Ruhig im Auftreten, gepaart mit norddeutschem Understatement – es kann vorkommen, dass man Gabriele Bühring unterschätzt. Dabei ist die Unternehmerin nicht nur eine versierte Expertin für Sonderanfertigungen im Bereich Mappen, Hüllen und Etuis, sondern auch eine Frau mit zahlreichen Talenten und bemerkenswertem Durchhaltevermögen, wie sich im Gespräch mit den Werbeartikel Nachrichten zeigt.

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Hat man noch einen Blick für die atemberaubende Aussicht? Für die steinigen Abhänge, die sich auftun, die majestätischen Gipfel, die emporragen, die hügeligen Wiesenlandschaften, die zu Füßen liegen? Schwer vorstellbar. Nach 120 km radfahren über enge Straßen und Trampelpfade, Stock und Stein, nach zahlreichen Anstiegen und ebenso zahlreichen kniffligen, adrenalinaufpeitschenden Abfahrten, nach langen Tragepassagen und mehr als 5.000 absolvierten Höhenmetern gilt die Konzentration wohl mehr dem eigenen Körper und dem sich endlich nahenden Ziel als dem Panorama. Mountainbike-Marathon heißt die Herausforderung, gegen die sich manche Tour de France-Etappe anfühlt wie ein Kindergeburtstag. Wer die rund sechs- bis zwölfstündigen Tort(o)uren durchs Hochgebirge bewältigt, dem macht niemand was vor in Sachen Stehvermögen und Ausdauer. Gabriele Bühring weiß, wie es sich anfühlt, gegen die inneren Widerstände anzugehen. Von 1997 bis 2003 ist sie solche Mountainbike-Marathons gefahren, war Teilnehmerin bei den Weltmeisterschaften, belegte in der Gesamtwertung der Eurobike- Extreme, einer Art Europacup, in ihrem letzten Jahr als Aktive den 3. Platz. Viel wichtiger noch als die Platzierungen sind die Erfahrungen auf der Strecke: Als Extremsportlerin lernte sie den Umgang mit Höhen und Tiefen kennen, bewies Mut, Willen und Kampfgeist – Eigenschaften, die ihr auch im Business-Leben geholfen haben dürften, manche Talstrecke zu überwinden.

Frau Bühring, wie kommt man dazu, Mountainbike-Marathons zu fahren?

Gabriele Bühring: Meine Leidenschaft für den Radsport habe ich während meiner Studienzeit entdeckt. Damals bin ich jeden Tag 22 km zur Uni und zurück gefahren. Im Grunde bin ich quasi mit dem Fahrradsattel unterm Hintern geboren worden. Ich bin immer gerne mit dem Rad unterwegs gewesen. Als Teenager habe ich eine Zeit lang in der Konfektionsabteilung meiner Eltern gejobbt, um mir mit dem dort verdienten Geld ein Fahrrad kaufen zu können. Mein Vater durfte das allerdings nicht wissen – er hielt es für mich als Mädchen zu gefährlich, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Ich bin dann heimlich gefahren, ohne dass er es mitbekommen hat.

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Extremsportlerin: Diese Aufnahme von Gabriele Bühring entstand 2003 bei den MTB-World Championships-Rennen von Monti di Moricce.

Ihr Vater hatte in den 1950er Jahren ein Unternehmen für den Vertrieb von Lederwaren gegründet, später die Firma dann um eine Produktion für geschweißte Folienartikel und Kunststoffwarenverarbeitung ergänzt. Wie war die Jugend als Unternehmertochter?

Gabriele Bühring: Da auch meine Mutter in dem Unternehmen arbeitete, hatten beide nicht viel Zeit für mich. Insbesondere mein Vater war auch kein einfacher Geselle: selten anwesend, aber sehr dominant. Ich war viel auf mich allein gestellt, hab dadurch aber auch eine gewisse Selbstständigkeit entwickelt. Und natürlich war es auch interessant, den Betrieb und die Mitarbeiter von klein auf kennenzulernen. Das hat mir später, als ich die Firma übernommen habe, sehr geholfen.

Nach der Schule sind Sie aber nicht direkt in das Unternehmen Ihres Vaters eingestiegen?

Gabriele Bühring: Ich habe die Ferien oft in England verbracht und fand Fremdsprachen immer interessant, daher habe ich zunächst eine Ausbildung zur Europasekretärin in den Sprachen Englisch, Französisch und Spanisch absolviert. Das war sehr hart und fordernd – aber mit 21 Jahren war ich schon fertig und hatte eine Stelle als Sekretärin und Sachbearbeiterin bei einem Unternehmen für Oberflächenbearbeitung. Um mich weiterzuentwickeln, habe ich dann begonnen zu studieren. Ich hätte mir vieles vorstellen können – auch z.B. Biologie –, habe mich aber dann für BWL in Hamburg entschieden. 1994, noch während ich an meiner Diplomarbeit schrieb, hatte ich meinen ersten Einsatz auf einer PSI-Messe. Mein Vater hatte in den 1970er Jahren einen Werbeartikellieferanten aufgekauft und dadurch den Bezug zur Branche hergestellt, die bis heute unser Hauptstandbein geblieben ist.

1995, nur ein Jahr nach dem Ende ihres Studiums, stirbt Gabriele Bührings Vater. Fast über Nacht ist die nicht ganz 30-Jährige Chefin eines Unternehmens, verantwortlich für rund 20 überwiegend langjährige Mitarbeiter. Der Fokus liegt auf geschweißten Artikeln, die in Glinde bei Hamburg hergestellt werden. Früh hat man damit begonnen, zusätzlich Produkte aus Hong Kong, China und Korea zu importieren. Rund 50% des Umsatzes macht die Werbeartikelbranche aus. Zu den wichtigsten Kunden zählt u.a. der Sparkassenverlag. Doch die fetten Wiedervereinigungsjahre, als die Aufträge quasi von allein eingingen, sind vorbei. Gabriele Bührings vordringlichste Aufgabe ist die Modernisierung des Betriebs. Doch zunächst gilt es, das Erbe ihres Vaters zu verwalten – keine einfache Aufgabe, wie sich bald herausstellt.

Was waren die größten Schwierigkeiten in der Anfangszeit, als Ihr Vater gestorben war?

Gabriele Bühring: Es war kein Geld da. Wir hatten nicht mal die Liquidität, um die Ware, die mein Vater noch geordert hatte, zu bezahlen. Zudem war die Nachlassregelung sehr kompliziert. Mein Vater hatte kurz vor seinem Tod zum dritten Mal geheiratet, und seine letzte Frau wollte eine hohe Leibrente einklagen, da sie davon ausging, dass das Unternehmen wie zu den Lebzeiten meines Vaters hohe Erträge abwarf. Das Gegenteil war damals der Fall: Ich musste jeden Taler mindestens zweimal umdrehen.

Der Vater tot, wenig finanzieller Spielraum, aber Verantwortung für viele Mitarbeiter. Warum haben Sie nicht einfach alles hingeschmissen?

Gabriele Bühring: Das war keine Option. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass das Verbundenheitsgefühl mit einem über Generationen geführten Familienunternehmen noch größer ist als mit einem Unternehmen, das man selbst gegründet hat. Aufgeben kam nicht in Frage. In alten Unterlagen habe ich Verfügungen meines Vaters gefunden, den Betrieb mindestens so lange aufrechtzuerhalten, bis bestimmte seiner langjährigen Mitarbeiter in Rente seien. Diese Fürsorge für seine Mitarbeiter war irgendwie rührend – ich habe dadurch meinen Vater nochmal in einem anderen Licht gesehen. Es ist auch eine Charakterfrage: Ich habe schon eine besondere Energie und bin ein prinzipiell sehr fröhlicher, optimistischer Mensch. Ich war mir sicher und habe auch entsprechende Signale von den Mitarbeitern bekommen, dass sich alles zum Positiven ändert. Diese Zähigkeit habe ich wohl von meiner Mutter geerbt, die mich im Übrigen immer unterstützt hat. Noch bis vor drei Jahren hat mir meine Mutter im Büro geholfen – zu ihrem 90. Geburtstag hat sie sich dann offiziell in den Ruhestand verabschiedet.

Wie war die Akzeptanz als junge Chefin bei den Mitarbeitern?

Gabriele Bühring: Ich war nicht nur jung mit damals noch nicht einmal 30 Jahren, sondern obendrein nicht besonders groß gewachsen, wirkte also auf den ersten Blick nicht gerade durchsetzungsstark. Viele der Mitarbeiter kannten mich aus den Windeln, und doch habe ich kaum Skepsis verspürt, sondern viel Zustimmung. Ich hatte das Glück, dass ich mit Christel Steltzer über eine „rechte Hand“ verfügte, die das Unternehmen damals schon seit drei Jahrzehnten kannte und so etwas wie das Gehirn der Firma war. Sie wusste, wie Kunden, Mitarbeiter und Zulieferer ticken. Ohne diese Anlaufstelle hätte das alles nicht funktioniert. Dass sie auch heute noch – mittlerweile seit mehr als 50 Jahren in unserem Betrieb – tageweise für uns arbeitet, freut mich ganz besonders.

Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

Gabriele Bühring: Ich habe die strengen Hierarchien, die mein Vater etabliert hatte, abgebaut und den Mitarbeitern mehr Freiräume gegeben, wollte, dass sie ihr kreatives Potenzial entfalten. Während mein Vater noch oft sehr lautstark agiert hat, bin ich eher ruhig, aber bestimmt und immer gut vorbereitet. Das heißt nicht, dass ich mich vor klaren Ansagen oder unangenehmen Aufgaben drücke. Einen meiner Vertriebsleiter habe ich gefeuert, nachdem herausgekommen ist, dass er entgegen meiner Anweisung Visitenkarten von Industriekunden auf einer Hausmesse eingesammelt hat.

Vermutlich weiß niemand besser, wie Gabriele Bühring als Führungspersönlichkeit tickt, als Linus. Der „Quality Management Assistant und Comedian“ des Hauses ist ein Mischling mit Langhaardackel- und Jack Russell Terrier-Genen – für alle, die sich nicht mit Hunderassen auskennen: eine höchst explosive Mischung. Dass er sich dennoch als überaus bürotauglich erweist, ist Zeichen seiner guter Erziehung und der durchweg geerdeten Persönlichkeit seines Frauchens. Regelmäßig macht Gabriele Bühring Yoga- und Feldenkrais-Übungen, um zu ihrem inneren Gleichgewicht zu kommen, singt zum Ausgleich im Chor,  spielt Saxofon und Querflöte. Regenerative Maßnahmen, die nicht nur helfen, den Alltagsstress zu bewältigen, sondern auch zu ihrer Ausgeglichenheit beigetragen haben. Negative Erlebnisse wie die notwendige Stilllegung der Produktionsabteilung, um die Insolvenz zu vermeiden, hat sie gut verarbeitet. Heute sitzt sie als Einzelunternehmerin in einem Bürogebäude in Trittau, unterstützt von Anja Ernst im Vertrieb und Christel Steltzer im Büro, und bestens vernetzt mit Lieferantenpartnern in Deutschland, Osteuropa und Indien sowie dem deutschen und europäischen Werbeartikelhandel.

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Kreativität und Entspannung: Multitalent Gabriele Bühring am Saxofon.

Sie haben das Unternehmen im Laufe der Jahre immer wieder an äußere Bedingungen anpassen und sich selbst dabei neu erfinden müssen. Wie würden Sie die heutige Ausrichtung beschreiben?

Gabriele Bühring: Wir sind die Spezialisten für Sondereier und Extrawürste in den Produktgruppen Mappen, Hüllen und Etuis aus Materialien wie Leder, Kunstleder, Wollfilz, PET-Filz, Feinpappe & Weichfolie. Wir produzieren auf Kundenwunsch, haben keine Standardartikel auf Lager, nur ein kleines Musterlager – das macht uns beweglich und handlungsfähig. Kunden wie Wettbewerber wissen, dass wir keine Produkte aus anderen Sortimenten kopieren, das ist für uns selbstverständlich. Der Fokus liegt auf der Unterstützung der aktiven Werbeartikelberater.

Sie arbeiten jetzt zu dritt. Vermissen Sie es manchmal, mehr Aufgaben delegieren zu können?

Nein, im Gegenteil, das macht die Arbeit so interessant. Jeder Tag ist anders und bringt neue Herausforderungen. Jede von uns macht alles und kann ihre ganz speziellen Fähigkeiten und Talente einbringen. Ich bin kein Spezialist, sondern ein Allrounder, und es gefällt mir, meine Vielseitigkeit ausleben zu können.

Als Mitglied im GWW-Beirat sind Sie eine der ganz wenigen Frauen in den Gremien des deutschen Werbeartikelverbands. Was hat Sie bewogen, sich an dieser Stelle zu engagieren?

Gabriele Bühring: Ich teile gerne mein relativ breites Wissen und meine Erfahrungen. Für mich ist die Wahl in den GWW-Beirat eine Auszeichnung. Ich fühle mich geehrt, dabei sein zu können, beziehe aber auch klar und konstruktiv Position, die natürlich nicht immer jedem gefällt.

Wie bewerten Sie die Verbandsarbeit derzeit?

Gabriele Bühring: Ich halte den Austausch unter Branchenkollegen für wichtig und finde es fantastisch, dass sich die verschiedenen Verbände zusammengetan haben. Es ergeben sich durch diese Konstellation neue, fruchtbare Kontakte. Der Verband leistet tolle Arbeit und dreht an vielen Stellschrauben. Über manche Verordnung wie z.B. die DSGVO habe ich durch ihn Wissenswertes erfahren. Er gibt praktische Hilfen für die tägliche Arbeit und leistet wertvolle Dienste in Sachen Lobbyarbeit für die gesamte Branche. Leider wird zu wenig – auch vom GWW selbst – über seine Verdienste gesprochen. Sie wirken mit sich im Reinen.

Haben Sie mit der Ausrichtung Ihres Unternehmens Ihre Nische gefunden?

Gabriele Bühring: Die konsequente Konzentration auf individuelle Lösungen war die richtige Entscheidung. Mit Anja Ernst habe ich zudem eine Mitstreiterin gefunden, die mich hervorragend ergänzt und mit der die Zusammenarbeit großen Spaß macht. Die Ideen sind ständig im Fluss. Das ist ein gutes Gefühl.

www.buehring-shop.de

// Mit Gabriele Bühring sprach Dr. Mischa Delbrouck. 

Fotos: Mischa Delbrouck, © WA Media; Studio 5 SAS, Archiv Gabriele Bühring

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