Als Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V. ist Dr. Bernd Nauen eine der wichtigsten Stimmen der deutschen Werbebranche in der Öffentlichkeit. Mit den WA Nachrichten sprach er über die wirtschaftliche Situation der Branche, den Stellenwert haptischer Werbung im Marketing-Mix und ein dringend anzugehendes Reformprojekt: die steuerliche Behandlung von Werbeartikeln.

zaw bernd nauen - "Es gilt, den Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Werbeformen zu beseitigen"

Herr Dr. Nauen, rund drei Jahre Pandemie liegen auch hinter der deutschen Werbewirtschaft. Der ZAW erhebt jährlich die Kenndaten für die Werbeinvestitionen in Deutschland. Wie ist die Branche durch die diversen Krisen gekommen?

Dr. Bernd Nauen: Wir befinden uns in einer Phase der Erholung, die jedoch auch dringend notwendig ist. Der Absturz im ersten Coronajahr 2020 fiel mit 7% für die deutsche Werbewirtschaft noch deutlich stärker aus als für die Gesamtwirtschaft. 2021 hatten wir eine Steigerung um 5,5% auf 47,3 Mrd. Euro. Die endgültigen Zahlen für 2022 werden im Mai dieses Jahres veröffentlicht, derzeit gehen wir von einer weiteren Steigerung um 2,8% auf 48,7 Mrd. Euro aus, die man jedoch auch ins Verhältnis zur Inflation setzen muss.

Wenn man genauer auf die Zahlen schaut, fällt auf, dass das Wachstum asymmetrisch verteilt ist. Die größten Wachstumsraten können die digitalen Medien für sich beanspruchen, wobei hauptsächlich die großen internationalen Plattformen und Marktführer profitieren, die vielen kleineren Publisher hingegen kaum. Im Out-of-Home-Bereich haben wir eine gute Aufholjagd registriert, seitdem das öffentliche Leben wieder stattgefunden hat.
In Teilen gibt es auch im Print eine positive Entwicklung, wenngleich das Vorkrisenniveau nicht erreicht werden konnte.

Was sind Ihre Prognosen bzw. die der Marktplayer fürs neue Jahr?

Dr. Bernd Nauen: Angesichts der beispiellosen Verschachtelung von Krisen – vom Ukraine-Krieg über die enormen Energiekosten bis hin zur Lieferkettenproblematik – bleibt die Situation angespannt, der Kostendruck für werbetreibende Unternehmen ist von der Beschaffung bis zur Logistik enorm hoch.

Insbesondere für das erste Halbjahr 2023 haben wir daher auch keine allzu hohen Erwartungen. Viele Werbebudgets stehen unter Druck, die Bereitschaft zu Investitionen ist eingeschränkt, die Konsumlaune dramatisch schlecht. Das kann sich in der zweiten Jahreshälfte ändern, sollte sich die geopolitische Lage verbessern. Aber derzeit sind wir für 2023 eher besorgt, wenn auch nicht hoffnungslos. Immerhin hat die Branche sich auch in der Vergangenheit stets sehr flexibel gezeigt und es geschafft, sich an neue Herausforderungen schnell anzupassen.

Wird aus Ihrer Sicht genug in der Politik getan, um die Wirtschaft und auch die Werbung in dieser Situation zu unterstützen?

Dr. Bernd Nauen: Es wurden einige Maßnahmen beschlossen, aber wir wissen alle, dass es bei neuen Gesetzen ein längerer Weg ist vom Papier bis zur Umsetzung. Hinzu kommt die Unsicherheit. Niemand weiß z.B., wie gut die Hilfspakete im Energiesektor funktionieren. Risiken kann man kalkulieren, oft sogar mit einem Preisschild versehen. Unsicherheit jedoch ist für die Konjunktur von einer ganz anderen Qualität, im besonderen Maße problematisch für die Investitionsbereitschaft.

Wenn wir diese Phase der Unsicherheit überwinden und wieder in eine größere Kalkulierbarkeit gelangen, wird es auch in der deutschen Werbebranche wieder losgehen. Denn eines ist klar: Investitionen in Werbung sind sehr sinnvoll, sie tragen maßgeblich zum Geschäftserfolg bei. Man sollte Werbung daher als einen Teil der Wertschöpfung begreifen, nicht als Kostenposten. Unternehmen sind gut beraten, strategische, langfristige Entscheidungen bezüglich ihrer Unternehmenswerbung zu treffen, Budgets eben nicht zu kürzen und auf nachhaltige Vorteile im Markt abzuzielen.

Wie verlief die Konjunkturkurve für die haptische Werbung, also den Werbeartikelmarkt?

Dr. Bernd Nauen: Die Zahlen, die der GWW (Gesamtverband der Werbeartikel-Wirtschaft e.V.) für die letzten drei Jahre veröffentlicht hat, bestätigen im Wesentlichen den Trend der anderen Medien, wobei der Rückgang in 2020 von 3,65 Mrd. Euro auf 2,9 Mrd. und dann 2021 auf 2,6 Mrd. Euro noch stärker ausfiel, ehe auch im letzten Jahr wieder eine Erholung sichtbar wurde. Die Branche war von den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wesentlich stärker betroffen als viele andere, da viele Touchpoints, auf denen Werbeartikel eingesetzt werden können – z.B. Messen und Events –, nicht mehr existierten oder nur im wesentlich kleineren Rahmen stattfanden.

ZAW e.V.


Der ZAW (Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V.) ist die Interessensvertretung der deutschen Werbebranche und bildet den Markt in seiner Dreistufigkeit ab: Zu den Mitgliedern gehören Verbände der einzelnen Werbemedien ebenso wie die von Agenturen oder werbetreibenden Unternehmen.

Im Wesentlichen bearbeitet der ZAW die drei Aufgabenfelder Politik & Recht, Wirtschaftsdaten sowie Gesellschaftskommunikation. Er vertritt die Positionen der Werbebranche gegenüber der Gesetzgebung und in der Öffentlichkeit und bemüht sich so um ausgewogene Rahmenbedingungen für alle Akteure. Er erhebt jährlich die wesentlichen Kenndaten für die Branche wie die Werbeinvestitionen und Netto-Werbeeinnahmen, sowohl in der Gesamtheit als auch aufgeschlüsselt nach einzelnen Segmenten, und liefert so Belege für die ökonomische Bedeutung von Werbung. Zudem kümmert er sich als Träger des Deutschen Werberats um die Selbstregulierung der Branche.

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In den letzten Jahren schien „Online“ das Zauberwort jeder Marketingstrategie zu sein. Hat der Trend zur digitalen Kommunikation durch Corona weiter an Schub gewonnen oder ist auch eine gewisse digitale Erschöpfung zu erkennen?

Dr. Bernd Nauen: Das Medienverhalten hat sich in den letzten Jahren zweifelsohne verändert, und da Werbung dort stattfindet und geschaltet wird, wo die Zielgruppen zu finden sind, haben im Bereich des Marketings Online-Medien sehr viel an Stellenwert gewonnen. Allerdings gehörte der ZAW nie zu denjenigen, die gesagt haben, dass die Werbung komplett digital wird. Bei solchen Thesen war immer auch viel Gattungsmarketing mit dabei.

Durch die Lockdowns zu Beginn der Corona-Zeit haben die digitalen Kommunikationskanäle sicher einen weiteren Booster erhalten. Aber seitdem es wieder möglich ist, finden zugkräftige Veranstaltungen bekannter Marken auch wieder unter großer Beteiligung statt, und man spürt eine neue Lust an realen Erfahrungen und Erlebnissen. Das sieht man auch im Messesegment, das sich gerade deutlich erholt. Consumer-Messen haben noch nicht wieder
die Größenordnung früherer Jahre, weil die Haushaltsbudgets der Konsumenten stark unter Druck stehen, aber Fachmessen im B2B-Bereich sind wieder da – allerdings immer auch in einer Weiterentwicklung als hybride Formate. Das ist die neue Realität – und für die haptischen Werbeformate eine
Herausforderung.

In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit dominieren neben den klassischen Abovethe-Line-Disziplinen Online-Medien das Bild von der Werbung. Die haptische Werbung spielt dagegen trotz eines Umsatzes von knapp 3 Mrd. Euro eher eine untergeordnete Rolle. Woran liegt das?

Dr. Bernd Nauen: In der Tat besteht eine größere Kluft zwischen der Realität der Branche und der Wahrnehmung ihrer Auftraggeber. Es ist bemerkenswert, dass der Werbeartikel nicht eine solche Sichtbarkeit hat – das spiegelt seinen ökonomischen Stellenwert in keiner Weise wider. Nahezu jeder Verbraucher hat einen Werbeartikel, den er nutzt. Allein das zeigt: Haptische Werbung ist wirklich eine relevante Größe im Kanon der Werbemaßnahmen. Die Branche täte gut daran, in das Gattungsmarketing bei den Auftraggebern zu investieren und die Bedeutung haptischer Werbung mit Daten und KPIs zu unterstreichen. Diese Aufgabe scheint mir geboten, und sie ist machbar.

Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang Studien wie die des Marktforschungsinstituts september, die sich im letzten Jahr mit der emotionalen Wirkung von Werbeartikeln beschäftigt hat?

Dr. Bernd Nauen: Die Studie ist methodisch auf einem guten Niveau und stellt insofern einen Qualitätsschritt für die Branche dar, weil sie bestimmte Effekte, die der Kanal erzielen kann, nachweist.

Solche Erhebungen sind für das Profil der Werbeartikelbranche unerlässlich. In allen großen Unternehmen steht das Marketing den Controllern gegenüber unter großem Rechtfertigungsdruck, muss Qualität und Effizienz nachweisen. Marketingentscheider sind daher fokussiert auf den ROI.

Die Emotionsstudie weist für den Werbeartikel besondere Effekte insbesondere für die Felder Sympathie, Awareness und Relevanz aus. Worin sehen Sie Vorteile haptischer Werbung im Vergleich zu anderen Medien?

Dr. Bernd Nauen: In der Tat gibt es gewisse Alleinstellungsmerkmale. Werbeartikel werden offenbar anders wahrgenommen als andere Medien. Sie sind, wenn passend zur Marke ein lebenswirklicher Nutzwert für den Empfänger geschaffen wird, klar positiv aufgeladen, wie die erwähnte Studie belegt.

Das Profil der Branche muss aber auch an anderer Stelle geschärft werden, nicht nur im Hinblick auf Qualität, sondern auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Wir sehen, der GWW ist da bereits auf einem guten Weg. Es gilt, das Image hinter sich zu lassen, es handele sich um wenig werthaltige Geschenke. Es muss belegt werden, worum es idelaerweise geht, nämlich dass Artikel nicht nur als schön und sinnvoll wahrgenommen werden, sondern auch guten Gewissens eingesetzt werden können. Die Evidenz sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit färbt letztlich auch positiv auf das werbende Unternehmen ab.

Nicht unbedingt hilfreich ist in diesem Zusammenhang die derzeit gültige steuerliche Gesetzgebung in Zusammenhang mit Werbeartikeln, die bestimmte Wertgrenzen vorschreibt und somit den Umbau in nachhaltigerer Produktionsweisen erschwert. Konkret geht es dabei um zwei Themen: Für Werbeartikel jenseits der 10 Euro-Grenze gilt eine Aufschreibungspflicht, die einen erhöhten bürokratischen Aufwand nach sich zieht. Zudem dürfen werbende Unternehmen pro Empfänger und Jahr nur 35 Euro für haptische Werbung ausgeben, wenn sie diese Kosten von der Steuer absetzen wollen. Andere Werbemaßnahmen hingegen können komplett als Betriebsausgaben geltend gemacht werden.

Dr. Bernd Nauen: Da gibt es in der Tat einen Wettbewerbsnachteil gegenüber andern Werbeformen, ein ‚unlevel playing field‘, das es aus Sicht der Branche zu beseitigen gilt. Die Anerkennung des Werbeartikels als Betriebsausgabe ist eine bedeutungsvolle Aufgabe, die für 2023 auch auf der Agenda des ZAW steht.

Ich sehe in der derzeitigen Steuergesetzgebung auch in der Tat ein erhebliches Mismatch zu den eigentlich vorherrschenden Regulierungsthemen für mehr Nachhaltigkeit und Sicherheit. Man denke z.B. an das Lieferkettengesetz, das für Unternehmen und ihre Kunden erhöhte Anforderungen stellt. Wenn wir die Standards erhöhen und noch umfassender als bislang schon Qualität auf den Weg bringen sollen, ist eine Modifikation der derzeitigen steuerlichen Behandlung mit den Wertgrenzen von 10 und 35 Euro alternativlos. Es gibt eine kategoriale Nachfrage nach nachhaltigen, innovativen Produkten, die von der Branche auch bedient werden kann. Dazu passt es aber nicht, über steuerliche Regelungen Preise künstlich zu deckeln. Und hierüber Qualität und politische Zielsetzungen auszuhebeln.

Auch bezogen auf die Werbewirkung ist die Qualität der eingesetzten Produkte von enormer Bedeutung. Nicht zuletzt profitieren von einer Änderung der steuerlichen Gesetzgebung nicht nur die Produzenten und Händler, sondern auch die Kunden, die in ihrem betrieblichen Alltag von unnötiger Bürokratie entlastet werden.

Schließlich ist zu konstatieren, dass sich die Branche im Sinne der übergeordneten Regulierungsthemen bereits neu aufgestellt hat und sich in Richtung Nachhaltigkeit orientiert. Diese Entwicklung gilt es zu fördern und nicht über unzeitgemäße steuerliche Hürden auszubremsen.

Wie wollen Sie vorgehen, um die Politik für die Steuerproblematik haptischer Werbung zu sensibilisieren?

Dr. Bernd Nauen: Ohne ins Detail zu gehen, erarbeiten wir gerade einen operativen Weg gemeinsam mit dem GWW. Wir brauchen den GWW, weil dort die nötige Sach- und Fachkenntnis vorhanden ist. Es ist ganz wichtig, Allianzen zu bilden, auch die werbetreibenden Unternehmen mit ins Boot zu holen. Das Ganze ist jedoch kein Sprint, eher ein Mittel- oder Langstreckenlauf.

// Mit Dr. Bernd Nauen sprach Dr. Mischa Delbrouck.

 

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