Spätestens seit COVID-19 gehört der Vertrieb medizinischer Produkte zum Geschäftsalltag vieler Werbeartikelberater. Jedoch gibt es für den rechtskonformen Einsatz einiges zu beachten, warnt Marc Sauer, seit 2003 Geschäftsführer von Gramm medical. Das Unternehmen vertreibt über die Division Medical Promotion Medizinprodukte und Erste-Hilfe-Ausstattungen im Werbeartikelmarkt. Als ausgebildeter Medizinprodukteberater ist Sauer u.a. verantwortlich für die Qualitätssicherung und Rechtskonformität der Produkte.

marc sauer interview - "Viele Händler sind sich der Verantwortung, die sie haben, nicht bewusst"

Marc Sauer

Das Thema Gesundheit war in den letzten zwei Jahren allgegenwärtig. Spürt man das auch im Werbeartikelmarkt?

Marc Sauer: Im Hygienebereich, sprich bei Masken und Desinfektionsmitteln, haben wir eine stärkere Nachfrage verzeichnet, zudem waren bedruckbare Pflaster als Injektionspflaster sehr gefragt. Unsere weiteren Medizinprodukte sind jedoch im Werbeartikelbereich in den letzten beiden Jahren selten zum Einsatz gekommen, weil durch den Wegfall von Veranstaltungen und Kundenkontakten ein geringerer Bedarf an gegenständlichen Werbeträgern vorhanden war und insgesamt wenig Geld für haptische Werbung ausgegeben worden ist. Jetzt spüren wir jedoch, dass die Anfrage auch nach größeren Mengen wieder anzieht. Sicherlich hat insgesamt eine Sensibilisierung dafür stattgefunden, dass man sich mehr um Gesundheitsthemen kümmern muss – gerade auch in Verbindung mit  anderen Themen wie Nachhaltigkeit. Viele verstehen auch, dass z.B. unserer Erste Hilfe-Boxen keine Wegwerfartikel sind, sondern Langzeitwerbeträger, die die Zielgruppe oft fünf Jahre und mehr begleiten, dass man mit solchen Artikeln also gleich mehrere aktuelle Trends im Fokus hat.

Im Mai letzten Jahres ist eine neue Medizinprodukteverordnung (MDR) in der EU in Kraft getreten. Welche Produkte gelten denn als Medizinprodukte?

Marc Sauer: Medizinprodukte werden als solche über ihren Verwendungszweck definiert. Alles, was eine heilende oder lindernde Wirkung haben soll, ist demnach ein Medizinprodukt. Dazu gehören die klassischen Verbandsmaterialien und Erste Hilfe-Koffer, dazu gehören OPMasken und Pflaster, aber auch Kondome oder Kühlpads.

Was sind die wichtigsten Änderungen, die sich durch die MDR ergeben?

Marc Sauer: Bislang gab es EU-weit nur eine Richtlinie, die durch nationales Recht – in Deutschland durch das Medizinproduktegesetz – umgesetzt worden ist. Nun ist die Verordnung bindend für alle EU-Mitglieder. Während die meisten Punkte der Verordnung auch schon im Medizinproduktegesetz ganz ähnlich reguliert worden sind, gibt es einen wesentlichen Unterschied, der auch im Werbeartikelmarkt von großer Bedeutung ist: Mit Inkrafttreten des MDR haben sich die Pflichten für Händler bedeutend erweitert. Laut Artikel 14 ist der Händler verantwortlich dafür, die korrekte Kennzeichnung und die Konformität der Produkte zu kontrollieren und kann genauso dafür belangt werden wie der Inverkehrbringer, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Hier handelt es sich nicht um Bagatellvergehen, sondern es kann bei gesundheitlichen Problemen auch zur strafrechtlichen Verfolgung kommen. Kommt es zu einem Rückruf, bei dem alle Produkte vom Markt zurückgenommen werden, ist auch der potenzielle wirtschaftliche Schaden immens. Und es ist davon auszugehen, dass die zuständigen Behörden, in Deutschland etwa das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, weitaus strenger kontrollieren werden, als es bislang der Fall war. Wir versuchen diesbezüglich bestmögliche Aufklärungsarbeit – auch z.B. über den GWW (Gesamtverband der Werbeartikel-Wirtschaft e.V.) – zu leisten, aber noch sind sich viele Händler der Verantwortung, die sie haben, nicht bewusst.

Worauf müssen Werbeartikelhändler denn achten, wenn sie Medizinprodukte vertreiben?

Marc Sauer: Das Wichtigste ist die Einhaltung der Kennzeichnungspflicht. Elementar ist die korrekte Anschrift des Herstellers bzw. Inverkehrbringers, damit Anwender bei Problemen – z.B. Hautirritationen nach Anbringen eines Pflasters – eine direkte Anlaufstelle haben, bei der sie sich über Inhaltsstoffe etc. informieren können. Anders als bei anderen Werbeartikeln reicht es daher nicht, wenn die Anschrift des Händlers auf dem Produkt aufgedruckt ist. Der Hersteller oder Inverkehrbringer muss in der EU ansässig sein bzw. einen entsprechenden Bevollmächtigten in der EU haben, er muss die Produkte beim zuständigen Regierungspräsidium registrieren. Dieser Registrierungsprozess ist enorm aufwendig und beinhaltet u.a. eine Dokumentation, die es ermöglicht, Chargen bis zum Rohstoffhersteller rückzuverfolgen. Der klassische Werbeartikelimporteur z.B. ist dazu eher nicht in der Lage und wird die Produkte im Regelfall auch über einen Spezialisten beziehen. Jedes Medizinprodukt muss mit dem CE-Kennzeichen versehen sein und zudem eine Gebrauchsanweisung oder zumindest eine genaue Bezeichnung des Produkts in der jeweiligen Landessprache, wo es vertrieben wird, beinhalten. Artikel- und Seriennummer müssen angebracht werden, das Ablaufdatum – z.B. bei Sterilprodukten – muss deutlich lesbar, die Symbolik an international gültigen Standards ausgerichtet sein. Aus all diesen Gründen dürfen Händler Medizinprodukte auch nicht umkonfektionieren, weil dann womöglich nicht mehr alle relevanten Informationen auf den neuen Verpackungen erkennbar sind.

Nun sind Werbeartikelberater keine Experten für Medizinprodukte – wie sichern sie sich denn bestmöglich ab, dass sie keine unzulässigen Waren in Umlauf bringen?

Marc Sauer: Als ersten Schritt empfehlen wir, sich vom Original-Hersteller die Konformitätserklärung zuschicken zu lassen. In der steht alles dezidiert drin: in welcher Produktklasse und nach welchen Richtlinien der Artikel zertifiziert worden ist, welche Stelle den Hersteller überwacht, … Wir haben zudem ein Whitepaper für Werbeartikelhändler entwickelt, das wir gerne zur Verfügung stellen. Darin gibt es auch eine Checkliste, die Händler genau abarbeiten können. Das sollten sie auch tun – letztlich geht es nicht nur um ihre eigene rechtliche Sicherheit, sondern auch um die des Kunden und des Anwenders. Wenn man Waren tatsächlich zurückrufen muss, ist der Imageschaden für alle Beteiligten ja immens. Obendrein haben Händler eigentlich auch eine Pflicht zur Marktbeobachtung. Streng genommen müssen sie es melden, wenn sie Produkte sehen, die offenkundig nicht rechtskonform sind.

interview medical1 - "Viele Händler sind sich der Verantwortung, die sie haben, nicht bewusst"

So geht’s: Beispiel für ein gesetzeskonformes, deutlich gekennzeichnetes und zulässiges Medizinprodukt.

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So bitte nicht – es fehlen wesentliche Angaben wie die zum Hersteller, zur Artikel- und Seriennummer.

Was sind denn Ihre Erfahrungen: Gibt es viele Produkte im Markt, die den Vorschriften nicht entsprechen?

Marc Sauer: Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass in neun von zehn Online-Shops der Werbeartikelberater Medizinprodukte gelistet sind, die so nicht rechtskonform angeboten werden können. Das könnte für die betroffenen Händler aus o.g. Gründen, einfach weil sich die Verantwortungsrolle des Händlers
durch das MDR geändert hat, zu einem Problem werden. Das ist aber auch ein Problem für den Markt medizinischer Produkte an sich. Die Dokumentation und Qualitätssicherung ist enorm aufwendig und kostet daher viel Zeit und Geld, die Anforderungen an die Qualitätssicherung haben sich beispielsweise vervierfacht. Viele kleinere Unternehmen werden sich das gar nicht mehr leisten können. Durch Anbieter, die sich nicht an die Bestimmungen halten, sind jedoch die Preise im Markt kaputtgemacht worden, Händler und Anwender sind zurzeit noch an Preise gewöhnt, die nicht mehr marktfähig sind. Das wird sich ändern müssen.

// Mit Marc Sauer sprach Dr. Mischa Delbrouck

Bildquelle: Medical Promotion

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