Nach mehr als drei Jahren Pandemie und Lieferketten-Chaos kehrt der globale Handel zurück in eine neue Normalität. Während nicht mehr nur Cargo-, sondern auch wieder Passagiermaschinen zwischen West, Ost und Süd pendeln, hat sich in den Produktionsregionen vieles verändert. Vor welchen Herausforderungen steht das Importbusiness im Jahr 2023? Die WA Nachrichten haben sich unter europäischen Profis umgehört.

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Plötzlich ging nichts mehr: Fabriken, Städte, ganze Regionen dicht, Geschäftsleute, die mehrmals im Jahr zwischen Frankfurt und Schanghai, Austin und Hong Kong, London und Dhaka hin- und hergejettet waren, setzten jahrelang keinen Fuß in einen Kontinentalflieger. Zwei Monate Lockdown im Schanghaier Hafen – dem größten Containerhafen der Welt – führten zu riesigen Staus im weltweiten Warenverkehr. Im Jahr nach den Pandemiejahren 2020 bis 2022 wirkt vieles davon schon wieder wie weit in der Vergangenheit: Im April 2023 reisten erstmals wieder Werbeartikelplayer aus der ganzen Welt zu den einschlägigen Messe-Hubs in Hong Kong oder Guangzhou. Es gab ein Wiedersehen mit Partnern und Freunden aus der ganzen Welt, ob an Messeständen oder abends in den einschlägigen Social Spots.

Die Freude, die viele Importeure daran hatten, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich an den Messestandorten in Fernost einiges geändert hat. So präsentierte sich die erste HK Gifts & Premium Fair nach der Pandemie im April 2023 mit 1.829 Ausstellern deutlich kleiner als vor Corona. 56.000 Einkäufer besuchten den Messeverbund aus fünf Messen, dessen Teil die Gifts & Premium Fair ist. 2019 hatten allein die HK Gifts & Premium Fair rund 50.000 Besucher besucht, als sich noch 4.320 Aussteller präsentiert hattten.

„Ich hatte dieses Jahr die Gelegenheit, die Messen in Hong Kong und Guangzhou zu besuchen. Im Vergleich zu den Messen vor Corona ist mir aufgefallen, dass die Besucherzahl nicht die gleiche war und dass die Zahl der chinesischen Besucher deutlich zugenommen hat”, berichtet Alexandre Gil, CSO vom portugiesischen Vollsortimenter Stricker. Ähnliches hat Marcus Sperber, CEO von elasto, beobachtet: „Auf der Messe in Hong Kong hat sich alles ‚normal‘ angefühlt, die Messe war ähnlich wie in den Vorjahren, allerdings hat man gemerkt, dass alles deutlich chinesisch geprägt war, sowohl auf Aussteller- als auch auf Besucherseite. Das gleiche Bild ergab sich in der Stadt selbst: Es war zwar Leben auf den Straßen, jedoch auch hier merkbar chinesischer.“

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Erstmals seit drei Jahren fanden 2023 in Fernost wieder April-Messen statt.

„Ich bin im Juni nach China gereist, um alle meine Lieferanten direkt zu besuchen“, ergänzt Emilio Estellés-Zanón, General Manager & CEO des spanischen Importunternehmens encender y escribir. „Alle bestätigten, dass die Messe in diesem Jahr aufgrund der Schwierigkeiten, ein Visum zu erhalten, und der Angst vor den in China geltenden Corona-Beschränkungen nicht sehr gut war.“

Zurück zur Normalität

Noch kurz zuvor war das Business sowohl für die chinesischen Unternehmen als auch für den internationalen Handel und Frachtverkehr unberechenbar gewesen. Die dramatischen Lieferengpässe, die unmittelbar oder als Folge von Verkettungen aufgrund der Pandemie aufgetreten waren und die globale Weltwirtschaft bis weit ins Jahr 2022 in Atem gehalten haben, sind jedoch, so scheint es, mittlerweile unter Kontrolle, wie Gil berichtet: „Die Verfügbarkeit von Schiffen hat sich in den letzten zwölf Monaten erheblich verbessert. Im Vergleich zu vor Corona gibt es bei den Transitzeiten immer noch eine durchschnittliche Verzögerung von zehn Tagen. Die Schiffspreise sind deutlich gesunken, aber sie sind noch nicht wieder auf das Niveau von vor der Krise zurückgekehrt. Wir gehen nicht davon aus, dass dies jemals der Fall sein wird, sondern dass die derzeitigen Preise die neue Normalität sind.”

Estellés-Zanón: „Es stimmt, dass wir in den letzten drei Jahren mit vielen Herausforderungen konfrontiert waren, wie z.B. dem Klimawandel, den hohen Frachtpreisen, dem Mangel an Rohstoffen usw. Jetzt ist die Lage viel besser, und all diese Unwägbarkeiten haben uns stärker und anpassungsfähiger gemacht. Die Preise sind jetzt akzeptabel. Sie könnten in Zukunft erneut steigen, aber nicht so stark wie während der Coronakrise.“

Die Disruptionen in den weltweiten Rohstoff- und Warenströmen betrafen bei weitem nicht nur Importeure, deren Schwerpunkt in China liegt. Auch Textiler, die v.a. in Bangladesch oder anderen Regionen Südasiens produzieren lassen, waren betroffen – wie der deutsche Textilprofi Daiber: „Da wir in unseren Hauptimportländern recht wenige Lockdowns hatten, sind die Produktionen ohne größere oder längere Ausfälle weitergelaufen. Allerdings war es immer schwierig, Container oder Frachtrouten zu bekommen – und wenn die Container auf den Schiffen waren, konnten diese oft nicht gelöscht werden, weil die Häfen nicht nachgekommen sind“, so Daiber-Geschäftsführer Kai Gminder. „Diese Situation hat sich zum Glück weitestgehend normalisiert.“

Prama Bhardwaj, CEO und Gründerin des Londoner Textilspezialisten Mantis World, hebt den Wert langfristiger, respektvoller Beziehungen zu den Produzenten hervor: „Als Covid zuschlug, stornierten viele große Marken umgehend bereits produzierte Aufträge und verlangten zusätzliche Zeit für die Produktion, damit die Herstellung auf sichere Weise erfolgen konnte. Das haben unsere Lieferanten nicht vergessen, und sie haben alles daran gesetzt, um unsere Versorgung zu sichern. Infolgedessen verfügen wir jetzt über große Lagerbestände, und das Pendel hat in die andere Richtung ausgeschlagen – die Fabriken haben Überkapazitäten. Die Herausforderung besteht darin, trotz der Unvorhersehbarkeit von Angebot und Nachfrage irgendwie ein Gleichgewicht herzustellen. Das geht nur, wenn man gut zusammenarbeitet.“

Ohnehin blieb den Importeuren jahrelang nichts anderes übrig, als ihren Produzenten weitgehend zu vertrauen, nachdem persönliche Besuche nicht möglich waren. „Wir waren tatsächlich ein wenig nervös, was uns erwarten würde, nachdem für so lange Zeit weder wir noch unsere Auditoren oder Zertifizierer persönlich vor Ort sein konnten“, so Bhardwaj weiter. „Wir waren jedoch sehr positiv überrascht, als wir die Fabriken besuchten – viele hatten die Ausfallzeit genutzt, um ihre Anlagen zu modernisieren und die Effizienz zu verbessern. Die Energie und der Verbesserungswille unserer Partner waren geradezu inspirierend.“

Auch Daiber ist bereits zu persönlichen Besuchen in seine Produktionsländer gereist, wie Gminder berichtet: „Wir sind schon in Bangladesch und Pakistan gewesen. In beiden Ländern läuft das Leben wieder normal, und die Produktionen laufen reibungslos.“

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Nach Ansicht vieler Importeure wird Bangladesch auch in Zukunft das Zentrum der Textilindustrie sein.

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Im Elektroniksegment ist China nach wie vor unangefochten. Das gilt auch für den Bereich E-Mobilität.

Deflation in China

Etwas anders stellt es sich in China dar, für viele Importeure und Produktgruppen immer noch mit Abstand Produzent Nr. 1: „Corona hat viele der kleinen und nicht gut geführten Unternehmen in China getroffen, viele von ihnen sind in Konkurs gegangen“, so Estellés-Zanón. „Jetzt beobachten wir, dass die Verfügbarkeit neuer Produkte und Designs zurückgegangen ist. Innovationen sind fast nur noch im Bereich neuer, umweltfreundlicher Materialien zu finden.“

Ignacio Mitjans, Sales and Marketing Manager bei Makito, ergänzt: „Während sich die Lage in den Lieferketten nun auf dem Niveau von vor der Pandemie befindet und wir hier keine weitere Krise erwarten, gibt das Deflationsszenario in China Anlass zu einiger Sorge.“ Denn nach dem Ende der Pandemie erholt sich die chinesische Wirtschaft langsamer als von den meisten Volkswirtschaftlern erwartet. Nach Angaben des chinesischen Statistikamts sanken die Verbraucherpreise im Juli im Vergleich zum Vorjahr um 0,3%. Die Erzeugerpreise, die Hersteller für ihre Produkte verlangen, lagen den zehnten Monat in Folge im Minus und sanken im Juli um 4,4% gegenüber dem Vorjahr. Ein Preisverfall, den Experten u.a. auf die anhaltend schwache Konsumnachfrage zurückführen – und die Probleme am Immobilienmarkt, denn dieser befindet sich im freien Fall: Allein im Juni waren die Immobilienverkäufe um fast 30% im Vergleich zum Vorjahresmonat eingebrochen. Landesweit sitzt China auf einem gigantischen Bestand von mehr als 50 Mio. Wohnungen, die keine Käufer – geschweige denn Mieter – finden. Als wäre das nicht genug, sanken die Exporte nach bereits starken Rückgängen in den Vormonaten im Juli im Jahresvergleich um 14,5%.

Immer moderner, immer nachhaltiger

Dabei hat die Regierung Xi Jinpings eigentlich ambitionierte Ziele, und der wirtschaftliche Abschwung kommt denkbar ungelegen in einer Zeit, in der große Umstrukturierungen stattfinden: Der 14. Fünfjahresplan für den Zeitraum 2021 bis 2025 fördert den Aufbau und die Entwicklung moderner Fertigungscluster, in denen Schlüsselindustrien und -technologien vorangetrieben werden sollen. Gleichzeitig ist der Anteil des verarbeitenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt in China rückläufig: Zwischen 2016 und 2020 ist er von 28,1% auf 26,2% gesunken.

Schon jetzt spielt das Land in vielen Technologien eine Vorreiterrolle – zumindest, was deren Absatz und die Verbreitung angeht: So kletterte der Bestand an Elektroautos in China laut einer Analyse des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) bis Ende 2022 auf 14,6 Mio. Fahrzeuge – das sind 53% der laut ZSW weltweit 27,7 Mio. E-Automobile. „China holt auf“, urteilt Sperber. „Im Bereich der E-Mobilität z.B. ist das Land deutlich weiter als wir, man sieht fast nur noch chinesische Autos, und die meisten davon sind elektrisch. Das Produktdesign ist allerdings typisch chinesisch: Man nehme zwei oder drei andere Designs und mache daraus ein neues.“ Auch Mitjans meint: „China entwickelt sich rasant, und wir erwarten einen radikalen Wandel in Technologie, Design und Produktion.“ Estellés-Zanòn ergänzt: „Die führenden Unternehmen spielen jetzt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Technologien und setzen auch bei Werbeartikeln die Trends für die Zukunft.“

Das gilt auch für Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Allgemeinen – „Made in China“ ist schon lange kein Synonym für minderwertige, schadstoffbelastete Produkte aus fragwürdiger Quelle mehr. Zwar gibt es letztere durchaus immer noch, es gilt jedoch, zu differenzieren. „Schritt für Schritt passt China seine Produktionsprozesse an. Im Zuge dieser Entwicklung ergreift die Regierung i.d.R. radikale Maßnahmen, um die Umweltauflagen zu erfüllen. Inzwischen sind in China fast 100% aller Motorräder elektrisch, und viele Autohersteller bringen Elektroautos auf den Markt, außerdem sind in vielen Fabriken Solarpaneele zu sehen, sodass ich glaube, dass das Land auf dem richtigen Weg ist. Das Arbeitsrecht wird immer strenger, auch die Sicherheit und die Arbeitsbedingungen haben sich verbessert“, so Estellés-Zanón. „Leider gibt es immer noch die chinesische Art, Dinge zu erledigen, und daran muss sich noch vieles verbessern.“

Deshalb kommt es immer darauf an, mit wem man arbeitet, welche Maßstäbe man an die eigene Lieferkette legt, wie genau man hinsieht – und welche Preisvorstellung man hat: „Für fast jedes Produkt kann man jetzt die Qualität und die Umweltverträglichkeitsstandards haben, die man sich wünscht“, so Gil. „Die chinesischen Hersteller verfügen über das benötigte Wissen und die entsprechende Kapazität. Es ist nur eine Frage, wie viel man bereit ist zu zahlen. Als ich im April die Messen besuchte, habe ich festgestellt, dass deutlich mehr Lieferanten Zertifizierungen ausweisen. Die Betonung liegt auf ‚ausweisen‘ – denn auf Nachfrage antworteten die Aussteller in vielen Fällen, dass es sich um ‚Work in Progress‘ handele. Zertifizierung wird allmählich zu etwas Greifbarem, das jeder kennt, aber wir sind noch weit davon entfernt, dass die erforderlichen Maßnahmen auch gewissenhaft umgesetzt werden.“

Insgesamt, so Mitjans, gibt es auch in China noch deutlichen Nachholbedarf: „Beim Umweltschutz liegt China noch weit hinter den internationalen Standards zurück, und ich bin mir nicht sicher, ob das Land diesen Rückstand bald aufholen wird. Das Gleiche gilt für Sozialstandards, Arbeitsschutzgesetze und die Einhaltung von CSR-Anforderungen: Es gibt zwar einige Fortschritte, die aber eindeutig unzureichend sind.“ „Der Umweltschutz nimmt auch in China deutlich zu im Vergleich zu den früheren Jahren, allerdings ist er bei weitem nicht das Hauptthema“, urteilt Sperber. „Der Fokus steht eher auf Wirtschaft und Wachstum.“

Raus aus den Fabriken

Mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel in China geht – zumindest in den wohlhabenderen Regionen – auch ein gesellschaftlicher Wandel einher. Immer mehr Chinesen können sich einen besseren Lebensstandard leisten, die Mittelschicht ist in den letzten Jahren erheblich angewachsen. Infolgedessen richten viele Industrien und der Dienstleistungssektor ihr Augenmerk zunehmend auf den Binnenmarkt, werden die eigenen Landsleute zur interessanten Zielgruppe. „Auf dem chinesischen Festland liegt der Fokus inzwischen deutlich stärker auf China“, berichtet Sperber. „Selbst in den internationalen Hotels findet man kaum mehr englisch sprechendes Personal, die Kommunikation läuft per Übersetzungs-Apps. Außerdem gibt es inzwischen verstärkt Probleme bei der Zahlung mit westlichen Kreditkarten, der Bezahlprozess läuft fast ausschließlich über WeChat Pay, was aber fast nur für Chinesen möglich ist.“

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Um wettbewerbsfähig zu bleiben, setzen die chinesischen Hersteller zunehmend auf Automatisierung.

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Mehr als die Hälfte aller Elektroautos der Welt werden in China gefahren.

Viele Menschen in China sind nicht mehr darauf angewiesen, in Fabriken zu arbeiten, sondern drängen in bessere Jobs in anderen Branchen, während das Lohnniveau zusehends steigt. So lag das durchschnittliche Jahresgehalt in China laut Statista im Jahr 2022 bei 114.029 Yuan, das entspricht rund 16.849 Euro. Zum Vergleich: Das durchschnittliche Jahresgehalt in Rumänien lag 2022 bei 14.181 Euro. Viele chinesische Produzenten setzen daher in zunehmendem Maße auf Automatisierung und werden auf diese Weise kosteneffizienter, sind gleichzeitig aber auch weniger flexibel, was die Vielfalt und Anpassungsfähigkeit ihrer Produkte angeht. Damit geben sie ein großes Plus aus der Hand. Verhindern lässt sich der Exodus einiger Segmente ohnehin nicht.

„Auch China investiert in Automatisierung, dadurch wird ein beachtlicher Teil der benötigten Arbeitskraft eingespart werden. In Kombination mit den deutlich günstigeren Stromkosten bleibt der Standort dadurch schlagkräftig“, so Sperber. „V.a. im Elektronikbereich sehe ich China nach wie vor als konkurrenzlos. Einzelne Branchen werden dennoch in andere Länder übergehen, die ich punktuell als wirkliche Alternative sehe. Wir haben ja während Corona die großen Probleme in den weltweiten Lieferketten erlebt. Natürlich geht es immer auch um den Preis, aber die Nachfrage nach lokaler Produktion steigt spürbar.“ „Schritt für Schritt suchen wir für einzelne Produktgruppen nach neuen Ländern“, bestätigt Estellés-Zanón, „aber die hohe Wettbewerbsfähigkeit des Werbemarktes schränkt die Möglichkeiten ein, da letztlich das Verhältnis zwischen Preis und Qualität am wichtigsten ist. Indonesien und Vietnam könnten jedoch Teil eines expandierenden Marktes sein.“

Fokus auf Südasien

Für die meisten Textiler liegt der Schwerpunkt ihrer Importaktivitäten ohnehin schon längst außerhalb Chinas – und dort v.a. in Bangladesch, das laut Einschätzung Gminders auch in Zukunft das Zentrum für die Textilindustrie bleiben wird: „Das Land ist auch in Sachen Umweltschutz viel weiter, als man das in Europa oft hört. Wenn eine neue Fabrik gebaut wird, dann entspricht diese i.d.R. den vorgegebenen Standards. Unser größter Lieferant hat schon vor Corona angefangen, eine komplett neue Fabrik aufzubauen.“ Dank letzterer kann Daiber seit ein paar Jahren Ware anbieten, die komplett Detox to Zero-konform produziert wird – also nach einem Verifizierungssystem von Oeko-Tex für die Textil- und Lederindustrie mit dem Ziel, die Kriterien der Detox-Kampagne von Greenpeace in den Betriebsstätten umzusetzen.

Mantis World bezieht ebenfalls einen Großteil seines Sortiments aus Bangladesch. Wie Bhardwaj bestätigt, hat das Land in Sachen Technologie und Nachhaltigkeit große Fortschritte gemacht: „Einige der besten Fabriken mit den höchsten Zertifizierungsstandards befinden sich in Bangladesch, und zwar nicht nur ‚Nähmaschinen‘, sondern auch eine hohe Fertigungstiefe, da Bangladesch jetzt auch über eine moderne und hochentwickelte Garn- und Stoffproduktion verfügt. In Bangladesch wird zwar keine Baumwolle angebaut, aber das Land hat aufgrund der dortigen Textilproduktion Zugang zu einer Vielzahl von Rohstoffen für recycelte Materialien.“

Darüber hinaus sind sowohl Daiber als auch Mantis World in Pakistan aktiv, laut Gminder ein aufstrebender Standort – trotz der vielen politischen Schwierigkeiten, in denen das Land steckt: „Von Pakistan bin ich begeistert. Dort hat sich während der Pandemie sehr viel getan. Vor allem in Lahore hat man nicht das Gefühl, in einem Entwicklungsland zu sein.“ Auch Bhardwaj attestiert dem Standort Pakistan ein hohes Potenzial, empfiehlt jedoch gleichzeitig, bei der Wahl der Partner genau hinzuschauen: „In Pakistan werden die meisten Textilarbeiter im Akkord bezahlt, was sie sehr unter Druck setzen kann. Unser Lieferant, den wir schon seit mehreren Jahren kennen, hat Arbeiter mit festen Gehältern. Außerdem verfolgt er die Politik, so weit wie möglich Frauen einzustellen und zu fördern. In einem Land mit einer extrem patriarchalischen Kultur unterstützen wir diese Politik nach Kräften. Wenn die politische und wirtschaftliche Lage stabil ist, ist Pakistan auf jeden Fall eine echte Alternative.”

Allerdings, so Bhardwaj, hänge das Potenzial stark von geopolitischen Rahmenbedingungen ab: „Durch Überschwemmungen wurde die Hälfte der Baumwollproduktion des Landes zerstört, und das politische Klima kann instabil sein. Pakistan baut nicht genug Bio-Baumwolle an und kann sie aus politischen Gründen nicht aus Indien importieren. Wir umgehen das, indem wir andere Quellen nutzen, darunter unsere vertrauenswürdige Biobaumwoll-Farmgruppe aus Tansania.“

Und Afrika?

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In vielen afrikanischen Staaten gibt es ein Verbot für genetisch verändertes Saatgut. Ein großer Pluspunkt für den ökologischen Baumwollanbau – wie hier in Tansania.

Mantis World ist eigener Aussage zufolge das einzige Unternehmen in der Branche, das in dem ostafrikanischen Staat produziert. Laut Bhardwaj eine „Herzensangelegenheit”: „Die Fabrik – Sunflag Tanzania – wurde in den 1960er Jahren von meinem Großvater gebaut und ist seitdem in Familienbesitz. Unsere Fabrik ist vollständig vertikal integriert, von der Garnherstellung bis hin zu den fertigen Kleidungsstücken. Gleichzeitig kennen wir die Bio-Baumwollfarmen, mit denen wir in Tansania zusammenarbeiten, persönlich. Es handelt sich also um die transparenteste Lieferkette, die möglich ist. Tansania ist der weltweit viertgrößte Produzent von Biobaumwolle und der größte in Afrika, was einen großen Vorteil in der Lieferkette bietet. Sunflag Tanzania gilt als Vorbild für die Region und war die erste Fabrik in Subsahara-Afrika, die die GOTS-Zertifizierung erhalten hat.”

Während Standorte wie Marokko und Ägypten bereits recht gut entwickelt sind, was die Textilherstellung angeht, standen die Länder südlich der Sahara bislang kaum auf dem Radar. Bhardwaj möchte das ändern: „Ich bin ehrenamtliche Vorsitzende der Pan Africa Sourcing Working Group bei Textile Exchange. Die Arbeitsgruppe wurde ins Leben gerufen, um das Produktionsniveau in Afrika zu verbessern und den Kontinent als Standort bekannter zu machen. Es ist sehr ermutigend für uns, zu sehen, wie viele Kunden unsere ‚Made in Africa‘- Kollektion dafür, wie und wo sie hergestellt wird, schätzen.”

Nicht nur lassen sich mit Produkten „Made in Africa“ gute Geschichten erzählen, viele Regionen bieten auch handfeste Vorzüge – vorausgesetzt, sie haben die Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln. Dazu braucht es laut Bhardwaj die richtigen Strategien, um entscheidende Hebel wie Rohstoff- und Wasserversorgung, Energieproduktion und Personalverfügbarkeit zu aktivieren – sowie die Einsicht, dass die Regeln, die in Asien gelten, nicht einfach auf Afrika übertragbar sind. „Wir hoffen, dass sich regionale Cluster mit spezialisierten Textilzentren bilden. Es gibt so viel Potenzial für einen starken, nachhaltigen und transparenten Textilsektor auf dem Kontinent.”

So gibt es – um ein Beispiel zu nennen – in vielen afrikanischen Staaten ein Verbot für genetisch veränderte Samen. Ein großer Pluspunkt für den ökologischen Baumwollanbau, bei dem die Integrität des Saatguts eine wichtige Rolle spielt. Bhardwaj: „Eine der wichtigsten Arbeiten in der Arbeitsgruppe war eine alternative Darstellung zu den riesigen Agrarkonzernen wie Bayer, die ständig Lobbyarbeit bei den Regierungen betreiben – mit dem Ziel, gentechnisch verändertes Saatgut und die damit verbundenen chemischen Düngemittel und Pestizide einzuführen, die für die Menschen und den Planeten so schädlich sind. Wir haben ein Weißbuch über die Vorteile des ökologischen Landbaus verfasst, das auf vielen afrikanischen Konferenzen präsentiert wurde. Nun hat z.B. Tansania eine strenge Politik installiert, um sein Verbot von gentechnisch verändertem Saatgut aufrechtzuerhalten.”

Es bliebe also zu wünschen, dass sich die politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen in den bislang noch rar gesäten afrikanischen Fertigungsregionen weiter verbessern, damit mehr Importeure dem Beispiel einiger Pioniere folgen. Gminder sieht allerdings vorerst für sein Unternehmen in Afrika kein Potenzial: „Afrika kommt bei uns regelmäßig immer wieder auf die Agenda, am ehesten Marokko oder Ägypten. Wirklich nennenswerte Ergebnisse kommen dabei aber nie heraus. Vor ein paar Jahren dachte ich, dass durch die Chinesen, die viel in Afrika investiert und die nötige Infrastruktur sowie v.a. ein strukturiertes Management aufgebaut haben, ein Aufschwung stattfindet. Aber auch dadurch scheint es nicht besser oder schneller zu laufen. Sämtliche afrikanische Länder sind politisch für mich einfach viel zu instabil. Für viel interessanter als Afrika halte ich Europa.“

Heimvorteile

Und Europa als Produktionsstandort ist längst Realität – selbst für Textilunternehmen. „Eine europäische Produktion mag zwar teurer sein, aber viele Kunden sind bereit, für eine nachhaltigere Produktion, die viel CO2 in der Lieferkette einspart, mehr zu investieren“, erklärt Gminder. „Wenn dann auch noch die Qualität stimmt, geht das Konzept auf.“

Für viele andere Produktgruppen ist die Frage „Europa oder Fernost“ häufig ohnehin nur noch eine Frage der Stückzahl – während sich die Preisgefüge immer mehr annähern, punktet die lokale Produktion gleichzeitig mit kurzen Lieferzeiten, unkomplizierter Kommunikation, kleinen Mindestordermengen, Flexibilität und nicht zuletzt Qualität. „Die Auslastung an unseren Standorten in Sulzbach-Rosenberg und Tschechien beweist: ‚Made in Europe‘ und ‚Made in Germany‘ sind auch nach der Pandemie gefragter als je zuvor. Deshalb liegt auch hier für uns absolut der Fokus“, so Sperber. „Es wird weiter einige Artikelgruppen geben, bei denen aufgrund der Standortbedingungen eine lokale Produktion nicht rentabel sein wird, aber durch Automatisierung der Produktion und unsere eigenen Photovoltaik-Anlagen versuchen wir, möglichst viele Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen in Europa zu produzieren.”

„Die wachsende Nachfrage nach Werbeartikeln ‚made in Europe‘  ist tatsächlich ein relevanter Trend. In einigen Segmenten ist das ja auch möglich, z.B. bei Kunststoffspritzgussprodukten, hochwertigen Textilien, Keramik oder Glas“, bestätigt Gil, der jedoch gleichzeitig relativiert: „In anderen Produktbereichen würde ich es jedoch als nahezu unmöglich bezeichnen. Genau die gleiche Baumwolltasche kostet drei- bis fünfmal mehr als in Asien, wenn sie in Europa produziert wird. Das mag für manche Anwender akzeptabel sein, aber sicher nicht für den Großteil des Marktes.“

Gefährliche Abhängigkeit

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Hafen von Haikou: Wenn es um Infrastruktur geht, kann keine andere Produktionsregion mit China mithalten.

Schon häufig wurde das Ende Chinas als „Fabrik der Welt“ ausgerufen, eingetreten ist es indessen nicht. Für viele Produktgruppen gibt es weit und breit keine Region, die China auch nur ansatzweise den Rang ablaufen könnte. „Die Diskussion führt zu nichts, bei allem Respekt“, meint Gil. „Seit Jahren wird über die Diversifizierung der Lieferkette gesprochen, hat man große Anstrengungen unternommen, um Produktionen in Vietnam, Laos und Kambodscha zu platzieren. Ich sehe keine greifbaren Ergebnisse, außer für einige spezifische Bereiche. Die Infrastruktur ist einfach nicht da, von Fabriken über Häfen bis hin zu Verkehrswegen.“

Zugespitzt bedeutet das: Der Westen ist von China abhängig – das gilt nicht nur für kritische Bereiche wie Medizin und kritische Infrastruktur oder für den Retail im Allgemeinen, sondern auch für die Werbeartikelindustrie. Umso verstörender sind die aktuellen Spannungen in Ostasien – allen voran der Taiwan-Konflikt, der vielen Importeuren schlaflose Nächte bereitet und den Mitjans „die wahrscheinlich größte geopolitische Bedrohung für die Promo-Industrie” nennt. „Sollte es zu Eskalation kommen, werden die Lieferketten aus China vermutlich zum Erliegen kommen“, pflichtet Sperber ihm bei. „Und das ganze Ausmaß eines Angriffs möchte ich mir gar nicht vorstellen.”

„Eine Invasion Taiwans durch China würde zu einer verheerenden Schockwelle führen, die eine massive Verlagerung der Produktion aus China heraus erzwingen könnte“, ergänzt Gil. „Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es jedoch keine politischen und wirtschaftlichen Anzeichen dafür, dass dies geschehen könnte. Wer einen Verlagerungsprozess vorwegnimmt, riskiert deshalb schlichtweg wirtschaftlichen Misserfolg.”

Es wäre also geradezu gefährlich, in Panik zu verfallen. Doch lohnt es sich, wo immer möglich, Alternativen zu China im Blick zu behalten und die ein oder andere Lieferkette neu zu denken. Denn unorthodoxe Lösungsansätze können auch im globalen Handel mit seinen unüberschaubaren Vernetzungen durchaus funktionieren. Eine Erkenntnis, die viele Importeure aus der Coronakrise mitgenommen haben dürften – und die in zukünftigen Krisen nur von Nutzen sein kann.

// Till Barth

Bildquelle: HKTDC (2); Shutterstock.com (10)

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