Karl Werner Schmitz zählt zu den Pionieren des haptischen Marketings, ist Verkaufstrainer, Marketinginnovator und Buchautor. Im Interview mit den Werbeartikel Nachrichten erklärt er, warum Corona das Bewusstsein für die Bedeutung der Haptik gestärkt hat, wo Potenzial verschenkt wird, worin der „Bentley-Effekt“ besteht und wie haptische Werbung dazu beiträgt, Geschäftsabschlüsse zu tätigen.

Herr Schmitz, Haptik. Der Supersinn ist bereits Ihr viertes Buch, das sich dem Thema Haptisches Verkaufen widmet. Was hat Sie veranlasst, ein weiteres Buch zu schreiben?

Karl Werner Schmitz: Zum einen gab es den ganz profanen Grund, dass mein alter Verlag seinen Sitz in England hat und aufgrund des Brexits keine Bücher mehr nachdrucken wollte, die auf dem Kontinent vertrieben werden. Zum anderen gab es aber auch den inhaltlichen Punkt, dass wegen der Corona-Pandemie das Thema Berührung bei den Menschen und in den Medien einen höheren Stellenwert eingenommen hat. Wir haben alle gemerkt, wie wichtig es ist, sich treffen zu können. Der Lockdown hat uns die Sehnsucht nach körperlicher Nähe und Berührungen ins Bewusstsein gerufen. Es gibt dieses ikonische Foto, das auch im Rahmen der World Photo Press Awards 2021 zum weltbesten Pressefoto gekürt worden ist, bei dem eine Krankenschwester eine Patientin durch einen Vorhang umarmt. Erst der Verlust macht bewusst.

Karl Werner Schmitz 13 - „Haptik erzeugt Aufmerksamkeit“Karl Werner Schmitz, Jg.1956, ist Inhaber der KWS Haptische Verkaufshilfen e.K. in Much. Bereits seit Mitte der 1980er Jahre beschäftigt er sich mit der Wirkung der Haptik in Marketing und Verkauf, hält Vorträge und Webinare und berät Unternehmen. Schmitz hat mehrere Bücher zu dem Thema verfasst, nach Haptisches Verkaufen (2003), berühren – begreifen – kaufen (2010) und Die Strategie der 5 Sinne (2014) erschien im letzten Jahr Haptik. Der Supersinn im Verlag ONE World Distribution. Darin schildert er in zehn Kapiteln wie „Produkte zum Anfassen“, „Haptisches Marketing am Point of Sale“ oder „Multisensorische Corporate Identity entwickeln“ auf knapp 250 Seiten, wie sich Unternehmen durch die Implementierung haptischer Elemente einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können. Zahlreiche Beispiele veranschaulichen die Gedankengänge des Autors, in didaktischen Dialogen zwischen einem imaginierten Leser und dem Autor werden kritische Fragen aufgegriffen und beantwortet.

Ihr letztes Buch stammt aus 2014. Was hat sich gegenüber der letzten Auflage verändert?

Karl Werner Schmitz: Die digitale Welt mit ihrer Überflutung an Informationen und Reizen macht sich selbst kaputt. Auch das hat man in der Corona-Zeit wieder gut beobachten können. Zu Beginn galten Online-Seminare als ein Ausweg aus der Kontaktlosigkeit, mittlerweile hat keiner mehr Lust, an Webinaren teilzunehmen. Digitale Medien, die keine haptischen Berührungspunkte einbauen, haben sich unglaublich schnell verbraucht. Anders ist es, wenn es gelingt, beides miteinander zu verknüpfen. Mein Kunde Igus Kunststoffe, ein Spezialist für Hochleistungspolymere für Bewegung, verschickt an seine Kunden regelmäßig haptische Muster von Neuheiten und lädt dann dazu ein, an Webschulungen teilzunehmen, um die Muster zu erklären. In dem Augenblick entsteht durch die Rückkopplung ans Haptische geradezu eine magische Verbindung zwischen Ver- und Einkäufer.

Buch Haptik Supersinn 1 - „Haptik erzeugt Aufmerksamkeit“

Haptik. Der Supersinn, erschienen 2021 im Verlag ONE World Distribution, ist das vierte Buch von Karl Werner Schmitz über haptisches Verkaufen und Marketing.

Schon 1987 haben Sie die Methode des haptischen Verkaufens entwickelt und sind seit dieser Zeit ein engagierter Kämpfer dafür, mehr Bewusstsein für die Bedeutung der Haptik zu schaffen. Haben Sie das Gefühl, dass Sie damit erfolgreich sind?

Karl Werner Schmitz: Ich freue mich wie ein Schneekönig, wenn ich mitbekomme, dass bei immer mehr klugen Menschen Wissen über die Wirkung der Haptik vorhanden ist. Es gibt durchaus die Erkenntnis, dass man sich der Haptik mehr widmen müsste, wenn man etwas erreichen will. E-Mail-Marketing z.B. – das kann man knicken. Es ist sinnvoller, Karten zu schreiben, mit Kartonagen oder Pop-up-Inhalten Aufmerksamkeit zu erzeugen, um daraus dann Geschäfte zu generieren. Aber dafür muss man natürlich bereit sein, gewisse Budgets zu investieren. Und leider ist überall eher Sparen angesagt.

Sie bezeichnen Haptik als „Supersinn“, ja sogar als „Lebenssinn“, da wir ohne haptische Erfahrungen nicht überleben könnten. Wo liegt aber der konkrete Nutzen für Unternehmen darin, sich der Haptik im Business zu widmen?

Karl Werner Schmitz: Es geht u.a. um Responsequoten. Haptik erzeugt Aufmerksamkeit, und man kann messen, wie sich die Erfolgsquote eines Mailings steigert, wenn etwas Kleines beigelegt wird oder wenn die Oberfläche einen haptischen Effekt hat. Leider geschieht es viel zu selten, dass das auch gemessen wird. Was mich zudem stört: Oftmals wird im Bereich der haptischen Werbung Potenzial verschenkt. Der beste haptische Werbeträger ist ein Medium, das den Sinn der Werbebotschaft auf unverwechselbare Weise verkörpert, aber häufig werden Artikel unüberlegt eingesetzt oder verfehlen die Kernbotschaft. Ein Beispiel aus der Praxis: Ich habe einmal auf der HAPTICA® live für einen Finanzdienstleister, der seinen Kunden verspricht, sich ein „Finanzpolster“ anlegen zu können, nach einem Sitzpolster gesucht und auch einen Lieferanten gefunden, der das liefern konnte. Der zentrale Einkauf des Kunden wollte das Produkt dann jedoch über seine Stammlieferanten beziehen, die ihm aber kein vergleichbares Produkt anbieten konnten. Letztlich ist es dann ein Reinigungsschwämmchen geworden. Da ärgere ich mich schon wie doof. Also: Das Bewusstsein ist da, der Kostendruck jedoch enorm, daher sind viele Umsetzungen im Endeffekt suboptimal.

Sie argumentieren öfter damit, dass Haptik Authentizität erzeugt, die Finger die Entscheidungsinstanz sind und haptische „Wahr“nehmungen buchstäblich als „wahr“ empfunden werden. Haben Sie dafür Erklärungen?

Karl Werner Schmitz: Haptik erlaubt es, komplexe und abstrakte Sachverhalte in konkrete Erfahrungen zu übersetzen. Und was wir selbst erlebt haben, das glauben wir auch. Nehmen Sie z.B. die Formel P = F/A, eine physikalische Formel, die besagt, dass Druck der Quotient aus Kraft durch Fläche ist. Verstehen kann die Formel jeder, der einen Bleistift zunächst mit dem dicken Ende auf einen Daumen drückt – das wird auch bei hoher Kraftanwendung selten schmerzen – und dann mit der Bleistiftspitze, wo bei gleicher Kraftanstrengung der Druck deutlich stärker spürbar ist. Ich sollte mal einen Manager binnen einer Viertelstunde davon überzeugen, warum Haptik so wichtig sei. Es stellte sich dann im Gespräch heraus, dass er als Zweitwagen einen Bentley Coupé mit 600 PS fuhr. Der Mann hatte ein halbes Vermögen ausgegeben, nur um sich in seiner Freizeit an den multisensorischen Reizen eines Sportwagens zu erfreuen. Was sollte ich dem noch von der Haptik erzählen. Das habe ich ihm auch so gesagt, und das hat ihn überzeugt.

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Mit haptischen Erklärhilfen das Verkaufsgespräch steuern, z.B. in der Versicherungsbranche: Der Häppi symbolisiert den Menschen und die Grundlage seines Lebens. Bricht das Podest der Einkünfte – seine Arbeitskraft – weg, reicht die gesetzlich gesicherte Versorgung nicht aus, um ihn zu stabilisieren, er braucht Sicherheiten durch private Vorsorge.

Ein ganzes Kapitel widmen Sie haptischen Verkaufshilfen. Wie können diese die Kaufbereitschaft erhöhen?

Karl Werner Schmitz: Im Grunde bedienen sie sehr einfache Reflexe: Im Verkaufsgespräch erzeugt ein Gegenstand, der auf den Tisch gelegt wird oder den der Verkäufer in der Hand hält, zunächst v.a. Bewegung im Sichtfeld und sorgt so für Aufmerksamkeit. Wenn man nicht direkt erkennt, um was für ein Produkt es sich handelt, entstehen Fragezeichen, mit anderen Worten: Es entsteht Neugier. Außerdem passiert etwas zutiefst Menschliches: Man wird nach dem Produkt greifen und es in die Hand nehmen wollen. Und dann gibt es noch das Phänomen, dass Menschen etwas, das sie anfassen, auch in Besitz nehmen und behalten wollen. Schon hat man eine ganz andere Aufmerksamkeit des Gegenübers und eine ganz andere Beziehung, die einen Abschluss sehr viel wahrscheinlicher macht. Ein weiterer wesentlicher Beweggrund, auf haptische Verkaufshilfen zu setzen, ist die Möglichkeit, abstrakte Inhalte verständlich zu machen. Um z.B. Finanzdienstleistungen verkaufen zu können, müssen Kunden Gefahren begreifen, bevor der Schaden entstanden ist. Wenn der Verkäufer nur etwas erzählt, wird man sich viel schwerer daran erinnern können, als wenn man es spielerisch begriffen hat, weil man einen Artikel in der Hand hatte, dessen Form und Funktion das Thema aufgegriffen haben. Welche Rolle spielt die Verpackung in der haptischen Markenführung? Eine enorme. Da hat sich auch schon viel getan. Denken Sie an die Tetrapacks, da konnte man früher zum Attentäter werden, weil man beim Öffnen fast immer kleckerte. Mittlerweile gibt es Verschlüsse, die sind richtig geil, da hat jemand intensiv nachgedacht. Oder Ritter-Sport: Da ist die Verpackung und das Knicken der Tafel zu einem Markenzeichen geworden. Und Nestlé hat es mit seinen Kapseln – so ökologisch fraglich das Konzept auch ist – sogar geschafft, die Vertriebswege auf den Kopf zu stellen. In anderen Bereichen könnte die Industrie allerdings noch viel innovativer sein. Denken Sie an Käseverpackungen: Da hab ich noch nirgendwo den „Bentley-Effekt“ erlebt.

// Mit Karl Werner Schmitz sprach Dr. Mischa Delbrouck.

Bildquelle: KWS Haptische Verkaufshilfen

 

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