Zum zweiten per Videokonferenz durchgeführten WA Media-Talk luden die WA Nachrichten am 23. Juni 2020. Thema – wie könnte es anders sein? – war natürlich auch die Corona-Krise und die Folgen für die Branche. Engagiert diskutierten die Teilnehmer Tobias Bartenbach (Bartenbach), Ralf Dickopf (mcs), Kathrin Haupt-Schneider (The Five Elements), Sebastian Römer (Römer Familie), Christoph Ruhrmann (Plan Concept) und Günter Schmidt (Fare) mit den WA Nachrichten-Redakteuren Till Barth und Dr. Mischa Delbrouck darüber hinaus über Megathemen wie Nachhaltigkeit und Digitalisierung, über Messen unter Maskenpflicht oder über Weihnachtsgefühle in B2C-Online-Shops.

Slider Corona WN400 965x355 - „Wir können nicht nur abwarten, was passiert.“

Mehr als drei Monate sind vergangen, nachdem in Deutschland und Österreich erstmals ein landesweiter Lockdown verhängt wurde. Wie ist es Ihnen mit Ihrem Unternehmen ergangen? Wie ist die Stimmung?

Tobias Bartenbach: Wir konnten drei Tage vor dem Veranstaltungsverbot noch unseren Werbemitteltag als Hausmesse durchführen, aber die verlief praktisch ins Nichts, weil die Anfragen nicht umgesetzt wurden. Jetzt werden die großen Player wach, da merken wir eine deutliche Belebung. Aber zu sagen: „Der Aufschwung kommt“ – davon sind wir weit entfernt. Die Stimmung im Unternehmen ist dennoch gut, die Mitarbeiter ziehen mit, das muss man als Unternehmer aber auch vorleben, sonst wird es schwierig.

Christoph Ruhrmann: Auch bei uns ist die Stimmung eher positiv als negativ. Der Lockdown kam gut einen Monat nach unserer Messe im Februar, sodass alle Kunden ihre Angebote bekommen haben und auch einige Bestellungen eingelaufen sind. Viele haben sich dann entschieden, nicht zu stornieren, sondern die Aufträge nach hinten zu schieben. Rund die Hälfte unseres Geschäfts ist Fullservice – das hatte sich ab Mitte März komplett erledigt, da ist gar nichts mehr gelaufen, einfach, weil auch niemand mehr was verschenken konnte. Im Fullservice-Geschäft werden wir auch bis zum Ende des Jahres nicht mehr als 60 bis 70% des ursprünglichen Niveaus erreichen. Wir machen auch einige Onlineshops, die noch ganz gut funktionieren, insbesondere im B2C: Momentan kaufen die Leute dort wie zu den besten Weihnachtszeiten. Im Streckengeschäft erleben auch wir, dass die großen Player langsam wach werden, die Kalenderprojekte fürs zweite Halbjahr scheinen ganz gut zu laufen. Alles, was Richtung Touristik geht, liegt noch am Boden, alles, was Richtung Verbrauch und Verbrauchsmaterialien für den Endkunden geht, funktioniert schon wieder ganz gut. Die Maske mit Logo ist ein neuer Werbeartikel. Der ist sehr gut gelaufen, aber jetzt sind alle eingedeckt, und die Goldgräberstimmung ist vorbei.

Tobias Bartenbach, Geschäftsführer von Bartenbach Werbemittel

„Wenn man mal auf unser Agenturgeschäft schaut, ist tatsächlich im Vergleich zur Lehman Brothers-Krise vor zwölf Jahren, als gar nichts mehr ging, ausreichend Geschäft in der Kommunikation im Markt vorhanden.“

Ralf Dickopf: Zu Beginn der Krise haben wir drei mögliche Szenarien aufgestellt und befinden uns jetzt ungefähr auf der mittleren Schiene: Das Kerngeschäft ist bei etwa 50%. Wir haben uns relativ schnell entschieden, uns auch Richtung PPE und Medical Products zu drehen, haben uns aber vorgenommen, das compliant zu machen – gegen den Strom der 99% Wahnsinnigen – und haben uns mit extrem viel Mühe, Rechtsanwälten und Compliance-Beauftragten sehr tief in die Materie eingearbeitet. Wir werden dieses Jahr gut überleben, das steht jetzt schon fest, selbst wenn der Worst Case noch kommen sollte. Ich habe die Zeit auch nicht als nur schlimm empfunden: Jeder hat versucht, was aus der Krise zu machen, was ja auch irgendwie fantastisch ist. Ich sehe auch die Sommerzeit jetzt als äußerst gute Gelegenheit, sich nochmal strategisch und kreativ neu auszurichten.

Sebastian Römer: Der Lockdown war eine Sondersituation, das haben die meisten auch so wahrgenommen und sich gesagt: „Da müssen wir alle durch“. Wir konnten z.B. auch den Hype der Hygieneartikel mitnehmen, während die Anfragen für Werbeartikel komplett verschwunden waren. Dann kamen sehr viele kurzfristige Anfragen über hohe Volumina, die wir dank hoher Lagerbestände z.T. noch kurz aus der Hüfte schießen konnten. Jetzt hoffen wir, dass vermehrt klassische Anfragen reinkommen und wieder etwas Routine einkehrt.

Kathrin Haupt-Schneider: Jeder war zunächst mit sich und seinem Unternehmen und mit lebensrettenden Aktionen beschäftigt. So langsam beginnt die Kommunikation untereinander wieder.

Ralf Dickopf, Geschäftsführer von mcs

„Wenn sich die Branche nicht ändert, wird es diese Branche bald nicht mehr geben. Keiner will noch mehr Müll, noch mehr Schrott auf dieser Welt haben – und dann auch noch mit einem Logo drauf.“

Günter Schmidt: Wir haben in der langen Phase, in der weder wir die Händler noch die Händler ihre Kunden erreichen konnten, einige Ansätze entwickelt, um dem Händler etwas an die Hand zu geben, den Endkunden zu kontaktieren und bei Laune zu halten. Da waren einige hochsubventionierte Pakete in Richtung „Hope“, „Zuversicht“ und „Enjoy the sun“ dabei, die letztlich symbolisierten: „Keep cool. Warte ab. Setz Dich in deinen Garten und genieß die Sonne“. Das war viel charmanter, als nur plump und sinnentleert nach einem Auftrag zu fragen! Es gab einfach keinen Auftrag. Die Rückmeldungen waren toll und zeigten, dass wir genau die richtige Wirkung erzielt hatten: Sympathische Kundenbindung in einer schwierigeren Zeit.

Wo steht die Branche jetzt? Wie abhängig ist man von der Wirtschaft?

Ralf Dickopf: Wir laufen jetzt genau in eine Lücke rein: PPE usw. sind durch, und das Kerngeschäft wird viel langsamer hochgehen, als wir uns alle das wünschen. Nach jeder Krise und jedem Budgetstopp ist es das Gleiche: Organisationen haben eine Trägheit. Sie gewöhnen sich an, mit weniger Werbeartikeln klarzukommen. Es gibt zudem weniger Einsatzmöglichkeiten. Ich denke nicht, dass wir in den nächsten sechs Monaten irgendeine Art von Rückkehr zu gewohnten Umsatzvolumina sehen werden.

Tobias Bartenbach: Ich teile die Einschätzung, dass wir über einen gewissen Zeitraum nicht mehr auf das gewohnte Niveau kommen. Vielleicht müssen wir auch eher über eine Art „W“-Kurve sprechen, dass es also leicht nach oben, dann wieder nach unten geht, und man dann versucht, alles langsam wieder hochzufahren, sobald der Impfstoff da ist. Das wird dann der Zeitpunkt sein, dass die Kunden mal wieder über etwas anderes nachdenken als darüber, wie sie Budgets sparen können. Solange Unternehmen aus dem B2B ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken und sich darum kümmern müssen, die Jobs zu sichern, ist haptische Werbung nun mal nicht „Prio eins“.

Sebastian Römer: Sollten wir in den nächsten Jahren in eine Rezession kommen, werden viele Firmen nicht nur punktuell sparen, sondern langfristig zurückhaltend sein. Dann bekommen wir in der Branche ein Problem. Im Markt hat man aus meiner Sicht weniger Angst vor einer zweiten Welle als vor der zu geringen Wirksamkeit der Konjunkturpakete und vor einer negativen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Sebastian Römer, Geschäftsführer von Römer Familie

„Es bringt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Wir als Branche müssen langsam wieder hochfahren, und dazu gehört auch, die eine oder andere Messe zu belegen.“

Kathrin Haupt-Schneider: In Österreich gibt es schon eine Angst vor der zweiten Welle. Viele warten ab, wie sich die Öffnungen nun auswirken. Events starten ab September wieder, vielleicht wird es dann ab August wieder anziehen.

Günter Schmidt: Die Lage ist ernst, aber jeder weiß auch, was die Stunde geschlagen hat. Ich bin eigentlich insofern ein bisschen optimistisch, als es vor der Krise wirtschaftlich gut lief und der Abschwung vorerst „nur“ einem Virus geschuldet war. Spätestens wenn der Impfstoff da ist, sollte es keine vernünftigen Gründe geben, aus diesem Loch nicht wieder herauszukommen. Natürlich immer in Abhängigkeit davon, in welchem Maße bis dahin die Weltwirtschaft bereits betroffen ist.

Tobias Bartenbach: Wenn man mal auf unser Agenturgeschäft schaut, ist tatsächlich im Vergleich zur Lehman Brothers-Krise vor zwölf Jahren, als gar nichts mehr ging, ausreichend Geschäft in der Kommunikation im Markt vorhanden. Der Kampf ist größer geworden, spannend wird, wie das Business verteilt wird. Einige werden dem Konsolidierungsdruck nicht standhalten können.

Wird sich der Markt bereinigen?

Christoph Ruhrmann: Die ganzen Insolvenzen wurden ja erstmal ausgesetzt. Das heißt, die Insolvenzwelle wird uns ab Herbst erreichen. Und dann werden wir alle noch viel genauer hingucken müssen, auch bei unseren Vorlieferanten. Teilweise gibt es Lieferanten, da wird mir angst und bange, und man fragt sich, wie die sich eigentlich gerettet haben. In den letzten Monaten haben einige auch namhafte Lieferanten teilweisen mit modernen Raubritter-Methoden agiert – da kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Da haben wir z.B. Auftragsbestätigungen bekommen und Vorkasse gezahlt, und drei Tage später erreicht uns ein Anruf, dass sich der Preis geändert habe, und wenn man nicht bereit sei, diesen zu zahlen, könne man die Ware nicht erhalten. Das habe ich in 27 Jahren in der Branche noch nicht erlebt. Die Insolvenzen betreffen ja auch nicht nur den Werbeartikelsektor, sondern auch unsere Kunden. 70 bis 80% unserer Mitbewerber sind so aufgestellt, dass sie sich im Wesentlichen über zwei Großkunden finanzieren. Und wenn dann einer dieser Großkunden Schnupfen hat, dann hat der entsprechende Händler schon mehr als Corona.

Tobias Bartenbach: Ich habe so ein Bild vor Augen: Wir sind irgendwie vermöbelt worden, wir pumpen uns mit Ibuprofen voll, haben jedoch die Auswirkungen, wenn das Schmerzmittel nachlässt, nicht im Blick. Und ich glaube, der Schmerz kommt schon noch, wenn die Tabletten nicht mehr wirken. Trotzdem denke ich: Die Wirtschaft an sich ist nicht instabil. Unternehmen wie Kaufhof/Karstadt waren schon vor Corona angeschlagen: Dass die das jetzt nicht schaffen würden, war klar.

Ralf Dickopf: Ich hatte heute Morgen ein Meeting mit den Kollegen von Prominate. Die Herausforderungen sind weltweit eigentlich ähnlich, aber man vergisst schnell, dass wir in Deutschland in einer vorteilhaften Situation sind, was unsere sozialen Sicherungssysteme angeht. Während bei uns Kurzarbeit bis ins nächste Jahr möglich ist und vieles mit vielen Milliarden am Leben gehalten wird, gehen in UK oder den USA im Herbst bei vielen Firmen bereits die Lichter aus. Das wird sich auch auf den Export auswirken.

Kathrin Haupt-Schneider: Es wird eine Selektion geben, aber ich glaube dennoch an die Menschlichkeit und Solidarität und dass diejenigen übrig bleiben, die über eine lange Zeitspanne hinweg fair und menschlich arbeiten.

Günter Schmidt: Der Markt wird kleiner werden, und der Kuchen wird kleiner werden, und es wird mehr Marktteilnehmer geben, die sich am Kuchen bedienen und sich ein größeres Stück abschneiden wollen. Gerade auf der Händlerseite wird es eine Marktbereinigung geben. Keine Marge, kein Speck auf den Rippen, keine Liquidität, kein langer Atem. Es gibt Händler, die in der Vergangenheit sehr unsolide gewirtschaftet haben – unsolide im Sinne des Margen-Kannibalismus, auf Kosten anderer Aufträge abzugreifen, ohne eine Dienstleistung dafür zu bringen. Da bin ich dann auch nur begrenzt traurig, wenn unter diesem Händlertypus eine Bereinigung stattfindet.

Tobias Bartenbach: Aber jetzt wird es erst einmal dazu führen, dass jeder versucht, den Job zu kriegen und die Marge auf Handelsseite nach unten gehen wird. Und das ist ein Problem für alle Kollegen, die so aufgestellt sind, dass sie über einen großen Mitarbeiterstab verfügen. Ich habe 120 Mitarbeiter auf der Payroll. Zwar nicht alle im Werbeartikelbereich, aber das ist schon eine Hausnummer, bei der es mir echt schwer fällt, angesichts des Drucks in der Corona-Phase über mich selbst nachzudenken. Da gilt es dann erst einmal, die sozialen Belange in den Vordergrund zu schieben.

Kathrin Haupt-Schneider, Geschäftsführerin von The Five Elements

„Es wird eine Selektion geben, aber ich glaube dennoch an die Menschlichkeit und Solidarität und dass diejenigen übrig bleiben, die über eine lange Zeitspanne hinweg fair und menschlich arbeiten.“

Der prognostizierte Preisdruck hat nicht nur Negativfolgen für die einzelnen Unternehmen, er wirkt sich auch negativ aufs Image haptischer Werbung aus. Wie kann man dem entgegenwirken?

Tobias Bartenbach: Qualität, Qualität, Qualität. Und Beratung, Beratung, Beratung. Wir müssen den Mehrwert der haptischen Werbung besser rüberbringen.

Ralf Dickopf: Noch ein weiterer Schritt: Wir sind es als Branche ja nach wie vor schuldig, irgendeine Art von Methodik zum Return on Investment für unsere Kunden zu entwickeln. Man kann ja noch so viel erzählen, wie alles funktioniert und wie wunderschön alles ist. Am Ende des Tage sind wir die einzige Branche, die intellektuell auf der Nulllinie fährt und dem Kunden relativ wenig Klarheit darüber gibt, ob es Sinn macht, eine bestimmte Summe Geld in diese Art der Kommunikation zu stecken. Da sind wir anderen Branchen einfach zehn Jahre hinterher. Natürlich ist die Haptik ein wichtiger Teil der Kommunikation, und sie wird es auch bleiben. Aber wenn wir keine Beweisführung dafür antreten können und immer nur auf dem Produkt-Level bleiben, dann wird es schwer. Dann wird sich diese Branche nicht nach vorne entwickeln. Wir brauchen Messmethoden. Es geht um den Share-of-Wallet. Wieviel Geld fließt in Digital, wieviel in Klassik, wieviel in die Haptik? Wie sind die Marketingbereiche miteinander verzahnt, wie funktioniert Kommunikation, um was geht es eigentlich? Das ist das Level, wo wir hin müssen. Unsere wirkliche Konkurrenz sind andere Medien und nicht wir selbst.

Tobias Bartenbach: Das kann ich zu 100% bestätigen. Jeder Auftrag auf Agenturseite ist derzeit KPI-gesteuert, Messbarkeit und Return on Investment werden gefordert. Und die Kunden erwarten von uns, dass wir selbst die Messkriterien festlegen. Allein, wir haben sie nur beschränkt.

Kathrin Haupt-Schneider: Das ist auch bei uns in Österreich ein wahnsinnig wichtiges Thema, dem ich mich innerhalb des VÖW (Verband österreichischer Werbemittelhändler e.V.) angenommen habe. Wir arbeiten intensiv daran, Daten zu sammeln, die auch realistisch sind. Mit den bisherigen Studien des VÖW in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsuniversität Wien können wir Marketern klar belegen, dass Qualität, Design, Funktionalität und Herkunft wichtige Kernpunkte in der Verwendung von haptischen Werbeträgern sind. Generell gilt: Die Branche muss die Bühne des Marketings auffallender und lauter betreten und in Zukunft noch mehr und noch energischer auf sich aufmerksam machen. Zudem habe ich die Idee, in alle meine Angebote zukünftig nicht nur einen Preis hineinzuschreiben, sondern auch den Werbewert, den der Kunde dafür erhält, also z.B. die Zahl der Kontakte, den Wiedererkennungswert etc.

Ralf Dickopf: Das wäre zumindest mal ein Anfang. Es gibt ja auch bereits Impressions-Studien aus den USA und Europa, die nachweisen, wieviel Kontakte einzelne Produktgruppen erzielen. Das kann man auf das gewählte Produkt runterbrechen und hätte zumindest mal eine andere Zahl als nur einen Preis. Ich bin mir auch ganz sicher, dass wir in zwei Jahren kein Produkt mehr verkaufen werden, für das kein Carbon Footprint ausgewiesen ist. Die Kaufentscheidung für ein Produkt wird dann nicht mehr nur am Preis, sondern auch an ganz anderen Kriterien festgemacht. Und auch wenn das nur ein kleiner Schritt ist, kann das wahnsinnige Auswirkungen auf die Kaufentscheidung haben.

Der ökologische Fußabdruck führt zu dem Megatrend der Branche vor der Corona-Krise: Nachhaltigkeit. Täuscht der Eindruck, oder ist das Thema im Zuge der Pandemie etwas in Vergessenheit geraten?

Christoph Ruhrmann: Wir hatten unsere Messe Anfang Februar komplett unter das Thema Nachhaltigkeit gestellt, weil 80% unserer Kunden bewusst nachhaltig einkaufen wollten. Nichts sollte mehr aus China, alles möglichst aus Europa geordert werden. Mit dem Moment des Lockdowns sind diese Stimmen zu 90% verstummt. Das Thema Nachhaltigkeit ist komplett auf der Strecke geblieben. Wir müssen nun erst wieder ein Bewusstsein bilden, dass das Thema Nachhaltigkeit seine Berechtigung hat – wegen des Klimawandels und vieler anderer Probleme. Ich ärgere mich sehr, wenn ich z.B. sehe, wie viele Gummihandschuhe und Einwegmasken auf einem durchschnittlichen Supermarktparkplatz herumliegen.

Kathrin Haupt-Schneider: Corona ist für mich eine kleine Vorwarnung, um uns zu rüsten, was in Bezug auf den Klimawandel kommen mag. Ganz ehrlich: So, wie es die letzten Jahre gegangen ist – immer mehr, immer weiter, immer größer, immer günstiger –, geht es irgendwann nicht mehr weiter. Der Überfluss tut der Menschheit einfach nicht gut.

Günter Schmidt: Momentan ist das Thema – absolut nachvollziehbar – total in den Hintergrund gerückt, die Krise überdeckt alles. Aber das wird hoffentlich nur temporär so sein. Die Nachhaltigkeit wird uns jahrzehntelang begleiten und wird im gleichen Maße, wenn nicht dramatischer, wieder an Aktualität gewinnen. Wir haben die Zeit der Pandemie auf jeden Fall genutzt um uns hier noch professioneller aufzustellen.

Ralf Dickopf: Wenn sich die Branche nicht ändert, wird es diese Branche bald nicht mehr geben. Keiner will noch mehr Müll, noch mehr Schrott auf dieser Welt haben – und dann auch noch mit einem Logo drauf. Firmen werden nicht mehr mit irgendwelchen Produkten Werbung machen wollen, die beim Konsumenten ein schlechtes Ansehen haben. Diese Grundhaltung wird in zwei bis drei Jahren exponentiell zunehmen.

Christoph Ruhrmann: Wir müssen in den nächsten Jahren erstmal die ganzen Absurditäten wieder abstellen: Wir haben jetzt z.B. den Fall, dass der Vorstand eines unserer Kunden Holz- und Papierprodukte nur FSCzertifiziert einkaufen will. Das führt zu der absurden Situation, dass die Marketingabteilung eine biologisch abbaubare Butterbrotdose nicht einkaufen kann, da die Dose Zellulose enthält und der Hersteller noch nicht FSC-zertifiziert ist, weil man das für Butterbrotdosen normalerweise nicht benötigt. Jetzt wird die Marketingabteilung gezwungen, eine herkömmliche Butterbrotdose einzukaufen, die weniger nachhaltig ist. Oder man nehme den Turnschuh von Adidas, der aus recyceltem Meeresmüll hergestellt wird. Ja, zu 3%. 97% neuer Kunststoff wurden wieder hergestellt, um 3% zu verarbeiten. Wir sind stolz auf den Müll, den wir aus den Meeren rausholen, und produzieren dafür ein Vielfaches an neuem Müll. Mit diesem ganzen Unsinn müssen wir aufräumen. Wir brauchen mehr Informationen und müssen erst einmal definieren, was nachhaltig ist. Wenn wir das geleistet haben, können wir auch damit hausieren gehen. Momentan verunsichern wir unsere Kunden nur, weil der eine das Material schlecht redet, das der andere anpreist, sei es Tritan, Edelstahl oder was auch immer. Uns wie unseren Vorlieferanten scheint jede Argumentation im Guten wie im Schlechten recht, um das jeweilige Produkt zu verkaufen. Da möchte ich mich nicht ausnehmen. Derjenige, der am besten erzählt, bekommt den Job.

Sebastian Römer: Ich bin gespannt, wie sich das Thema unter dem Preisdruck in der Krise entwickelt. Wir erfahren immer wieder, dass bei uns nachhaltige Alternativen angefragt werden, die Kunden diese zwar gut finden, sich dann aber doch für das konventionelle Produkt entscheiden, einfach, weil es billiger ist. Und ich habe die Sorge, dass der Preiskampf nach der Krise noch größer werden wird.

Christoph Ruhrmann: Es gibt aber auch den Druck der breiten Masse. Unternehmen werden irgendwann keine Billigteile mehr verschenken können, weil sie in Deutschland damit einen heftigen Shitstorm ernten würden.

Günter Schmidt, Prokurist von Fare

„Ich bin eigentlich insofern ein bisschen optimistisch, als es vor der Krise wirtschaftlich gut lief und der Abschwung vorerst ‚nur‘ einem Virus geschuldet war. Spätestens wenn der Impfstoff da ist, sollte es keine vernünftigen Gründe geben, aus diesem Loch nicht wieder herauszukommen.“

Kathrin Haupt-Schneider: Der VÖW hat in seiner letzten Studie mit der Wirtschaftsuniversität Wien den Endkunden gefragt, was seine Erwartungshaltung an Werbeartikel ist: Ganz wichtig sind demnach Funktionalität, Design, Qualität und die Antwort auf die Frage: „Woher kommt´s?“ In drei bis vier Jahren sitzen im Marketing noch mehr Personen, die danach schauen werden, wie nachhaltig eine Lieferkette, wie seriös das Unternehmen ist. Einkaufen bei Alibaba, schnell mal was importieren – ich glaube, das wird sich radikal ändern.

Alibaba wie Amazon zählen mit ihren E-Commerce-Plattformen jedoch gemeinhin zu den „Corona-Gewinnern“. Wie sieht das in der Werbeartikelbranche aus? Hat die Digitalisierung einen Schub erhalten?

Günter Schmidt: Ich bin jetzt auch schon knapp über 35 und habe früher nicht jeden Tag mit TeamViewer, MS Teams oder Zoom gearbeitet. Das ist in den letzten Wochen zu einer neuen Selbstverständlichkeit geworden. Das hat sehr viele Vorteile, aber das birgt auch Risiken, gerade wir als Qualitätsschirmhersteller sind darauf angewiesen, dass Interessenten etwas anfassen und ausprobieren können. Auch die schlechtesten und billigsten Importeure haben tolle Fotostudios. Daher ist es für uns schon eine Gefahr, wenn die Face-to-Face-Situationen zunehmend von digitalen Kommunikationsformen abgelöst werden. Diesen Wandel müssen wir fließend vollziehen.

Christoph Ruhrmann: Digitalisierung ist ein ganz großes Thema, aber das war es vor Corona auch schon. Wir haben z.B. eine eigene Tochtergesellschaft mit fünfzehn Mitarbeitern, die sich mit nichts anderem beschäftigt, und bauen u.a. Web2Print-Tools für dreidimensionale Werbeträger. Aber es geht eigentlich immer darum, Zeit und Geld zu sparen, es geht um die kleinen, schnellen Aufträge, die vollautomatisch zum Lieferanten gehen, die kleinen Unternehmen, die wir mit unserem engen Personalkorsett, das wir alle haben, gar nicht mehr bedienen können, weil die Margen und die Deckungen zu niedrig sind. Wir setzen die Digitalisierung dort ein, wo wir Arbeitskraft sparen können, um letztendlich dem Preisdruck gerecht zu werden. Gleichzeitig kommt die Digitalisierung in der haptischen Werbung langsam an ihre Grenzen. Die Geschäftsmodelle der Online-Druckereien funktionieren im Werbeartikelbereich beispielsweise nur bedingt, weil jede Oberfläche eine andere ist, ein Textil etwas anderes als ein Kunststoff ist, weil wir immer etwas Besonderes produzieren. Es hat ja auch eine gewisse Ironie, wenn wir ein haptisches Produkt verkaufen wollen, das aber am liebsten nur noch über den digitalen Weg. Unser großer Vorteil ist es ja gerade, dass man noch etwas Haptisches bekommt und nicht einen der vielen Codes, die andauernd auf YouTube, What‘s App oder Instagram verteilt werden. Über haptische Werbung freuen sich ganz, ganz viele Menschen tatsächlich immer noch.

Sebastian Römer: Ich glaube schon, dass kurzfristig Händler, die E-Commerce-Plattformen betreiben, in der Krise einen gewissen Vorteil hatten, einfach, weil sie die Möglichkeit haben, ihre Produkte überhaupt anzupreisen oder zumindest mal eine digitale Vorschlagsliste zu erstellen.

Christoph Ruhrmann: Aber durch Anbieter wie Promidata etc., die komplette Shoplösungen mit 40.000 Artikeln für 100 Euro monatlich anbieten, ist der Anteil der Händler, die in unserer Branche noch nicht digital unterwegs sind, verschwindend gering. Diesen USP gab es vielleicht vor fünf Jahren noch, aber den gibt es nicht mehr. Ein Shop sieht aus wie ein anderer. Das ist kein Hexenwerk mehr.

Christoph Ruhrmann, Geschäftsführer von Plan Concept

„70 bis 80% unserer Mitbewerber sind so aufgestellt, dass sie sich im Wesentlichen über zwei Großkunden finanzieren. Und wenn dann einer dieser Großkunden Schnupfen hat, dann hat der entsprechende Händler schon mehr als Corona.“

Kathrin Haupt-Schneider: Zum Thema Webshops habe ich auch die Erfahrung in den letzten drei, vier Jahren gemacht, dass meine Kunden mich vermehrt anrufen, weil sie keine Lust mehr haben, sich zum Trottel zu klicken, sondern mir vertrauen. Je mehr Shops es gibt, desto mehr sieht man die immer gleichen Produkte. Der Trend geht jedoch zum einen wieder zu mehr Individualität, und zum anderen ist es den Kunden wichtig, zu wissen, wo sie einkaufen.

Die digitalen Angebote in Form von Online-Shops etc. nach außen sind das eine, wie ist es denn um die brancheninterne Digitalisierung bestellt?

Ralf Dickopf: Es gibt ein Problem in der Backend-Integration von Lieferanten. Geteilte Schnittstellen? Fehlanzeige. Da sehe ich extremen Nachholbedarf, aber nicht nur bei uns – so fair muss man sein. Je mehr man mit größeren Kunden arbeitet, desto enttäuschter ist man über das Level an Digitalisierung in der deutschen Industrie. Wir sind alle auf einem technischen Level der 1980er Jahre.

Sebastian Römer: Es wäre wirklich wichtig, dass man versucht, die Anforderungen zu bündeln und eine Universalschnittstelle zu bauen, an die alle andocken bzw. anprogrammieren können. Dass einzelne Programmierungen noch erforderlich sein werden, ist klar, das machen wir bei den größten Kunden auch. Aber als Lieferant im Werbeartikelmarkt hat man 3.000 bis 4.000 aktive Kunden, und dass wir da nicht für jeden einzelnen etwas programmieren können, ist ebenso klar. Die einzige Lösung ist also, dass man zusammen nach einer Lösung sucht.

Christoph Ruhrmann: Aber das nächste Problem ist doch, dass wir lauter Sonderanfertigungen machen. Unsere Branche ist schon superspeziell. Wir haben nicht nur eine einfache Datenübertragung. Da steckt noch viel mehr dahinter.

Ralf Dickopf: Die großen Digitalisierungsthemen sind Automatisierung,„Plattformisierung“ und Verkettungen und damit einhergehend auch eine Veränderung der Beziehungen, eine viel engere Verzahnung von Vorlieferant, Händler und Kunde. Das ist ja das Entscheidende. Die Grenzen, wie sie früher waren, die lösen sich auf, dieses Sequentielle: Einer schickt eine E-Mail, fragt einen Preis, erhält eine Antwort etc. Wir müssten eigentlich viel mehr Zugriff auf Lieferanteninformationen haben. Warum sollte ich die in meinen Shop eintippen, das können die selber besser pflegen. Wenn ich meine Abverkäufe eingebe, können die auch viel besser ihre Produktionen planen als ich. Wenn man so denkt, verändern sich Beziehungen und Aufgaben. Dann entsteht vielleicht auch eine Kette, mit deren Hilfe man Werthaltigkeit nachweisen kann. Händler, die 5.000 Kugelschreiber für ihren Kunden ordern und lediglich Prodir damit beauftragen, ein Logo aufzudrucken, die schaffen damit keinen Mehrwert. Das ist was für den Webshop, etwas, an dem niemand mehr 30% verdienen darf, weil niemand eine Beratungsleistung erbracht hat. Das ist geradezu ein volkswirtschaftlicher Schaden, der da entsteht.

Die Digitalisierung hat auch ermöglicht, Kontakte während des Kontaktverbots überhaupt aufrecht zu erhalten. Auch die Durchführung des WA Media-Talks wäre ohne digitale Medien schwer geworden. Nun jedoch sind auch wieder Live-Formate in Planung. Ab August und September sollen die ersten Branchenmessen wieder stattfinden. Wie stehen Sie dem gegenüber?

Günter Schmidt: Die gesamte Messelandschaft wird sich grundlegend ändern. Man spürt es bereits jetzt: Der Zuspruch von Ausstellern und Besuchern nimmt ab. Ich freue mich auch nicht darauf, auf Messen mit einer Maske auftreten zu müssen. Aber das ist das Selbstverständliche, das Neue, mit dem wir lernen müssen umzugehen. Sieht man es positiv: Weniger Aussteller bedeuten auch weniger Mitbewerber, und dadurch sehe es ich durchaus als Vorteil, wenn ich als Fare präsent bin. Gehe ich nicht hin, geht vielleicht ein anderer. Die Eins-zu-Eins-Kontakte auf der HAPTICA® live, um mal ein Beispiel zu nennen, mögen aufgrund der geringeren Ausstellerzahl vielleicht auch die gleiche Qualität und Quantität haben wie vorher. Nicht hinzugehen, sich der Sache zu verschließen, wäre auf jeden Fall eine Lose-Lose-Situation. Das können und wollen wir uns nicht erlauben. Wir wollen stattdessen schauen, dass wir unsere Auslastung wieder weiter erhöhen können. Wie viele andere Kollegen sind wir bei etwa 50%, aber das kann auf Dauer nicht reichen. Wir werden alles tun und uns der Herausforderung stellen. Wir können nicht nur abwarten, was passiert.

Sebastian Römer: Es ist richtig, es bringt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Wir als Branche müssen langsam wieder hochfahren, und dazu gehört auch, die eine oder andere Messe zu belegen. Ich fürchte zwar, dass die Entscheidungsträger größerer Firmen noch nicht kommen dürfen, weil die Angst da ist, dass irgendwas passieren könnte und dann das ganze Marketing lahmgelegt ist. Deswegen hoffen wir insbesondere, dass die Mittelständler kommen dürfen und wollen und Entscheidungen vielleicht schon direkt auf der Messe getroffen werden können.

Kathrin Haupt-Schneider: Ich freue mich schon sehr auf die marke[ding] in Wien und werde diesmal als Vortragende dabei sein. Ich weiß von vielen Kunden, die sich auch einfach freuen, mal wieder raus zu kommen. Weniger Messen machen den Hunger auf Veranstaltungen auch wieder etwas intensiver.

Christoph Ruhrmann: Vielleicht ist es auch ganz gut, mal wieder weniger Messen zu machen, den Markt etwas zu bereinigen und vor allen Dingen nicht überall Anwender einzuladen. Da hatten wir zuletzt ja schon eine Art Tourismus. Wir sollten mehr zum klassischen Begriff Fachmesse zurückkehren. Wir haben unsere Messe auch wieder für den Februar 2021 mit 50 Ausstellern geplant und haben ein entsprechendes Hygienekonzept in Abstimmung mit der Location erarbeitet. Ich bin auch gespannt, wie viele Leute auf die HAPTICA® live kommen. Ich werde auf jeden Fall vor der Tür stehen.

// Das Gespräch führten Till Barth und Mischa Delbrouck am 23. Juni 2020.

Ein Zusammenschnitt der Zoom-Konferenz findet sich auf unserem YouTube-Kanal.

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