte. Sie bilden das Fundament unseres Unternehmenserfolgs, an dem sie teilhaben sollen. Über die kontinuierliche, von uns finanziell geförderte Aktienbeteiligung können sie sich eine zusätzliche Säule zu ihrer Altersvorsorge aufbauen.“ Darüber hinaus sind alle Mitarbeiter des inhabergeführten Mittelstandsbetriebs am Gewinn beteiligt und erhalten eine Erfolgsbeteiligung in Höhe von 25% des Jahresüberschusses, zuletzt waren das im Schnitt 36% eines Monatsgehalts.

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Markenimage, wertschätzender Umgang, familiäres Umfeld, Weiterbildungsmöglichkeiten und Naherholungswert: Victorinox gelingt es in der Regel gut, junge Menschen für das Unternehmen zu gewinnen.

Um auf sich aufmerksam zu machen, geht der Spezialist für Werbekalender und Haftnotizen, der rund 200 Mitarbeiter beschäftigt, auch schon mal ungewöhnliche Wege. So warb der Mittelständler kürzlich in den Nahverkehrsbussen der Stadt Wiesbaden auf Plakaten für seine Ausbildungsberufe. Aktuell sind zudem die Zäune um das Betriebsgelände mit großflächigen Bannern bespannt, auf denen sich das Unternehmen als innovativer Arbeitgeber präsentiert. „Es sind schließlich Tausende potenzieller Mitarbeiter, die täglich die Straße passieren“, so Geiger. Außerdem ist das Unternehmen auf allen Ausbildungsmessen in der Region, wo Azubis in spe mit den bereits bei Geiger-Notes beschäftigten Lehrlingen ins Gespräch kommen, in sämtlichen relevanten Online-Kanälen wie Facebook und Xing sowie im unternehmenseigenen Azubi-Blog präsent. Im März 2019 findet am Unternehmenssitz in Mainz-Kastel zudem der zweite Tag der offenen Tür statt, an dem Familien und Freunde der Mitarbeiter, Geschäftspartner, Nachbarn und Schüler aus der Umgebung eingeladen sind, einen Blick „ins Innerste der Firma“ zu werfen.

Betriebsbesichtigungen gehören bei Halfar schon seit Jahren zum Standardprogramm, denn auch in Ostwestfalen wird es mittlerweile in manchen Berufszweigen „dünn“, wenngleich Bielefeld als Oberzentrum Ostwestfalens eine stark wachsende Stadt ist, die Fach- und Arbeitskräfte anzieht. „Es sind nur nicht genug“, so Geschäftsführer Armin Halfar. „Die Suche ist schwierig. Überall gibt es unbesetzte Stellen, auf zwei ausgeschriebene Stellen kommt ein Bewerber. Leute, die sich bei uns bewerben, haben meist drei, vier weitere Eisen im Feuer“, so der Unternehmer. Um geeignete Nachwuchskräfte – Industriekaufleute, Kaufleute im Groß- und Außenhandel, Lagerlogistiker, Mediengestalter und Modenäher – zu finden, kooperiert der Werbetaschenspezialist u.a. erfolgreich mit der örtlichen Realschule und der WEGE – Wirtschaftsförderung Bielefeld. Ziel sei es, den Wirtschaftsstandort OWL (Ostwestfalen-Lippe) zu fördern, sich kontinuierlich mit Unternehmen aus der Region auszutauschen, Menschen eine berufliche Perspektive zu bieten sowie die Jugendund Nachwuchsförderung zu unterstützen. Dabei bilde das gleichgesinnte Arbeiten mit nachhaltig tätigen Partnern der Wirtschaft stabile Netzwerke und Erweiterungen im Bildungsangebot. Ein Paradebeispiel für die gelungene Vernetzung vor Ort ist die Ausbildungskooperation mit Gerry Weber: Azubis des Modelabels lernen bei Halfar das Schweißen, Halfar-Lehrlinge bei Gerry Weber das Bügeln, weil die jeweilige Ausstattung vor Ort fehlt. 

Kommunikation & Wertschätzung

Über Nachwuchsprobleme kann sich der Glas- und Veredelungsspezialist Rastal eigentlich nicht beklagen. „Da Rastal zu den zehn bekanntesten Marken in Deutschland gehört, haben wir keine Probleme bei der Nachwuchssuche“, erklärt Volker Müller, Bereichsleitung Personal/HR. „Wir profitieren eindeutig vom Bekanntheitsgrad, dem Image und der fast 100-jährigen Geschichte unseres Unternehmens. Es gehen immer noch so viele Bewerbungen ein, dass wir die Wahl haben, wen wir ausbilden.“ Nichtsdestotrotz ist die namhafte Konkurrenz nicht weit, und der demografische Wandel lässt auch hier grüßen. Daher positioniert sich Rastal als Innovationstreiber. Müller: „Dafür haben wir ein eigenes Designstudio ins Leben gerufen und setzen extrem auf Neuerungen wie z.B. die Augmented Reality-Technologie. Damit heben wir uns von der Konkurrenz und vom üblichen Tagesgeschäft deutlich ab.“ Dabei sorgt die Marketingabteilung dafür, dass dieses Image u.a. auf Messen und in Fachzeitschriften wahrgenommen wird und potenzielle Bewerber auch erreicht. Um seine Mitarbeiter zu halten, legt sich der Höhr-Grenzhausener Traditionsbetrieb mächtig ins Zeug, und nicht umsonst feiern alljährlich Mitarbeiter bei Rastal ihr zehn-, 20-, 25-, 30-, 35-, 40- oder sogar 45-jähriges Betriebsjubiläum. „Das Wichtigste bei der Mitarbeiterbindung ist die Kommunikation. Man muss mit den Leuten reden, auch privat. Das vermittelt Wertschätzung, und die ist sehr wichtig. Die Mitarbeiter müssen mit einbezogen werden und das Gefühl haben, ein Teil der Firma zu sein“, verrät Müller. Um mit Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch zu kommen, Arbeitsabläufe zu optimieren, Wissen zu transferieren und für gute Stimmung zu sorgen, wurden u.a. Stammtische etabliert und gemeinsame Aktionen zur Stärkung von Wir-Gefühl und Teamgeist ins Leben gerufen.

Einen hohen Stellenwert in der Unternehmensphilosophie nimmt auch das Thema Mitarbeiterfürsorge/Betriebliches Gesundheitsmanagement ein. So steht – in Kooperation mit Krankenkassen und Berufsgenossenschaften – seit 2015 jedes Jahr unter einem gesundheitlichen Schwerpunktthema. Im letzten Jahr war das die „Ergonomie am Arbeitsplatz“, in diesem Jahr „Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz“. Dazu werden Kurse wie Yoga und Rückenschule angeboten. Aktuell gibt es zudem ein Laufcoaching und ein Programm zur gesunden Ernährung, die Arbeitsplätze wurden von Fachleuten überprüft und ergonomisch optimiert. Seit Einführung des Programms konnte so der Krankenstand laut Müller um die Hälfte gesenkt werden.

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Für sein „digitalisiertes“ Smartglass® wurde Rastal mit dem German Innovation Award 2018 in Gold ausgezeichnet. Carsten Kehrein, Chefdesigner bei Rastal, und Thomas Nieraad, CEO bei Rastal, nehmen von Andrej Kupetz, Hauptgeschäftsführer des Rats für Formgebung, die Auszeichnung entgegen (v.l.).

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Traditionsbetrieb im Kannenbäckerland: Rastal profitiert bei der Mitarbeitersuche von seinem Bekanntheitsgrad, dem Image und der fast 100-jährigen Unternehmensgeschichte.

Ein gutes Gesundheitsmanagement und Mitsprachemöglichkeiten sind auch zwei der Schlüsselfaktoren bei der Mitarbeiterbindung im Hause Victorinox. Wie Rastal profitiert der Schweizer Taschenwerkzeughersteller von seinem „guten Namen“, von Tradition und Qualität und tut einiges dafür, damit sich seine Mitarbeiter wohlfühlen. Für potenzielle Bewerber ist die abgelegene Lage in Ibach im Kanton Schwyz – rund 45 Minuten Fahrtzeit von Zürich und 30 von Luzern entfernt – kein Ausschlusskriterium, wie man zunächst meinen könnte. „Wir arbeiten da, wo andere Urlaub machen“, sagt Robert Heinzer, Chief Human Resources Officer bei Victorinox. „Die Skipisten sind 30 Minuten entfernt, die Seen fünf Minuten, die nahen Berge locken für Wanderungen. Ibach ist ein ruhiger Ort, an dem man sich kennt und auf der Straße grüßt. Immer mehr Menschen sehnen sich nach Ruhe, weniger Hektik und etwas mehr Natur. Für die sind wir auch als Ort attraktiv.“ So gelinge es in der Regel gut, junge Menschen für das Unternehmen zu gewinnen, auch wenn es zunehmend schwieriger werde, denn Fachkräftemangel ist auch in der Schweiz ein Thema. Dass viele Mitarbeiter schon lange bei Victorinox sind, dafür sorgt v.a. die wertschätzende, von Respekt, Dankbarkeit, Vertrauen und Offenheit geprägte Haltung, die schon für Unternehmensgründer Karl Elsener 1884 oberste Priorität besaß. „Eine unserer Stärken ist unsere Unternehmenskultur“, so Heinzer. „Die Nähe, die Wertschätzung und das familiäre Umfeld gehören dazu. Führungskräfte schätzen die Gestaltungsmöglichkeiten, Mitarbeitende die Mitsprachemöglichkeiten.“ Werte, die von Generation zu Generation weitergereicht wurden und die sich u.a. in Maßnahmen wie jährlichen Mitarbeitergesprächen, Jubiläumsfeiern, Gewinnbeteiligung und fairen, gerechten Löhnen niederschlagen. Bei der jährlichen Weihnachtsfeier dankt der CEO allen Mitarbeitenden persönlich mit Handschlag und einem Geschenk. Und als im letzten Jahr das 500-millionste Taschenmesser gefeiert wurde, erhielt jeder, der bei Victorinox arbeitet – aktuell über 2.100 Menschen weltweit –, vom CEO persönlich ein exklusiv für Victorinox-Mitarbeiter hergestelltes Taschenmesser. Einen besonderen Stellenwert hat bei den Eidgenossen die aktive Unterstützung in Weiterbildung. So übernimmt Victorinox bei der Fortbildung seiner Mitarbeiter zwischen 50 und 75% der Kosten. Führungskräfte werden von internen Trainern in ihren Kompetenzen weiterentwickelt, und Nachwuchsführungskräfte besuchen während der Arbeitszeit externe Lehrgänge, die vom Unternehmen bezahlt werden. Außerdem bietet der Traditionsbetrieb bildungsferneren Mitarbeitern Weiterbildungsmöglichkeiten und hat zudem Sprachkurse mit verschiedenen Sprachlevels – Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch – etabliert.

Klare Positionierung

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Aufstellung am Start des 3. Schneider-Runs: Rund 500 Teilnehmer sammelten sich, um die Distanz von 7,5 km in Angriff zu nehmen.

Wer einen Arbeitgeber sucht, der sich mit Leib und Seele dem nachhaltigen Umgang mit der Natur verpflichtet hat, findet ihn in Schneider Schreibgeräte. Ob Ingenieure, Mechatroniker, Werkzeugmechaniker oder Druckspezialisten – auch in Schramberg ist es schwieriger geworden, geeignete Mitarbeiter für offene Stellen zu finden, und auch hier wird der Bereich Ausbildung ausgebaut und in Weiterbildung investiert. Mit seinem Umweltkonzept verschafft sich der Schwarzwälder Mittelständler zudem ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sich seine Mitarbeiter identifizieren können. Bereits seit 2010 produziert Schneider ausschließlich mit Strom aus regenerativen Energien, setzt auf eigene Photovoltaik- und Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen, verwendet 85% der Produktionsabfälle wieder und steigert konstant die Zahl seiner Produkte aus biobasiertem Kunststoff und klimaneutraler Herstellung. Das Bestreben, schädliche Umwelteinflüsse auf ein Minimum zu reduzieren, zeigt sich auch in der vor einigen Jahren ins Leben gerufenen E-Bike-Flotte, mit der die Mitarbeiter fit und umweltfreundlich zur Arbeit gelangen: Rund 120 E-Bikes stehen dem Team aktuell zur Verfügung, als nachhaltige Alternative zum Auto kann zudem der kostenlose Betriebsbus genutzt werden. Soziale Verantwortung übernimmt der Schreibgerätespezialist auch bei der Gestaltung der Arbeitsplätze und der Gesundheitsförderung durch sportliche Aktivitäten wie Yoga, Lauf- und Radtreffs, Rücken-Workshops oder Kochkurse. Dass in Schramberg der Teamgeist stimmt und die Belegschaft als Kollektiv funktioniert, zeigt nicht zuletzt der seit drei Jahren stattfindende „Schneider Run“: 481 Läufer, darunter zahlreiche Mitarbeiter des Schreibgeräteherstellers, ihre Familien und Freunde, begaben sich in diesem Jahr auf die 7,5 km lange Laufstrecke, um gemeinsam für den guten Zweck zu laufen, die Startgebühren spendet Schneider an die Nachsorgeklinik in Tannheim.

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Über die Initiative „Einstiegsqualifizierung plus Sprache“ erhalten Geflüchtete bei Halfar die Möglichkeit, eine Ausbildung zu machen.

Der Faktor Mensch spielt bei Halfar in Bielefeld eine ganz besondere Rolle: 2016 wurde das Unternehmen vom Bielefelder Bündnis für Familie als „Ausgezeichnet familienfreundlich“ gewürdigt, was dazu führt, dass der Mittelständler in der Region als engagierter, fortschrittlicher Arbeitgeber wahrgenommen wird. Einer, für den man gerne arbeiten möchte – ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl des Arbeitsplatzes, besonders dann, wenn sich in Zeiten des Fachkräftemangels gleich mehrere Optionen bieten. „Uns geht es darum, die Arbeit familienfreundlicher zu gestalten“, erläutert Geschäftsführer Armin Halfar. „So können unsere Mitarbeiter spontan freinehmen, wenn sie zu Hause dringend gebraucht werden oder vorübergehend Stunden reduzieren, wenn es die Lage erfordert.“ Um Familie und Beruf bestmöglich zu vereinbaren, setzt der ostwestfälische Mittelständler zudem auf flexible Arbeitszeitmodelle, vielfältige Mobilitätsangebote und eine attraktive Infrastruktur – allesamt Maßnahmen, die zu einer grundsätzlichen Mitarbeiterzufriedenheit und einer gesunden Mitarbeiterstruktur beitragen. Und der Erfolg gibt Halfar recht: Seit Unternehmensgründung 1986 verzeichnet der Werbetaschenspezialist wachsende Mitarbeiterzahlen in Verbindung mit geringer Fluktuation. Aktuell sind es 115 Beschäftigte, darunter acht Auszubildende, der Frauenanteil in Führungspositionen beträgt 45%, davon haben 90% Kinder. Sympathiepunkte als sozial engagierte Arbeitgebermarke sammelt Halfar zudem mit seinem gesellschaftlichen Engagement. „Inklusion ist für uns ein Thema, das uns am Herzen liegt“, so der Unternehmensgründer. „In erster Linie wollen wir helfen und Menschen mit Behinderungen eine sinnvolle Beschäftigung geben. Deshalb arbeiten wir bei uns unter einem Dach mit dem Integrationsunternehmen prosigno zusammen.“ Eine Kooperation, die sich natürlich ebenfalls positiv auf die Akzeptanz von außen niederschlägt. Halfar: „Viele Bewerber informieren sich ja vorab im Internet, z.B. auf Bewertungsplattformen, und kommen dann gezielt auf uns zu, weil sie es toll finden, was mir machen.“

Zur Strategie, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, gehört für den Taschenhersteller auch die Integration Geflüchteter, die über die Initiative „Einstiegsqualifizierung plus Sprache“ die Möglichkeit erhalten, eine Ausbildung bei Halfar zu machen. „Für uns in diesem Lande ist die Zuwanderung eine große Chance, um qualifizierte Mitarbeiter zu finden“, so das Credo des Firmenchefs, bei dem aktuell drei Geflüchtete in Lohn und Brot stehen, von denen zwei eine Ausbildung machen: zum Modenäher und zur Fachkraft Lagerlogistik. Neben zahlreichen Maßnahmen wie der Förderung von Langzeitarbeitslosen, der Optimierung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten, dem wertschätzenden Führungsverhalten, flexiblen Arbeitszeitmodellen, (Hoch-)Schulkooperationen und der Weiterqualifizierung vorhandener Fach- und Arbeitskräfte empfiehlt auch das Kompetenzzentrum Fachsicherung (KOFA) die Integration von Geflüchteten sowie generell die Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland. „Internationale Fachkräfte sind gut qualifiziert, bringen neue Denk- und Sichtweisen mit ein und bereichern die Unternehmenskultur. Außerdem ist diese Art der ‚Weltoffenheit‘ gut fürs Unternehmensimage“, so aus den Handlungsempfehlungen der KOFA. 

Eigentlich alles richtig gemacht

Doch selbst wenn Unternehmen alles in ihrer Macht stehende tun, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren, Fachkräfte zu finden und ihre Mitarbeiter zu halten, kann es sein, dass sie künftig Aufträge nicht annehmen und offene Stellen nicht besetzen können. Schon bald nämlich gehen die Babyboomer in Rente, was den Fachkräftemangel in den kommenden zehn bis 20 Jahren weiter verschärfen dürfte. Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft Korn Ferry könnten bis 2030 bis zu 4,9 Mio. Fachkräfte in Deutschland fehlen. „Aber auch dann könnten 1,1 Mio. Menschen Schwierigkeiten haben, einen Job zu finden“, heißt es in der Studie, „weil ihre Qualifikationen für die digitalisierte Wirtschaft des 21. Jahrhunderts nicht ausreichen.“ Den potenziellen Einnahmenausfall beziffert Korn Ferry auf 525 Mrd. Euro, mehr als 14% der heutigen Wirtschaftskraft. Ein Patentrezept gegen die Fachkräftelücke hat derzeit wohl niemand, doch zeigen die genannten Beispiele, wie man zumindest dafür sorgen kann, dass die eigenen Mitarbeiter nicht abwandern. „Als Arbeitgeber müssen wir unseren Mitarbeitern Vorteile bieten, die sie woanders nicht haben. Wir müssen uns auf den weiter wachsenden Fachkräftemangel einrichten und einfach besser sein als andere“, so die Einschätzung Halfars.

Wer sich als Arbeitgeber authentisch, glaubwürdig und unverwechselbar positioniert, für seine Mitarbeiter einsteht und für gute Arbeitsbedingungen und ein angenehmes Betriebsklima sorgt, dem ist zumindest die Loyalität seiner Belegschaft gewiss. Und zufriedene Mitarbeiter helfen dann auch dabei, dass es mit dem Nachwuchs klappt.

// Julia Kuschmann

Bildquelle: Halfar (1); Geiger-Notes (2); Rastal (2); Schneider Schreibgeräte (1); Victorinox (2)

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