Lieferverzögerungen und -ausfälle, explodierende Rohstoff-, Lohn-, Energie- und insbesondere Transportkosten: Die für gewöhnlich so gut geölte Lieferkettenmaschinerie scheint derzeit komplett aus den Fugen geraten. Was bedeutet das für die Werbeartikelbranche? Wie läuft das Weihnachtsgeschäft? Wird sich der Markt verändern? Wann ist mit einer Beruhigung der Situation zu rechnen? Über die Folgen der Lieferkettenproblematik für den Markt haptischer Werbung sprachen im WA Media-Talk der markeding XPO die WA Media-Redakteure Till Barth und Dr. Mischa Delbrouck mit den Experten Jan Breuer (mbw), Mirco Häßlich (WER), Marcel Spiess (cadolino) und Lorne Spranz (Spranz GmbH).

Slider WA Xchange WN417 965x355 - „Es ist unser Job, dafür zu sorgen, dass wir trotzdem Ware haben“

Im März d.J. havarierte der Frachter Ever Given im Suezkanal. Acht Monate später sind die globalen Lieferketten immer noch gestört. Zahlreiche Unternehmen warten händeringend auf Ware, die Transport- und Materialkosten sind exorbitant gestiegen. Was ist da los?

Jan Breuer: Die Welt ist noch immer in Aufruhr. Die Pandemie hat zunächst den Grundstein gelegt, und dann kamen verschiedene andere Dinge hinzu, die jetzt dafür sorgen, dass wir nach wie vor Schwierigkeiten haben, Waren zu beschaffen. Wer jetzt ein gut gefülltes Lager hat, ist klar im Vorteil. Und ein Ende der Schwierigkeiten ist noch nicht absehbar.

Selbst der Riese Sony kann die zuverlässige Auslieferung der PS5 nicht garantieren. Viele Einzelhändler fürchten daher, dass das Weihnachtsgeschäft von den Lieferproblemen beeinträchtigt werden könnte. Wie sieht es mit dem Weihnachtsgeschäft in der Branche aus?

Marcel Spiess: Grundsätzlich läuft das Weihnachtsgeschäft dieses Jahr sehr gut, überraschend gut. Einige Kundenwünsche mussten wir leicht anpassen, damit wir es noch schaffen, rechtzeitig vor Weihnachten liefern zu können, aber aktuell scheint alles aufzugehen und noch einigermaßen vernünftig über die Bühne zu gehen. Noch!

Mirco Häßlich: Das Weihnachtsgeschäft ist o.k. Wir haben einige Sondereffekte mit Masken oder aktuell wieder Schnelltests, weshalb ich das schwierig mit dem Weihnachtsgeschäft 2019 vergleichen kann. Gefühlt liegen wir im klassischen Werbeartikelgeschäft bei 80% von 2019.


Die Situation ist ja auch deswegen so besonders, weil es gleich ganz viele Faktoren auf einmal gibt, die sich auf die Lieferketten auswirken: Rohstoffmangel, fehlende Fachkräfte, gestiegene Energie-, Frachtund Lohnkosten. An welchen Fronten kämpfen Importeure denn zurzeit?

Jan Breuer: Ich würde sagen: An allen, oder Lorne?

Lorne Spranz: Es gibt keine Front, an der wir nicht kämpfen. Ob das der Transport ist oder ob es Lieferengpässe vor allem in China sind, die auch durch die Power Shortages getriggert werden. Es gibt Fabriken, die von sechs Produktionstagen teilweise nur noch an ein, zwei oder drei Tagen die Woche mit Strom versorgt werden und produzieren dürfen. Das halbiert oder drittelt die Kapazitäten. Gleichzeitig hat das Weihnachtsgeschäft angezogen, nach der Pandemiepause hat das zu einem verstärkten Auftragseingang geführt. Das alles zu bedienen ist extrem schwierig, zumal die Probleme ja nicht aufhören, wenn die Ware auf dem Schiff ist. Der Hafen Hamburg z.B. hat zweieinhalb Wochen Nachlauf. Da sind die Zollbehörden teilweise noch in Kurzarbeit, was angesichts der Masse, die da gerade anbrandet, nicht ganz nachvollziehbar ist. Antwerpen und andere Seaports haben Wartefelder: Viele Schiffe liegen da auf Reede bzw. dürfen noch gar nicht in den Hafen. Das ist eine Katastrophe. Zusätzlich gibt es einen Mangel an LKWs und Fahrern. Erschwerend kommt hinzu, dass wir mit unseren Teams aus Deutschland seit nunmehr fast zwei Jahren nicht vor Ort sein können. Das ist schon ziemlich komplex und eine durchaus anspruchsvolle Situation.

Jan Breuer: Zu dieser Produktionsverknappung von sechs Tagen auf drei oder auf zwei: Wenn die chinesische Regierung sagt: „Wir machen den Himmel blau“, dann machen die den Himmel blau. Und dann stoppen die die Produktion.

Steckt da auch politisches Kalkül dahinter?

Jan Breuer: Wahrscheinlich immer. Wobei die Chinesen allerdings auch einen Anspruch haben, aus dem ein Interesse resultiert, zu exportieren und Umsätze zu tätigen.

Ein akutes Problem neben dem Transport ist der Rohstoffmangel. Welche Produktgruppen sind besonders betroffen?

Lorne Spranz: Auf jeden Fall schon mal Elektronik und Stahl. Elektronikbauteile, v.a. die preiswerten Chips, sind extrem knapp. Das wirkt sich ganz massiv auf die Lieferzeiten aus. Und Stahl – eloxierte Produkte, beschichte Metallprodukte usw. – ist ein ganz weites Spektrum, das geht ja bis zu Textilwaren. Auch der Preis für Silikon hat sich in den letzten drei Wochen um 100% erhöht. Das könnte man schon als signifikant bezeichnen. Jeden Tag, da man den Laptop aufklappt, kann es sein, dass man eine neue Nachricht erhält, die einen beschäftigt.

Jan Breuer: Wir haben zwar den Vorteil, keine Elektronikartikel im Sortiment zu haben, aber auch wir verarbeiten Kunststoffe oder Textilien und Plüschmaterialien. Da sieht es im Prinzip genauso aus.

Jan Breuer, mbw

„Wenn die chinesische Regierung sagt: ‚Wir machen den Himmel blauʻ, dann machen die den Himmel blau. Und dann stoppen die die Produktion.“

Fragen Kunden, die die Problematik kennen, anders an und wechseln die Produktgruppen?

Mirco Häßlich: Den Fall, dass sich ein Kunde von der Idee, die er hatte, komplett verabschiedet hat, hatte ich bislang noch nicht. Es gibt immer die Erwartungshaltung, dass wir einen entsprechenden Partner finden, der etwas liefern kann, was in die vorgesehene Richtung geht. Zum Glück haben wir da eine gute Auswahl. Man merkt schon, dass sich die Lieferanten unterschiedlich stark bevorratet haben. Wobei ich weit davon weg bin, denen einen Fehler vorzuwerfen, die nicht so stark ins Risiko gegangen sind, nachdem die Lager vom letzten Jahr noch relativ voll waren. Aber diejenigen, die das gemacht haben, haben schon auf die richtige Karte gesetzt.

Lorne Spranz: Es ist ja auch unser Job, dafür zu sorgen, dass wir trotzdem Ware haben. Wir diskutieren die Probleme, aber wir haben halt auch die Aufgabe, sie zu lösen. Natürlich gibt es Elektronikartikel, und natürlich haben wir auch welche bei uns vorrätig. Wir haben auch Stahlwaren. Zum großen Teil gelingt es, den Kunden entsprechend zu beraten und Lieferungen möglich zu machen – unter sehr schwierigen Bedingungen, aber es gelingt.

Jan Breuer: In der auftragsschwachen Phase Ware trotzdem schon eingekauft zu haben erweist sich jetzt als wesentlicher Vorteil. Das setzt natürlich voraus, dass man über eine entsprechende Liquidität verfügt, um die Waren hier auf dem Lager vorzuhalten und dann eben auch vom Lager bedienen zu können. Wir merken, dass die Nachfrage nach Lagerware größer geworden ist und Sonderanfertigungen aufgrund der langen Lieferzeiten eher etwas in den Hintergrund gerückt sind.

Mirco Häßlich: Wir hatten einen Auftrag, der exemplarisch zeigt, wie gut die Kunden mittlerweile auf die Situation reagieren: Papiermangel ist ja auch ein gravierendes Problem derzeit, und einer unserer Kalenderproduzenten kam in solche Schwierigkeiten, dass wir eine große Kalenderaktion gar nicht wie eigentlich angedacht liefern konnten. Wir haben dann eine Alternative gefunden, die vier Wochen später gekommen ist als ursprünglich vereinbart, mit anderen Kalendern und einer anderen Werbeanbringung. Vor zwei oder drei Jahren hätte uns der Kunde dafür den Kopf abgerissen, und wir wären wahrscheinlich rausgeflogen. In diesem Fall war es jedoch so, dass die Kundin anrief und sich dafür bedankte, dass wir es überhaupt hingekriegt haben, innerhalb von vier Wochen eine Alternative zu finden.

Marcel Spiess: Es ist nicht die erste Krise, die wir durchmachen. Eine der Stärken der Werbeartikelhändler europaweit ist es ja, dass man irgendwie reagieren muss und es dann auch schafft, den Auftrag durchzuführen. Es ist unsere Kernkompetenz, Lösungen zu finden und unsere Kunden zufriedenzustellen. Sonst braucht es uns ganz einfach nicht. Das wird auch in Zukunft so sein: Wer liefern kann, wer überzeugen kann und Alternativen bietet, der hat eine Daseinsberechtigung auf dem Markt.

Bei bis zu zehnfach teureren Frachtkosten drängt sich die Frage nach alternativen Logistiklösungen auf. Gibt es die?

Jan Breuer: Wir haben uns natürlich nach Alternativen umgeschaut. Aber bei Bahnfrachten z.B. hadern wir momentan auch mit Verspätungen. Aufgrund verschiedener Faktoren wie Streckenarbeiten in Weißrussland oder Polen ist die Ware, die wir mit der Bahn holen, auch nicht viel früher da als die, die über die See verschifft wird.

Lorne Spranz: Die Bahn ist natürlich rappelvoll, weil ja alle auf die Idee kommen, auf die Bahn umzuschwenken. Ganz aktuell habe ich auch gelesen, dass Cathay-Piloten, die Frankfurt in diesem Monat angeflogen haben, 21 Tage lang in Hotel-Quarantäne müssen. Das sind Entscheidungen, die die Situation nochmals massiv beeinflussen, weil die Piloten dann ja nicht ein, zwei Tage später nach Ankunft wieder losfliegen können. Wir brauchen aber das Frachtvolumen per Luftfracht.

Marcel Spiess: Dazu noch ein Beispiel: Swiss Air fliegt die Schweizer Sportler zu den Olympischen Spielen nach Peking. Lustigerweise ist es so, dass die Sportler ihre Sportgeräte jedoch nicht mitnehmen können, weil das Frachtvolumen der Swiss bis Oktober nächsten Jahres ausgebucht ist und gar kein Platz für zusätzliches Gepäck vorhanden ist. Da können die Schweizer Sportler womöglich nur mit Badehose und Handtasche reisen.

Die Kosten steigen rapide. Müssen entsprechende Preisanpassungen vorgenommen werden?

Jan Breuer: Wir haben auf der Einkaufsseite Preiserhöhungen aufgrund der Rohstoffsituation, der Frachtsituation und der derzeitigen Lage in China. Viele chinesische Produzenten erhöhen jetzt zusätzlich auch deshalb stark die Preise, weil sie aufgrund des Fachkräftemangels ihre Lohnkosten nach oben anpassen, um ihre Mitarbeiter zu halten. Bei so vielen Baustellen, mit denen wir zu kämpfen haben, bleiben Preiserhöhungen insbesondere zu Beginn des neuen Jahres nicht aus. Das kann keiner mehr verkraften, ohne dass die Preise erhöht werden.

Lorne Spranz: Nehmen wir die Transportkosten: Wenn der 40 Fuß-Container bislang 5.000 Dollar gekostet hat, und jetzt sind wir bei 15.000 oder 20.000 Dollar, dann kann sich jeder ausrechnen, dass das einen enormer Anstieg von 20 oder 30, teilweise 50% auf den Stückpreis nach sich zieht. Stahl war nach der Golden Week um 20 bis 30% teurer, Silikon und Eloxal sogar um 50%. Das hatte sich vorher nicht abgezeichnet. Da steht man dann da und staunt. Daraus resultieren Preiserhöhungen, die unvermeidlich sind.

Die Kunden kennen die Problematik und sind daher wahrscheinlich grundsätzlich eher bereit, Preiserhöhungen zu akzeptieren. Wie ist das aber bei Folgeaufträgen?

Mirco Häßlich: Es gibt informierte Kunden, die das verstehen und z.T. auch abnicken. Aber dann gibt es natürlich auch diejenigen, die grundsätzlich immer motzen und nachverhandeln. Da ist dann etwas Fingerspitzengefühl gefragt, um ihnen das zu erklären. Aber wenn der Kunde das nicht verstehen will, muss man ihm auch zu verstehen geben, dass er solange warten muss, bis es wieder günstiger wird. Für uns wird der Einkauf teurer, dann kann man das Produkt entsprechend auch nicht zum gleichen Preis wie vorher weiterverkaufen. Oder man hatte vorher so hohe Margen, dass man das noch puffern kann, aber da bewegen wir uns mittlerweile in Regionen, wo das relativ schwierig sein dürfte.

Lorne Spranz: Alternativprodukte sind da das Stichwort. Der Kunde muss sich halt entscheiden, ob er den Aufpreis zahlen will oder ein anderes Produkt wählt, was nicht teurer ist als das ursprüngliche.

Mirco Häßlich: Das empfehlen wir z.T. auch Kunden – zumindest im Fullservicebereich –, selbst dann, wenn sie selbst die Preiserhöhungen mitmachen würden. Denn in der Vergangenheit haben wir oft die Erfahrung gemacht, dass ein Artikel im Fullservice-Programm von den Vertrieblern nicht mehr bestellt wird, wenn er teurer geworden ist. Es ist daher in unser aller Interesse, in solchen Fällen zu versuchen, die Artikel im Fullservice-Programm durch andere Artikel zu ersetzen.

Marcel Spiess, cadolino

„Es ist unsere Kernkompetenz, Lösungen zu finden und unsere Kunden zufriedenzustellen. Sonst braucht es uns ganz einfach nicht.“

Geht denn die Wahl eines günstigeren Artikels zu Lasten der Qualität?

Lorne Spranz: Nicht unbedingt, das kann man so nicht sagen. In einer bestimmten Range, in der wir Lieferanten eine gewisse Kompetenz haben und breit aufgestellt sind, kann man ein preiswerteres Produkt liefern, was qualitativ ebenso hochwertig ist, aber nicht ganz die Ausstattung hat. Z.B. verzichtet man bei Trinkgefäßen vielleicht auf die Kupferbeschichtung. Das ist dann ein ganz kleiner Abstrich, durch den man vielleicht schon in die richtige Richtung beim Preis einschwenken kann. Qualitativ sind die Produkte aber immer noch hochwertig und gut benutzbar.

Angesichts der vielen Stellschrauben, an denen man derzeit drehen muss: Belastet die Gesamtsituation das Verhältnis zwischen Lieferanten und Händler, oder stärkt sie sogar die Partnerschaften?

Mirco Häßlich: Wir machen eher die Erfahrung, dass es zwischen Lieferanten und Händlern positiv läuft. Wir sind ja alle bemüht, das Weihnachtsgeschäft möglichst gut zu gestalten. Natürlich ist das anstrengend in Richtung Kunde. Wir hatten auch schon ein paar Mal den Fall, dass man etwas anbietet, der Kunde sich vielleicht sogar schneller als in der Vergangenheit entscheidet, und die Ware dann trotzdem schon abverkauft ist. Solche Situationen sind dem Kunden dann schwer zu erklären. Aber im Allgemeinen habe ich das Gefühl, dass die Zusammenarbeit mit unseren langjährigen Partnern sehr gut funktioniert.

Jan Breuer: Wichtig ist, dass man Transparenz zeigt und frühzeitig informiert. Wir sind nah dran an den Beschaffungsmärkten und informieren unverzüglich über Verzögerungen, wenn es zu welchen kommt, um dem Werbeartikelhändler einfach auch die Möglichkeit zu geben, mit seinen Kunden frühzeitig zu reden und unter Umständen noch auf andere Alternativen zurückgreifen zu können. Keiner von uns kann ja explizit etwas für die ganzen Probleme. Das sind ja ganze Problemketten – darüber muss man einfach reden. In den meisten Fällen bekommen wir Verständnis und finden auch gute Lösungen. Hier und da kommt es auch schon mal vor, dass wir dann etwas mehr bluten müssen, weil einfach kein Budget mehr zu holen ist. Aber auch da finden wir Lösungen.

Mirco Häßlich: Schwierig ist die Situation für das interne Team, weil wir einfach viel mehr Arbeit haben, wenn ein Artikel ausverkauft ist, und dem Kunden dann nochmal nicht ein, sondern zwei oder drei Alternativen heraussuchen müssen, deren Verfügbarkeit ja auch jeweils abgefragt werden muss. Das ist gerade aktuell im Jahresendgeschäft, da wir alle auch so schon genug zu tun haben, eine echte Herausforderung. Da kann man froh sein, dass die Mitarbeiter entsprechend mitziehen.

Hat sich die Wettbewerbssituation unter den Händlern verändert?

Marcel Spiess: Ich habe das Gefühl, dass wahrscheinlich der Schnellere der Sieger ist: Wer den Auftrag schneller kriegt, kann die Ware blockieren und bestellen. Das ist mitunter schon mühsam, wenn man einen Auftrag hat und ihn trotzdem nicht durchführen kann, weil ein anderer die Ware schon geordert hat. Aber letztlich drehen wir alle am gleichen Rad und sitzen im selben Boot.

Hat die Situation dazu geführt, dass Kunden sich schneller entscheiden, z.B. auch früher mal dran denken, dass bald Weihnachten ist?

Marcel Spiess: Tatsächlich hat sich das bei uns in der Schweiz ein kleines bisschen dahingehend entwickelt, dass es etwas schneller geht. Aber ich weiß schon jetzt: Es wird auch am 22. Dezember wieder Kunden geben, die erst dann merken, dass bald Weihnachten ist.

Jan Breuer: Das liegt allerdings auch daran, dass im Moment wieder viel diskutiert wird, was vor oder zu Weihnachten passiert und überhaupt möglich ist. Erste Weihnachtsfeiern werden bereits wieder abgesagt – auch das sind ja Events, auf denen Geschenke an Mitarbeiter verteilt werden. Diese Unsicherheit spielt da sicherlich mit rein. Auch für diese Kurzentschlossenen ist es wichtig, Ware vorrätig zu haben. Wir haben uns ja in den letzten Jahren zunehmend darauf eingestellt, dass wir innerhalb von zwei Tagen veredeln und so innerhalb von einer Woche auch Ware ausliefern können für diejenigen, die sich bis zum Schluss nicht entscheiden können oder wollen.

Lorne Spranz, Spranz GmbH

„Den ‚Alibaba-Importeur‘ gibt es, weil es das Postal Agreement gibt, das die Transportkosten für diese Leute aus China auf ein Maß herunterschraubt, von dem wir nur träumen können.“

Die Lieferkettenproblematik betrifft viele Werbeartikelanwender ja auch in ihrem eigenen Business. Wenn die Auftragsbücher voll sind, die Produktion aber z.B. in Kurzarbeit, weil Bauteile fehlen – wie wirkt sich das auf die Werbebereitschaft aus?

Jan Breuer: Wir sind in unserer Branche immer abhängig von Hoffnung und Zuversicht. Gewerbetreibende, die vorankommen wollen, werden schauen, ob sie mit Geschenken oder Werbeanzeigen mehr Aufträge generieren können als ohne. Ich kann nur für uns sprechen, aber wir haben seit August, September und insbesondere im Oktober extrem deutliche Zuwächse zu verzeichnen, auch im Vergleich zu 2019. Daher gehe ich schon davon aus, dass wir auf einem aufsteigenden Ast sind, aber auch das ist wiederum davon abhängig, was jetzt passiert, was seitens der Politik entschieden wird und ob wir wieder in einen Lockdown müssen.

Marcel Spiess: Wir diskutieren heute über das Thema, aber morgen sieht es vielleicht schon wieder anders aus. Auch bei uns hat es seit August massiv angezogen. Die ersten sieben Monate waren eine Katastrophe, jetzt können wir uns kaum gegen die Aufträge wehren. Aber ob der Trend im Januar, Februar und März weiter anhält, das wissen wir heute nicht.

Lorne Spranz: Schon das Weihnachtsgeschäft, das jetzt unmittelbar ansteht, lässt sich bei den exponentiell steigenden Inzidenzwerten nicht gut einschätzen. Wenn die Weihnachtsmärkte abgesagt werden und die ganzen Veranstaltungen ausfallen, wenn Deutschland eventuell mal wieder zu spät reagiert, wie leider Gottes auch schon in den Wellen zuvor, und wenn dadurch das Weihnachtsgeschäft komplett fortgefegt wird, weil die Leute nicht raus und einkaufen können, dann wird das natürlich auch unser Geschäft beeinflussen.

Marcel Spiess: Auch die Lieferengpässe selbst werden wirklich zum Konjunkturrisiko, und zwar länderübergreifend. Wir hatten positive Prognosen für 2021, sensationelle Prognosen für 2022, die jeweils wieder runter korrigiert worden sind. Es bleibt dabei: Wir müssen flexibel sein. Unsere Stärken werden auch in 2022 gebraucht.

A propos „flexibel sein“: Sorgt die Situation dafür, dass man sich jetzt nach neuen Lieferketten umschaut und mehr in Richtung europäischer Fertigung orientiert?

Jan Breuer: Ich denke, jeder, der Waren aus China bezieht, hat sich nicht erst seit der Pandemie, sondern auch in den Jahren zuvor schon umgeschaut. Aber für unsere Produkte gibt es keine echte Alternative zu China. Selbst wenn man Fabriken in Europa findet, die etwas zusammennähen können, kommen oftmals die Materialien doch noch aus Fernost.

Lorne Spranz: Das gilt auch für einen Großteil unserer Kollektion: Elektronik, Stahl, Trinkgefäße … Diese Fertigungen gibt es nicht mehr in Europa. Ebenso wenig die Rohstoffe oder die ganzen Zulieferer. Wenn man ein Board zusammenlöten möchte, braucht man ja auch die ganzen Komponenten dafür. Was in Deutschland gemacht wird, ist extrem hochwertig. Bei den Preisen, die dafür aufgerufen werden, würden einem die Augen ausfallen. Das ist schon sehr schwierig.

Jan Breuer: Es wurde in den vergangenen Jahren durch die Politik auch nicht leichter gemacht. Wir sitzen z.B. in einem Mischgebiet, wo man auch nur gewisse Emissionen freisetzen darf. Hier eine Druckerei oder gar eine Produktion aufbauen zu wollen wäre heutzutage nur schwer möglich. Das haben wir in den letzten Jahren sicherlich auch hier und da ein bisschen vergeigt. Deswegen ist China nun mal der Produktionsmotor der Welt.

Mirco Häßlich: Es ist etwas abhängig von den Sortimenten, die man hat. Bei den angesprochenen Produktgruppen wird es schwierig, diese nach Deutschland zurückzuholen. In vielen anderen Bereichen hat man aber auch schon vor Corona aufgrund des Nachhaltigkeitsthemas gemerkt, dass die Kunden den Fokus auf deutsche und europäische Produktion deutlich erhöht haben, was sich durch die jetzige Situation eher noch verstärkt hat.

Jan Breuer: Wir haben auch Alternativen geschaffen. Wir produzieren z.B. Wollfilz-Schlüsselanhänger und Mäppchen in Deutschland, sogar hier in der Region um Flensburg, andere Randprodukte lassen wir in Bayern fertigen. Also, es ist möglich, aber es betrifft weniger als 10% unseres Gesamtvolumens, das wir hier in Europa fertigen können. In unserem speziellen Bereich, in dem die Arbeiten sehr zeitintensiv sind und viel Handarbeit erfordern, geht das dagegen nicht. Wir merken auch jetzt schon, dass in China teilweise seitens der Plüschproduzenten gar kein Interesse mehr besteht, kleine Schüsselanhänger zu nähen, weil sie lieber größere Teile machen, die einfacher zu nähen sind, weniger Aufwand nach sich ziehen und für die sie mehr Geld bekommen.

Lorne Spranz: Wir haben auch einen Teil unserer Fertigung in Deutschland erhalten: zum einen die Hochfrequenzverschweißung, zum anderen unsere komplette Veredelung, die wir gegen den Trend nicht nach Osteuropa verlagert haben wie viele andere Unternehmen. Wir kämpfen um den Standort, aber wir können nur das erhalten, was wir hier fertigen können, was uns die Politik erlaubt und wo auch die Rahmenbedingungen stimmen. Wenn jetzt der Mindestlohn auf 12 Euro erhöht wird und wenn die Rahmenbedingungen weiter angepasst werden, dann wird das bestimmt auch noch etwas schwieriger im europäischen Wettbewerb und im Wettbewerb mit China.

Mirco Häßlich, WER

„Wir können froh sein, wenn wir bis zum nächsten Jahresendgeschäft weitestgehend mit der Problematik durch sind.“

Gibt es denn auch Kunden, die von sich aus sagen, dass sie lieber europäische Ware wollen?

Marcel Spiess: Ja, die gibt es auf jeden Fall. Aber das ist eben die Frage, ob die Produkte einfach zu beschaffen sind. Was wir in den letzten 30 bis 40 Jahren verpasst haben, werden wir nicht in drei bis vier Monaten aufholen. Das ist utopisch.

Mirco Häßlich: Es ist allerdings auch dieselbe Thematik wie vor ein paar Jahren, als das Thema Nachhaltigkeit schon einmal hochgekommen ist und dann zunächst relativ schnell wieder eingestampft wurde. Alle wollten nachhaltig einkaufen, aber keiner wollte nachhaltig bezahlen. Jetzt ist es auch so, dass in vielen Fällen „Made in Europe“ gewünscht wird, aber wenn man den Preisunterschied sieht, entscheiden sich viele dann doch für die Variante aus Asien. Da jedoch, wo man es preislich gut gestalten kann, wird vieles in Zukunft nicht mehr über Asien laufen.

Marcel Spiess: Wir sind immer abhängig von China. Leider. Wir werden nicht drum rum kommen, da etwas aufzuholen.

Mirco Häßlich: Man darf auch nicht zu blauäugig sein: Wenn die chinesische Regierung merken sollte, dass wir versuchen, dort Produktionen abzuziehen und nach Deutschland zurück zu verlagern, dann wird sie auch dafür sorgen, dass die Rohstoffe, die wir brauchen, für uns so teuer werden, dass es wiederum keinen Sinn macht, das bei uns zu machen.

Jan Breuer: Alles ist immer auch eine Frage von Angebot und Nachfrage. Nehmen wir die Frachtsituation, wie wir sie im Moment haben – Containerpreise, die von 1.800 Dollar auf bis zu 18.000 Dollar gestiegen sind – das müsste ja nicht sein. Die Reedereien erwirtschaften derzeit Gewinne, dass sie vor Lachen nicht in den Schlaf kommen. Die haben in wenigen Monaten so viel Geld verdient wie noch nie.

Lorne Spranz: Es gibt fünf große Frachtgesellschaften für Container, und alle sind einer Meinung. Das ist eine solche Einigkeit – Wahnsinn! Künstliche Verknappung könnte man das auch nennen.

Jan Breuer: Ja, aber wenn sich bestimmte Dinge wieder beruhigen oder Alternativen aufkommen, dann gehen die Preise auch wieder runter, da bin ich mir ziemlich sicher. Doch im Moment ist das noch nicht absehbar.

Gibt es denn eine Prognose, wie lange die Situation noch andauern wird? Am 1. Februar beginnt ja Chinese New Year – das ist ja ohnehin immer ein Anlass, zu dem es zu Unterbrechungen bei den Produktionen kommt.

Jan Breuer: Was nach Chinese New Year passiert, ist für uns alle immer ein Glücksspiel. Es mangelt oftmals auf einmal an Arbeitskräften, die nicht zurückkommen, weil die Wanderarbeiter in ihren Regionen verbleiben oder vielleicht auch von anderen Fabriken, z.B. aus dem Mobilfunkbereich, die einfach ein bisschen besser bezahlen, abgeworben werden.

Lorne Spranz: Im Prinzip ist es unmöglich, irgendwelche Prognosen zu treffen, weil ja auch niemand weiß, welche neuen Regulierungen es geben wird: Wird Zero COVID weiter verschärft, wird Power Shortage verschärft? Es ist immer möglich, Auswege zu finden, aber Vorhersagen? Da wüsste ich nicht, wie man die treffen kann.

Wird sich durch die derzeitige Situation etwas an der Kundenerwartung ändern? Bislang war man ja gewöhnt, immer ständig alles verfügbar zu haben: Merken die Kunden nun, dass nicht immer alles so schnell gehen kann, wie sie es gewohnt sind?

Jan Breuer: Kurzfristig vielleicht, aber mittelfristig nicht. Wenn man mal zurückdenkt: Wir befinden uns jetzt im 18. oder 19. Monat der Pandemie. Anfangs haben wir da auch gedacht, dass sich gewisse Dinge verändern würden. Aber sobald die ersten Öffnungen durchgeführt wurden, drängelten sich alle wieder an den Kassen. Ich glaube, die Menschheit lernt nicht nachhaltig genug, daher werden sich die Dinge relativ schnell wieder so entwickeln, wie sie mal waren.

Mirco Häßlich: Solange es einen Amazon gibt – und den wird es ja wahrscheinlich noch relativ lange geben –, solange man alles immer kurzfristig bestellen kann, wird das, was unsere Kunden privat gewohnt sind, genau der Anspruch sein, den wir auch in Zukunft erfüllen müssen.

Wie wird die Lieferkettenproblematik den Werbeartikelmarkt verändern? Sehen wir gerade das Ende des „Alibaba-Importeurs“ auf uns zukommen?

Lorne Spranz: Den „Alibaba-Importeur“ gibt es, weil es das Postal Agreement gibt, das die Transportkosten für diese Leute aus China auf ein Maß herunterschraubt, von dem wir nur träumen können. Transportkosten von 5 Dollar aus China nach Deutschland sind ja surreal, wenn man bedenkt, dass ein TNT-Päckchen etwa 50 Dollar kostet. Die werden nicht vom Zoll kontrolliert, die Wettbewerbsbedingungen sind nicht gleich. Es wäre sicherlich wünschenswert, wenn da mal etwas dran geändert werden würde. So kommt ja völlig unkontrollierte Ware ins Land mit Qualitätsstandards, die höchst fraglich sind, weil einfach die Millionen von Päckchen jeden Tag nicht zu kontrollieren sind – wir dagegen haben Zertifikate, Prüfungen und Beschauen …

Jan Breuer: Letztendlich spielt da der Konsument eine große Rolle. Wenn der nicht nach Prüfberichten und Zertifikaten fragt und die Ware so nimmt, wie sie kommt, dann liegt es ja an ihm. Ich weiß z.B. von Amazon, dass sie stark nachfragen nach Konformitätserklärungen der Hersteller für die Waren, die dort auf dem Amazon Marketplace angeboten werden. Ich glaube, bei Alibaba gibt es noch nichts dergleichen.

Lorne Spranz: Der Konsument ist gewöhnt, dass das, was ihm angeboten wird, auch sicher ist. Der hinterfragt das nicht großartig, der hat auch nicht die Expertise dafür. Und ein Anbieter aus China, der Zertifikate vorlegt, vor Ort aber nicht überprüft wird und keine QC-Teams vor Ort hat – was soll man von einem solchen Zertifikat halten? Nun ja! Und bei Alibaba? Nun ja, nun ja! Der Schlüssel zu deren Erfolg liegt in den preiswerten Transportkosten, weshalb ein Päckchen von dort genauso viel kostet wie eines aus Wanne-Eickel. Das ist irgendwie blöd. Das verzerrt.

Marcel Spiess: Es ist ein frommer Weihnachtswunsch von Lorne, dass es dort in diesem Bereich zu Regulierungen kommt. Aber den unterstütze ich voll und ganz: Wir lassen das Datum mal offen, wann der erfüllt werden könnte, aber wenn alle auf der gleichen Stufe starten und alle dieselben Prüfungen hätten – das wäre wirklich mal wünschenswert, auch hier in der Schweiz. Was die weiteren Veränderungen angeht: Wir sind ja zehnmal kleiner als Deutschland. Von daher gesehen kennen wir ohnehin kleinere Auflagen. Die Tendenz – nicht erst seit der Krise – geht schon in Richtung kleinerer Auflagen, die qualitativ einen wirklichen Mehrwert bieten. Das ist in der Schweiz aber auch insofern interessant, da hier Produkte ruhig auch mal etwas mehr kosten dürfen.

Mirco Häßlich: Insgesamt wird sich alles relativ schnell wieder auf dem Stand bewegen, wie es vorher war, sobald sich alles rundherum normalisiert hat. Es ist nur die Frage: Wie lange dauert das? Und da sehe ich aktuell nicht ansatzweise ein Ende in Sicht. Wir können, glaube ich, froh sein, wenn wir bis zum nächsten Jahresendgeschäft weitestgehend mit der Problematik durch sind. Wenn mir jemand dafür eine Garantie geben würde, würde ich das glatt so unterschreiben.

Jan Breuer: Ich würde mir natürlich wünschen, dass es schon früher der Fall ist, aber das ist ein bisschen wie in die Glaskugel zu schauen. Ich denke, es ist wirklich wichtig, einen guten Lagervorrat zu haben und den Bereich der Individualisierungs- und Veredelungsmöglichkeiten sukzessive auszubauen, um gute Alternativen zu Sonderanfertigungen zu bieten, damit die Kunden dann auch mit einem individuell gestalteten Lagerprodukt glücklich sind.

Was kann man für das eigene Unternehmen aus dem aktuellen Dilemma lernen?

Lorne Spranz: Viele im Markt sind sehr lernfähig und stellen sich auf die Situation ein. Und das sind auch diejenigen, die grundsätzlich erfolgreich arbeiten. Es gab auch welche, die den Kopf eingezogen haben und darauf warteten, dass die Krise vorbeizieht, aber das tut sie nicht, sondern sie verbleibt, sie mäandert sozusagen und kriegt immer neue Ausprägungen. Unsere Aufgabe ist es, uns auf die Herausforderung einzulassen und sie zu bestehen. Wir setzen auch auf gut gefüllte Lager. Natürlich haben wir jetzt nicht halb Koblenz überdacht, und deswegen gibt es auch Produkte, die ausverkauft sind. Wir setzen auf deutsche Produktion, auf Schnelligkeit, auf deutsche Veredelung. Wir müssen die Bedingungen, so wie sie sind, annehmen und partnerschaftlich entgegenwirken.

Jan Breuer: Man kann sagen: Nichts bleibt, wie es ist. Aber ich habe mal den schönen Satz gelesen: „Krise ist ein produktiver Zustand – man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Wir haben zu Beginn von Corona alles dafür getan, um weiterzumachen, haben unheimlich viel gearbeitet, gefühlt mehr als je zuvor. Und das zahlt sich jetzt aus. Aber was die Zukunft bringt, wissen wir alle nicht. Wir müssen aber flexibel genug sein, um darauf reagieren zu können, und irgendwie schaffen wir das in unserer Branche auch gut, alle miteinander, Lieferanten und Händler. Das ist doch auch ein positives Signal aus unserem Bereich. Ich glaube, es war z.B. keine Branche so schnell in der Lage, Desinfektionsmittel und Masken zu beschaffen, wie es die Werbeartikelbranche war.

Marcel Spiess: Ich möchte mich anschließen: Flexibel bleiben, schnell reagieren. Nicht jede Zeitung, nicht jedes Medium lesen, das die neuste Krise herbeibeschwört. Lieber: Einfach dran bleiben.

Mirco Häßlich: Flexibilität und Aktivität sind die Stärke unserer Branche. Die müssen wir uns beibehalten.

Foto: © WA Media

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