Die WHO zählt weltweit 1,3 Mrd. Menschen mit Behinderung, laut European Council zählt in der EU jede:r Vierte dazu. Dennoch ist diese große Bevölkerungsgruppe im Alltag, in den Medien und auch bei werbenden Unternehmen oft unterrepräsentiert, quasi unsichtbar. Höchste Zeit also, für mehr Sichtbarkeit zu sorgen und Menschen mit Behinderung im Marketing und am Arbeitsmarkt ins Rampenlicht zu rücken. Dabei geht die Werbeartikelbranche nicht selten mit gutem Beispiel voran.

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Ihr Anteil an der Weltbevölkerung entspricht etwa der Einwohnerzahl Chinas: Nach WHO-Definition geht etwa ein Sechstel der Menschheit mit „Einschränkung im Alltag“ durchs Leben. Laut offiziellen Zahlen des European Council leben allein in der EU 87 Mio. Menschen mit Behinderung (Stand 2019), Tendenz steigend. Ab 65 Jahren betrifft das sogar 48% der EU-Bürger:innen.

Die für so manchen erstaunlich hohen Zahlen ergeben sich laut WHO zum einen aus einer immer langlebigeren Bevölkerung, aber auch aus geänderten Definitionen und umfassenderen Begrifflichkeiten. Behinderung heißt entgegen weitverbreiteten Klischees z.B. bei weitem nicht nur, im Alltag auf einen Rollstuhl oder einen Assistenzhund angewiesen zu sein. Neben sichtbaren Behinderungen gibt es eine lange Liste unsichtbarer Einschränkungen – vom Autismusspektrum bis hin zu chronischen Krankheiten wie z.B. Depressionen, die eine Teilhabe an der Gesellschaft erschweren können.

Dass Behinderungen trotz ihrer Allgegenwärtigkeit als randseitig eingestuft werden, dürfte u.a. an der fehlenden gesellschaftlichen Repräsentation und an ihrer (Un-)Sichtbarkeit in der Werbewelt liegen: Einer Studie der Beratungsfirma Nielsen von Februar 2021 zufolge lebt z.B. zwar jede:r vierte Amerikaner:in mit einer Behinderung, aber nur ca. 1% der in der Prime Time TV-Werbung gezeigten Menschen haben eine Behinderung. Und wenn doch, dann kommen 50% der entsprechenden Werbespots aus der Gesundheitsbranche, bei Lifestylethemen sind Menschen mit Behinderung quasi nicht vertreten.

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Die digitale Welt zugändlich machen: Die Dot-Smartwatches und -Tablets von Serviceplan und Dot Inc. übersetzen digitalen Content in Braille.

Dabei tun sich werbende Unternehmen keinen Gefallen damit, eine derart große, weit verzweigte gesellschaftliche Gruppe zu vernachlässigen bzw. nahezu komplett auszublenden. Für den britischen Raum wird seit einigen Jahren der Wert des Purple Pound kommuniziert, der die Kaufkraft der Haushalte von Menschen mit Behinderung erfasst. Nach den neuesten auf www.wearepurple.org.uk veröffentlichten Zahlen liegt die jährliche Kaufkraft der entsprechenden Haushalte bei geschätzten 274 Mrd. Britischen Pfund (ca. 310 Mrd. Euro). Davon entgehen britischen Unternehmen allein im Online-Geschäft jährlich ca. 17 Mrd. Pfund (ca. 19 Mrd. Euro) z.B. durch fehlende Barrierefreiheit und Kundenfreundlichkeit.

Unsichtbare(s) sichtbar machen

Auf dieses ungenutzte Potenzial als Zielgruppe weist u.a. Corinne Gray hin. Die Gründerin und Geschäftsführerin von URevolution (kurz für Uncomfortable Revolution) lebt selbst mit einer Behinderung und hat nach der Krebsdiagnose ihres Mannes Brendan McDonald zuerst mit ihm gemeinsam das Buch Glossary of Awkward über das Thematisieren von Krebserkrankungen veröffentlicht, dann für die Kommunikation über chronische Krankheiten und Behinderungen das Diversity & Inclusion Disability Magazine und (Video-)Podcastformate publiziert und schließlich, um den Content zu finanzieren, mit ihrem 2018 gegründeten Unternehmen URevolution Statement Fashion und Accessoires zum Thema Behinderung und chronische Erkrankungen entworfen. Gray: „Die Gesellschaft ignoriert Menschen mit Behinderung. Wir wollen vermitteln, wie das Leben mit einer Behinderung oder chronischen Krankheit tatsächlich aussieht und darüber hinaus zeigen, dass Unternehmen ein riesiger Markt entgeht. Menschen mit Behinderung werden oft übersehen, wenn es um Diversity Marketing und D,E&I Management (Diversity, Equity & Inclusion) in Unternehmen geht. Aber wir verdienen es, gesehen zu werden.“

Wenn Behinderungen thematisiert werden, geschehe dies nach Gray meist in einem medizinischen oder karitativen Kontext, was die eigentliche Lebenswelt der Menschen ausklammere. Daher habe sie sich das Ziel gesetzt, aus der Community für die Community auf eine zeitgemäße Art zu berichten und dabei eine breite Palette gesellschaftlicher Themen zu behandeln. Dasselbe möchte Gray werbenden Unternehmen ermöglichen – Menschen mit Behinderung, die z.B. im Unternehmen arbeiten, die man mit Kampagnen oder auf Events erreichen möchte, mit zeitgemäßer haptischer Werbung zu begegnen. „Mode und Merchandise für Menschen mit Behinderung ist oft sehr funktional. Bei URevolution konzentrieren wir uns auf schöne Designs, um der Community eben die werbewirksame Mode zu bieten, die sie verdient. Wir wollen dieselben schönen Produkte haben wie alle anderen auch.“

Mit ihrem Ansatz haben URevolution bereits namhafte Unternehmen und Organisationen wie die Canadian High Commission, die renommierte amerikanische Privatschule Andover Academy oder die Retailkette Sunglass Hut als Kunden überzeugen können. Im Sortiment finden sich neben Modeartikeln wie T-Shirts, Hoodies und Taschen dekorative Accessoires von Kerzen bis Kissen. Alle Artikel sind mit ansprechenden Designs versehen, die das Thema Behinderung auf aktuelle Weise aufgreifen – z.B. mit dem Unendlichkeitssymbol für die neurodivergente Community –, und die Gray zum Großteil selbst entwirft. „Die Designs werden von uns entworfen, aber wir produzieren die Artikel nicht selbst. Stattdessen arbeiten wir mit Print-on-Demand-Anbietern zusammen. Unsere T-Shirts und Wasserflaschen werden von unseren B2B-Kunden stark nachgefragt, aber auch Aufkleber und Buttons, z.B. für das Veranstaltungsmarketing, sind sehr beliebt. Unternehmen und Organisationen kommunizieren zunehmend ihre Bemühungen um Diversität, und wir sehen eine wachsende Nachfrage. Auch in der Mode und in den Medien wird Behinderung immer sichtbarer, wenn man an adaptive Mode bei Tommy Hilfiger und dem amerikanischen Online-Modehändler Zappos denkt oder an beliebte Netflix-Serien mit behinderten Schauspielern.“

Gray begrüßt den Trend, Menschen mit Behinderung in der (werblichen) Kommunikation insofern mehr in den Fokus zu rücken, dass zuerst der Mensch zählt, nicht die Behinderung oder die „besonderen Bedürfnisse“ einer sehr heterogenen Zielgruppe.

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VOI fesch-Gründer Helmuth Stöber (l) und Künstler David Cheng mit dem von Cheng gestalteten Shirt für den Coca Cola Inclusion Run 2023 der Special Olympics Österreich.

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VOI fesch macht aus Kunst, die Menschen mit Behinderung geschaffen haben, Produkte. Alle Artikel werden mit einer Kurzvorstellung des Künstlers oder der Künstlerin verschickt.

Voll originell

Den Fokus auf den Menschen zu legen war auch die Motivation von Helmuth Stöber, als er Anfang 2016 mit ehrenamtlichen Mitstreitern VOI fesch, den „Verein für originelle Inklusion“ mit Sitz in Wien, gründete. Seit seinem Fernsehauftritt im Start-up-Format 2 Minuten 2 Millionen in 2017 hat sich der Verein zum Social Business entwickelt, das sich ganz der Inklusion verschrieben hat, um Barrieren in den Köpfen und im Alltag abzubauen – mit Kunst.

„Nachdem ich fast 30 Jahre kaum Berührungspunkte mit dem Thema Behinderung hatte, habe ich als Erwachsenenvertreter mit Menschen in Werkstätten zusammengearbeitet und festgestellt, dass ich selbst Barrieren und falsche Vorstellungen im Kopf hatte, die ich bewusst überwinden wollte. Gleichzeitig kommt man in Werkstätten nicht an Kunst vorbei, die von den Menschen, die dort arbeiten, geschaffen wurde. Ich war ganz begeistert und wollte diese Kunst nach außen tragen“, erinnert sich Geschäftsführer Stöber.

Stöber vernetzte sich mit Künstler:innen, die er in Werkstätten und Organisationen kennenlernte. Von Anfang an mit ihrer Kunst vertreten sind z.B. David Cheng und Albert Masser. Die Arbeiten setzt VOI fesch für maximale Sichtbarkeit zunächst auf Textilien um und organisiert in Zusammenarbeit mit der inklusiven Tanzgruppe Ich bin O.K. Modenschauen in Wien. Parallel entstand die Idee, gemeinsam mit Sponsoren einen Kunstpreis auszuloben und die Gewinnerarbeiten ins Rampenlicht zu rücken – erstplatzierte Kunstwerke werden in Kooperation mit regionalen Tourismusverbänden, Hoteliers und Speditionen z.B. auf LKW und Skigondeln umgesetzt und einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.

So lassen sich Sympathien schaffen, und die beteiligten Unternehmen und Organisationen kommen mit dem Thema in Berührung. „In enger, partnerschaftlicher Zusammenarbeit sind hier über die Jahre schon tolle Projekte entstanden, die letztlich für alle eine Win-Win-Situation darstellen – Unternehmen zeigen ihre menschliche Seite, kommunizieren mit Bewusstsein und Sympathiefaktor und die Künstler:innen erhalten Anerkennung und eine Plattform für ihre Werke“, so Stöber.

Neben wählbaren Designs im Online-Shop haben werbende Unternehmen die Möglichkeit, ihre eigenen exklusiven Botschafter für Inklusion entwerfen zu lassen. Im Ausschreibungsformat werden Unternehmensanfragen z.B. nach einem Design zum Thema Fußball oder Weihnachten an die Künstler:innen weitergegeben, bei denen auch Logos und CI-Farben berücksichtigt werden können. Aus den entstandenen Designs wählt das Unternehmen das passende, einzigartige Motiv zum Markenauftritt, und VOI fesch setzt den Entwurf mit ausgewählten Lieferanten um.

Entscheidend für Stöber: „Wir arbeiten mit regionalen Partnern wie dem Wiener Druckdienstleister Merchzilla oder den Geschützten Werkstätten Salzburg zusammen, aber auch mit größeren Herstellern wie Mahlwerck und Promonotes – immer mit dem Ziel, möglichst nachhaltige Werbebotschafter anzubieten. Zertifikate wie GOTS oder FSC gehören für die glaubwürdige Kommunikation ebenso dazu wie die sozialverträgliche Fertigung.“

Wer seine eigenen Lieferantenpartner bevorzugt, kann auch nur das Design entwerfen und selbstständig umsetzen lassen. Ob Werbetasse oder Baumwolltasche, ob über VOI fesch oder in eigener Umsetzung – ein Künstler:innenporträt ist immer Teil des Endprodukts, wie Stöber betont: „Bei jedem Produkt ist eine Art Steckbrief beigefügt, der den Künstler oder die Künstlerin hinter dem Design kurz vorstellt und so die Person in den Vordergrund rückt. Nicht die Behinderung, sondern die Begabung zählt – alles andere wäre einfach aus der Zeit gefallen.“

Neue Perspektiven

Um zeitgemäßen Umgang mit Behinderung geht es auch dann, wenn sich Marketingkampagnen an Menschen mit Behinderung richten. Beispiele sind Kampagnen, die Menschen mit Sehbehinderung und Blinde in den Fokus nehmen. So wirbt das britische Royal National Institute for the Blind (RNIB) mit dem Slogan „See the person, not the sight loss”. Und die seit einigen Jahren mit diversen Aktionen gespielte See Differently-Kampagne der Londoner Agentur The&Partnership für das RNIB greift den Alltag Sehbehinderter u.a. mit den Anfang 2020 vorgestellten Life Hack-Produkten der Kampagne auf: als Designobjekt gestaltete Gegenstände, mit denen sich Sehbehinderte die meist von Sehenden bestimmte Welt leichter zugänglich machen.

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Der Integrationsbetrieb prosigno ist auf dem Firmengelände von Halfar angesiedelt und übernimmt die Siebdruckveredelungen des Taschenspezialisten.

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Bei The Peppermint Company übernehmen Menschen mit Barrieren zum Arbeitsmarkt u.a. Aufgaben im Bereich Picking und Packing.

Um die Barrierefreiheit des digitalen Alltags sehbehinderter Menschen sind wiederum die Produktentwicklungen der Agentur Serviceplan und des südkoreanischen Techunternehmens Dot Inc. bemüht: In Kooperation entstand 2016 mit der Dot Watch zunächst die erste Smartwatch, die digitale Inhalte von Websites oder Messen gern in Braille übersetzt. 2022 folgte dann das Dot Pad, das mithilfe des ersten intelligenten taktilen Grafikdisplays Bilder, Grafiken, Statistiken etc. für Menschen mit Sehbehinderung erfühlbar macht.

Technisch weniger anspruchsvoll, dafür aber als multisensorisch herausragend erwies sich die Kampagne der Nestlé-Marke Maggi und der Dorina Nowill Foundation for the Blind aus dem Jahr 2021, die Hobbyköchinnen und -köchen in Brasilien mithilfe eines aufwendigen, mit haptischen und olfaktorischen Elementen gestalteten Kochbuchs Spaß an neuen Rezepten vermitteln sollte. All diese Kampagnen vereint der Aspekt, Menschen mit Sehbehinderung in ihrer tatsächlichen Lebenswelt zu erreichen und sie gleichzeitig teilhaben zu lassen.

Ungenutztes Potenzial

Was für Marketingkampagnen gilt, spielt auch in puncto Inklusion am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle, wie Armin Halfar aus langjähriger Erfahrung berichten kann. Der Geschäftsführer und Gründer des Taschenspezialisten Halfar beschäftigt seit gut zehn Jahren Menschen mit Behinderung im Unternehmen prosigno. Dort ist er Minderheitsgesellschafter, Hauptgesellschafter ist die Lebenshilfe, mit der die Idee zur Unternehmensgründung vor über 13 Jahren entstand. „Wir arbeiten in unmittelbarer Nähe zu einer Einrichtung der Lebenshilfe und haben schon häufig kurzfristig Unterstützung beim Abwickeln von Aufträgen erhalten. So kam die Idee auf, beim Aufbau einer Siebdruckveredelung in-house auf die Lebenshilfe zuzugehen und nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen.“ Die entstandene prosigno gGmbH beschäftigt Menschen mit größtenteils unsichtbaren Behinderungen, die neben dem Bedienen der Siebdruckmaschinen einfache Tätigkeiten im Bereich Picking und Packing übernehmen. Insgesamt sind aktuell ca. 20 Mitarbeitende bei prosigno beschäftigt.

Die innerbetriebliche Teilhabe spielt hier eine wesentliche Rolle. Zwar gibt es in der Geschäftsform eine klare Trennung – Halfar und prosigno sind zwei separate Unternehmen –, aber das Arbeiten vor Ort ist bis hin zur gemeinsamen Kantine und Aufenthaltsräumen sowie gemeinsamen Veranstaltungen barrierefrei und inklusiv gestaltet: „Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt. Kommunikation fördern, Begegnungen schaffen, eine gemeinsame Normalität aufbauen – das zählt im betrieblichen Alltag. Viele Mitarbeitende haben uns das Feedback gegeben, dass sie mit dem Thema Behinderung viel entspannter und offener umgehen können, seitdem wir den inklusiven Betrieb gestartet haben“, so Halfar.

Das gemeinsam erarbeitete Konzept ist für beide Seiten eine Win-Win-Situation. So profitiert der Taschenhersteller von der Veredelung im eigenen Haus, von kurzen Wegen auch in der Rücksprache mit Kund:innen und wegfallenden Transportkosten. Die Mitarbeitenden wiederum erhalten durch das Beschäftigungsverhältnis bei prosigno Struktur, werden in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert und können darüber hinaus eine Ausbildung zum Siebdrucktechniker (m/w/d) absolvieren.

Für Halfar ist zwar klar, dass sich der allgegenwärtige Fachkräftemangel nicht allein über integrative Maßnahmen abbauen lässt, nichtsdestotrotz sieht der erfahrene Unternehmer im Thema Inklusion viel ungenutztes Potenzial für die Werbeartikelbranche: „Besonders bei unsichtbaren Behinderungen wie einer Lernschwäche oder chronischen Krankheiten lässt sich nicht immer direkt einschätzen, wie gut die Person bei bestimmten Tätigkeiten im Unternehmen einsetzbar ist – das sind Prozesse, die man gemeinsam erarbeiten muss, wo sich beide Seiten aneinander herantasten müssen. Aber insgesamt haben wir gute Erfahrungen gemacht und im Integrationsbereich langjährige Mitarbeitende gewonnen. Flexibilität und ein guter Arbeitsschutz sind hier entscheidend – Eigenschaften, die uns z.B. hinsichtlich des Employer Brandings als attraktiven Arbeitgeber in der Region auszeichnen.“

Wertschätzung für alle

Robin Vogel, CEO von Promocorp, zieht ebenfalls eine positive Bilanz. In seinem zur Promocorp-Gruppe gehörenden, auf Werbesüßigkeiten spezialisierten Unternehmen The Peppermint Company beschäftigt Vogel seit ca. zehn Jahren Menschen mit Einschränkungen. Für ihn zählt das Credo „People first!“: „Wir beschäftigen etwa 60 Menschen mit unsichtbaren Behinderungen, die aus unterschiedlichen Gründen eine Distanz zum Arbeitsmarkt haben. Das Wichtigste, was wir in den letzten Jahren gelernt haben, ist, dass man zuerst auf die Person schauen und versuchen muss, die Aufgaben an die Person anzupassen und nicht umgekehrt.“

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Einen buchstäblich fühlbaren Unterschied in der kreativen Ansprache von Menschen mit Sehbehinderung machten Maggi und die Dorina Nowill Foundation for the Blind: Mit der haptischen Kochanleitung Cooking Blindly wurden Rezepte zugänglich.

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Mit den Life Hack-Produkten der Kampagne „See Differentliy“ stilisierten The&Partnership und das britische Royal National Institute for the Blind Alltagslösungen Sehbehinderter zu Designobjekten. Diese waren ab 2020 im Shop des London Design Museum erhältlich.

Menschen mit unsichtbaren Behinderungen einen adäquaten Arbeitsplatz zu bieten sieht Vogel zwar als Herausforderung, betont aber auch die Vorteile, die das Arbeitsverhältnis für beide Parteien mit sich bringt und begrüßt es sehr, dass inzwischen etwa 30 Unternehmen im niederländischen Enschede – Unternehmenssitz von The Peppermint Company – seinem Beispiel gefolgt sind. „Die Unternehmen müssen strenge Vorschriften am Arbeitsplatz erfüllen und werden regelmäßig überprüft, aber sie werden auch von der örtlichen Verwaltung für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen unterstützt. So können wir Arbeitsplätze und Unternehmen in der Region halten, die sonst z.B. nach Polen gehen müssten, um ein bestimmtes Kostenniveau zu sichern. Wir brauchten Mitarbeiter:innen für die Kommissionierung und Verpackung sowie für die Bedienung der Maschinen und haben mit fünf Mitarbeiter:innen angefangen, jetzt sind wir bei 60 Mitarbeiter:innen.“

Jenseits der ortsansässigen Unternehmen sieht Vogel einen klaren Mehrwert für die Werbeartikelbranche – insbesondere für Lieferanten, deren Prozesse viel Handarbeit und repetitive Tätigkeiten erfordern. „Viele Produktionsaufgaben in der Werbeartikelbranche können von Menschen erledigt werden, die – aus welchen Gründen auch immer – Hindernissen auf dem Arbeitsmarkt begegnen. Als Arbeitgeber ist es wichtig, Vertrauen aufzubauen und ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen, um den Bedürfnissen aller gerecht zu werden und jedem Mitarbeitenden zu helfen, sich zu entwickeln. Wir trennen auch nicht zwischen Mitarbeiter:innen mit unterschiedlichem Hintergrund, wir gehen freitags gemeinsam etwas trinken und grillen im Sommer – jede:r wird gleichermaßen geschätzt.“

Barrieren abbauen

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URevolution bietet werbenden Unternehmen die Möglichkeit, dem Thema Inklusion mit zeitgemäßen Designs zu begegnen und gestaltet auch neue individuelle Motive im Unternehmensnamen

Dass Inklusion die Teilhabe Aller bedeutet, ist für Corinne Gray eine Selbstverständlichkeit. Nicht selbstverständlich ist allerdings die tatsächliche Verfügbarkeit inklusiver Optionen am Werbeartikelmarkt. So ist das Thema Adaptive Fashion zwar bereits bei einigen großen, aus dem Retail bekannten Marken wie Tommy Hilfiger oder Nike angekommen, allerdings noch nicht bei den Anbietern von Promowear – oder den Print-on-Demand-Dienstleistern, die URevolution für die Umsetzung der Designs beauftragt. „Wir versuchen schon seit geraumer Zeit, alle unsere Entwürfe für jedermann zugänglich zu machen – eine große Auswahl an Größen anzubieten, was sehr gefragt ist, sowie adaptive Kleidung z.B. für Rollstuhlfahrer:innen. Leider sind unsere Partner bisher nicht in der Lage, unsere Anforderungen zu erfüllen, was sehr frustrierend ist. Die große Nachfrage vor allem nach Übergrößen und adaptiver Mode ist noch nicht in der Werbeartikelindustrie angekommen. Vielleicht müssen wir eine eigene Lösung für dieses Problem finden, z.B. durch die Einrichtung einer eigenen Druckerei”, konstatiert Gray.

Inklusives Arbeiten ist ebenfalls stets mit neuen Herausforderungen verbunden, wie Armin Halfar bestätigt: „Eine für Außenstehende harmlos wirkende Situation wie ein Kommentar eines Mitarbeitenden oder eine Veränderung in den Abläufen kann dazu führen, dass die Person mit einem Mal nicht mehr arbeiten kann“, gibt Armin Halfar zu bedenken. So müsse beim Planen von Ressourcen und Terminen immer ein Puffer mitbedacht werden. „Prosigno ist keine Siebdruckerei, es ist ein Integrationsbetrieb.“

Die Integration steht für Halfar an erster Stelle, Quoten an Zweiter. Trotz der Unwägbarkeiten, die das im betrieblichen Alltag mit sich bringen kann, ist sich der Taschenspezialist sicher, dass Unternehmen für eine nachhaltige, zukunftsorientierte Ausrichtung gesellschaftliche Entwicklungen im Betrieb widerspiegeln müssen – was bedeutet, dass sie Arbeitnehmende nicht künstlich in unterschiedliche Gruppen trennen, sondern ein produktives Miteinander schaffen: „Im Idealfall wäre das Thema ganz obsolet, und wir könnten an einem vollständig inklusiv gestalteten Arbeitsplatz alle Menschen beschäftigen.“

// Claudia Pfeifer

Bildquelle: Halfar (1), Nestlé Brasil (1), Serviceplan (1), The&Partnership (1), The Peppermint Company (1), URevolution (1), VOL fesch (2), Philipp Schuster (1)

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