Werbeverbote für Genuss- und Lebensmittel, „Transparenz-Codes“ in Pharma- und Finanzsektor, Compliance-Wahn in Politik und Wirtschaft: Die Werbeartikelbranche bekommt Probleme mit dem Gesetz – nicht selten völlig zu Unrecht und ohne ihr Zutun. Ein Streifzug durch den (Verbots-)schilderwald.

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Wer sich alte Anzeigen oder Werbespots anschaut, traut oft seinen Augen nicht: Aus heutiger Sicht erscheinen die Kampagnen, die völlig unverblümt und mit der Holzhammermethode „Kauf mich!“ brüllen, geradezu primitiv – von den fragwürdigen, nicht selten offen sexistischen Rollenklischees, die dort bedient werden, mal ganz abgesehen. Unfassbar aus heutiger Sicht auch, was alles ohne Einschränkung beworben wurde – nehmen wir nur einmal Zigaretten: So unbekümmert, wie in Haushalten, öffentlichen Gebäuden, Fahrzeugen oder Restaurants gequalmt wurde, so ungezwungen war auch der Umgang mit Nikotin in der Werbung.

Der Tod des Marlboro-Manns

Das hat sich grundlegend geändert – Tabakprodukte gehörten zu den ersten Waren, deren Bewerbung massiv eingeschränkt wurde. Dass Darrell Winfield, der wohl bekannteste Marlboro-Mann und der einzige Darsteller der Werbefigur, der tatsächlich Cowboy war, Anfang 2015 verstarb, ist geradezu symbolisch für den Paradigmenwechsel, den die Tabakwerbung durchlaufen hat. Nicht nur wäre eine Figur wie der Marlboro-Mann, die das Rauchen offensiv als nachahmenswert erscheinen lässt, heute nicht mehr erlaubt – auch das Spektrum der Medien, in denen Tabakprodukte überhaupt noch beworben werden dürfen, ist stark begrenzt, wenn nicht auf Null gesetzt.

Die EU-Tabakrichtlinie, die 2016 in Kraft trat, wird in den Mitgliedsländern unterschiedlich streng umgesetzt. Z.T. gehen die Restriktionen weit über das von der EU geforderte Maß hinaus, wie z.B. im Noch-Mitgliedsland Großbritannien: Dort müssen seit Mai 2017 alle Zigaretten in einer standardisierten grünen Verpackung verkauft werden. Gordon Glenister, Director General des BPMA (British Promotional Merchandise Association), berichtet: „Obwohl interessanterweise immer noch einige Werbeartikelhändler Feuerzeuge und Aschenbecher verkaufen, ist im Vereinigten Königreich Tabakwerbung in jeglicher Form verboten. Fast nirgendwo darf mehr geraucht werden, Heizpilze haben einen wahren Boom erlebt, Zigaretten werden im Einzelhandel nicht mehr sichtbar präsentiert.“ Frankreich handhabt das Thema Tabak ähnlich streng, dort wurde bereits 2016 die Einheitsverpackung eingeführt, und jegliche Form der Tabakwerbung und -promotion ist verboten. In anderen EULändern gibt es zumindest derzeit noch gewisse Lockerungen. In Schweden genießt der landestypische Oraltabak Snus, der lose oder in kleinen Beuteln unter die Lippe geschoben wird, eine Sonderrolle – der Lutschtabak gilt europaweit als Trenddroge im Profisport. In Norwegen sind Internet- und POS-Werbung sowie Werbeartikel in Verbindung mit Tabakprodukten z.T. erlaubt, Italien gestattet mit Einschränkung Promotions, Sponsoringaktionen sowie Displays am POS.

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Im Auftrag der Tabakmarke Winston produziert VanBavel Enjoy Giving Goodie Bags für Seeleute.

Aus Belgien berichtet Michel Van Bavel, Geschäftsführer der Werbeartikelagentur Van Bavel Enjoy Giving: „Weil fast nicht mehr für Tabak geworben werden darf, ist es sehr schwierig für unsere Kunden aus der Tabakbranche, überhaupt noch Kampagnen zu fahren. Relativ liberal ist die Rechtslage im nahen Luxemburg – dorthin liefern wir unbedruckte Giveaways, die im Rahmen von Promotions eingesetzt werden – sowie in Bereichen mit zollfreiem Warenverkehr, also z.B. in Häfen und Flughäfen.“ Eine Promotion, die Van Bavel seit 2015 für die Zigarettenmarke Winston durchführt, richtet sich an Seeleute: „Viele Seeleute sind ohne einen Zwischenstopp wochenlang unterwegs. Beim Kauf einer bestimmten Anzahl Zigaretten erhalten sie eine gutbestückte Goodie Bag mit zahlreichen nützlichen Dingen für das Leben an Bord, z.B. Shirts, Caps, Sonnenbrillen, Kartenspiele oder Aschenbecher. Die Kampagne lief in Antwerpen und weiteren europäischen Häfen, z.B. in Spanien, den Niederlanden oder Großbritannien, sowie darüber hinaus vereinzelt in Fernost. Je nach nationalem Recht durften die Giveaways eine Werbeanbringung haben oder nicht. Auch der Inhalt der Goodie Bags war regional verschieden. Insgesamt ist die Kampagne recht erfolgreich und eine der wenigen Gelegenheiten, in denen noch für Tabakprodukte geworben werden darf.“

In Deutschland herrschen, verglichen mit großen Teilen Europas, fast noch goldene Zeiten, was die Tabakwerbung angeht: Zwar gibt es dort schon lange ein Werbeverbot für Tabakprodukte im TV und im Radio, seit 2007 auch in Zeitungen, Zeitschriften und im Internet. Geworben werden darf jedoch noch in Form von Außenwerbung und am POS sowie durch Sponsoring, Promotion und Direktmarketing – Letzteres über zugangsbeschränkte Internetseiten, Gewinnspiele sowie auf Veranstaltungen. Überzeugungsarbeit, bei der gern und häufig auf haptische Werbung vertraut wird. „Haptische Werbung hat den besonderen Vorteil, ein lang anhaltendes Markenerlebnis zu bieten. Gerade im Bereich FMCG sind Werbeartikel damit ein wichtiger Bestandteil unserer Marketingaktivitäten. Wir setzen sie sowohl im Kontakt mit Konsumenten ein als auch in der Zusammenarbeit mit unseren Handelspartnern“, berichtet Heike Maria Lau, Leiterin Politik & Kommunikation bei JT International Germany. So kommen im Rahmen des Direktmarketings weiterhin hochwertige Prämien zum Einsatz, und am POS setzen viele Hersteller auf Giveaways und Onpacks zur Absatzsteigerung. Auch in die Live-Kommunikation investiert die Industrie weiterhin massiv: Laut Drogen- und Suchtbericht 2017 der Bundesregierung sind die Ausgaben für Promotions zwischen 2013 und 2015 von 129 auf 133 Mio. Euro jährlich gestiegen. Zum Vergleich: In Außenwerbung investierte die Tabakbranche 2015 nur rund 91 Mio. Euro. Zwar wird auf und im Umfeld von Sportveranstaltungen oder Events mit grenzübergreifendem Charakter, bei denen auch Kinder und Jugendliche anwesend sind, nicht mehr geworben, dafür umso mehr auf Musikveranstaltungen. Es gibt kaum ein großes Musikfestival, unter dessen Sponsoren nicht ein Tabakunternehmen ist, das versucht, seine Marke auf der Veranstaltung so effektiv wie möglich zu emotionalisieren. Eine wichtige Ingredienz: haptische Werbung. Dennoch steht auch dort, wo sie noch eingeschränkt erlaubt ist, die Tabakwerbung auf der Kippe, denn weitere Verbote werden intensiv diskutiert. Ginge es nach der WHO, wäre Tabakwerbung bis 2025 komplett und weltweit verboten.

Im Dienste der Gesundheit

Die Tabakbranche ist bei Weitem nicht die einzige Industrie, die sich mit Eingriffen durch die Legislative konfrontiert sieht. Viel diskutiert wird z.B. die Werbung und Verkaufsförderung für alkoholische Getränke. So sprach sich der EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis im September 2016 ausdrücklich für eine Beschränkung der Werbe- und Marketingmaßnahmen in Bezug auf alkoholhaltige Getränke aus. Noch wurde diese Forderung nicht EU-weit umgesetzt, doch bestehen bereits jetzt vielerorts entsprechende Regelungen mit Blick auf die Vermarktung von Alkohol. Seit Jahren ist in der EU zudem eine verbindliche Ampelkennzeichnung in der Diskussion, die den Fett-, Zucker- und Salzgehalt eines Lebensmittels sofort eindeutig kenntlich macht. Frankreich und Großbritannien haben in Ermangelung einer EU-weiten Regelung farbbasierte Kennzeichnungsmodelle als freiwillige Selbstverpflichtung eingeführt. Kommt die EU-weite Ampel doch irgendwann, kommt sie natürlich auch im Bereich kulinarischer Werbeartikel zur Anwendung. Ähnliches gilt für eine Zuckersteuer, die in einigen europäischen Ländern bereits Realität ist, etwa in Frankreich oder, ganz neu, in Großbritannien: Seit dem 6. April müssen Getränkehersteller dort eine Abgabe bezahlen, wenn ihre Getränke mehr als 5 g Zucker je 100 ml erhalten. In etlichen weiteren europäischen Ländern wird eine Zuckersteuer diskutiert – auch hierzulande, zuletzt etwa im Zuge des vor wenigen Wochen erschienenen Coca-Cola-Reports der Verbraucherorganisation foodwatch: Die umfangreiche Untersuchung wirft dem Konzern u.a. vor, mithilfe gezielter Lobbyarbeit und gekaufter Wissenschaftler Werbeverbote oder Sondersteuern zu verhindern und führt die neue britische Zuckerabgabe als wirkungsvolles Instrument zur Regulierung an (vgl. Grafik). 

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Die britische Zuckersteuer, die am 6. April 2018 in Kraft trat, hat sich als wirkungsvoll erwiesen: Viele Getränkehersteller haben den Zuckergehalt ihrer Getränke erheblich verringert. (Quelle: Foodwatch)

Weitreichende Regelungen bestehen bereits jetzt in der gesamten EU in Bezug auf sogenannte Health Claims, also Aussagen über gesundheitsfördernde Eigenschaften von Nahrungsmitteln, wie sie dem Verbraucher am Getränke- oder Kühlregal, bei Cerealien und selbst bei Süßigkeiten vielfach begegnen, und wie sie auch in der Werbeartikelbranche gebräuchlich sind. Eine Datenbank mit Health Claims, die aktuell Einträge zu 2.320 Nahrungsmitteln, Stoffen oder Nahrungsergänzungsmitteln umfasst und genau differenziert, welche Beschreibungen in welcher Formulierung und in welchem Zusammenhang zulässig sind, findet sich auf der Website der Europäischen Kommission. Damit sind längst nicht alle Fragen geklärt: Im Juni 2017 z.B. untersagte der Europäische Gerichtshof der auch im Werbeartikelmarkt verbreiteten Marke Dextro Energy, gesundheitsbezogene Angaben auf ihre Traubenzuckerwürfel zu drucken.

Mündige Verbraucher

Nun geht es bei allen Verboten darum, Verbrauchergruppen zu schützen und Gefahren vorzubeugen – jedoch geht der Eingriff, den der Gesetzgeber vornimmt, vielen Werbetreibenden häufig zu weit. „Für uns steht außer Frage, dass ein legales Produkt in Deutschland auch beworben werden sollte und darf“, so Lau. „Ein Werbeverbot hingegen ginge mit der Außerkraftsetzung eines wesentlichen Elementes des Wettbewerbs einher und würde für den Tabaksektor das Ende des letzten verbliebenen großräumigen Werbekanals bedeuten. Zwangsläufig wäre dadurch mit einem Einfrieren von Marktanteilen und in der Folge mit einer Abschottung des Marktes zu rechnen. Neuen und innovativen Produkten wäre es somit unmöglich, sich am Markt zu etablieren.“ Auch Frank Dangmann, Vorsitzender des deutschen Werbeartikelverbands GWW (Gesamtverband der Werbeartikel-Wirtschaft e.V.), verweist auf die Problematik gesetzlicher Steuerung von Marketingaktivitäten: „Der GWW vertritt die Position, dass Werberestriktionen Eingriffe in die Marktwirtschaft darstellen, in der Werbung und kommerzielle Kommunikation ein unverzichtbarer Motor des Wettbewerbs sind. Wer Werbeverbote ausspricht, hemmt nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, sondern spricht auch den Verbrauchern ihre Mündigkeit ab. Wir arbeiten eng mit dem ZAW (Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft) zusammen, dort wird umfassend über die negativen Auswirkungen von Werberestriktionen geforscht und intensive Aufklärungsarbeit geleistet.“ So heißt es in einer entsprechenden Positionierung auf der Website des ZAW: „Beschränkungen der Werbung reduzieren das BIP-Wachstum. Sie beschneiden den Wohlstand in der Bevölkerung überproportional. Sie erschweren den Marktzugang für Unternehmen und bremsen den Markterfolg von Innovationen aus.“ Auch viele nationale Werbeverbände anderer europäischer Länder sowie die European Advertising Standards Alliance (EASA) haben umfangreiche Positionspapiere und Dossiers erarbeitet.

Verantwortung statt Verbote

Statt staatlicher Eingriffe befürworten Werbe- und Branchenverbände ebenso wie einzelne Unternehmen Selbstregulierung und freiwillige Selbstkontrolle und verweisen dabei auf ihre Eigenverantwortung. „Grundsätzlich richtet sich unsere Werbung ausschließlich an den erwachsenen Raucher – mit dem Ziel, Konsumenten anderer Marken für uns zu gewinnen“, so Lau. „Selbstverständlich handeln wir im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und haben uns zusätzlich als Branche auf einen gemeinsamen Werbekodex verständigt. Dazu gehört u.a., dass wir nicht in der Nähe von Schulen, Bildungs- oder Sportstätten für unsere Produkte werben.“ Ähnliche Kodizes existieren u.a. auch in der Alkohol-, Lebensmittel- oder Glücksspielindustrie, mit Auswirkungen auf alle Werbemaßnahmen inklusive der haptischen Werbung. Wie der Deutsche Werberat etwa in seinen Verhaltensregeln über die kommerzielle Kommunikation für alkoholische Getränke festgelegt hat, soll diese „nicht zu missbräuchlichem Konsum alkoholhaltiger Getränke auffordern oder einen solchen Konsum verharmlosen“. Die im Deutschen Brauer-Bund organisierten Unternehmen z.B. haben sich verpflichtet, ihre geplanten Werbemaßnahmen im Vorfeld durch den Deutschen Werberat prüfen zu lassen.

Zur Selbstverpflichtung der Werbebranche gehört es zudem, Kinder als besonders sensible Zielgruppe vor Beeinflussung zu schützen. Wie es in den sogenannten „Kinderregeln“ des Deutschen Werberats heißt, soll Werbung „keine direkten Kaufaufforderungen an Kinder enthalten“, ebenso wenig wie die Aufforderung „zum Konsum eines Produkts oder einer Dienstleistung“ oder Aufforderungen, „ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Ware oder Dienstleistung zu bewegen“. Es bestünden zudem „Anforderungen, die der geringeren Erfahrung dieser Zielgruppe Rechnung tragen“. „Es ist nicht erlaubt, Einfluss auf Kinder unter zwölf Jahren zu nehmen“, so Van Bavel. „Für die Marke Milk Company etwa setzen wir Spielzeuge als Onpack ein, aber das müssen Spielzeuge sein, mit denen Zwölf- oder Dreizehnjährige spielen.” Immer wieder jedoch geraten Unternehmen in die Kritik, weil sie eine solche Differenzierung nicht sauber befolgen. So wirft der Coca-Cola-Report von foodwatch dem Konzern vor, mithilfe von Influencern, Sportstars oder der alljährlichen „Weihnachtstruck-Tour“ gezielt Kinder zu adressieren. Auch eine Sammelbild-Aktion im Rahmen der Fußball-EM 2016 wurde massiv kritisiert. Im letzteren Fall entschied der Deutsche Werberat jedoch, dass kein Verstoß gegen die Verhaltensregeln vorliege – das Sammeln von Panini-Bildern der Nationalmannschaft sei v.a. ein Hobby von Erwachsenen.

Wenngleich Unternehmen aus der Genuss- und Lebensmittelbranche immer wieder für ihr Marketing in die Kritik geraten, steht die haptische Werbung im Vergleich zu anderen Werbemedien besser da, was Akzeptanz und Sympathie beim Verbraucher angeht: Laut einer Statistik der European Advertising Standards Alliance entfiel nur ein verschwindend geringer Anteil der 2016 eingegangenen Beschwerden auf Below-the-Line-Werbemaßnahmen.

Der Pharma-Hammer

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Der 2014 in Kraft getretene Transparenzkodex der Pharmaindustrie bescherte der Werbeartikelbranche massive Umsatzeinbußen. Apotheken dürfen jedoch weiterhin Streuartikel für OTC-Präparate einsetzen.

Im B2B-Bereich ist das Image der haptischen Werbung leider häufig ein anderes: Hier gelten Werbeartikel allzu oft immer noch als Korruptionalie, und so stellen Compliance-Regelungen und Werbeartikelverbote in der B2B-Unternehmenskommunikation ein weitaus größeres Risiko dar als Restriktionen in der Werbung Richtung Endverbraucher. Das Werbeartikelverbot in der Pharmaindustrie, das vor rund vier Jahren Realität wurde, dürfte vielen Werbeartikelplayern in schmerzhafter Erinnerung geblieben sein. „Für die Branche entstanden bedeutende Umsatzeinbußen“, so Dangmann. „Der GWW hat schon im Juli 2013 – also ein Jahr, bevor der Transparenzkodex in Kraft trat – Beschwerde beim Bundeskartellamt und bei der Europäischen Kommission eingelegt und die Pharmabranche zudem darauf hingewiesen, dass sie sich mit dem Kodex einer der wichtigsten Werbeformen selbst berauben würde – leider waren wir nicht erfolgreich.“ Neben Artikeln, die einen informativen Charakter und klaren Bezug zum Produkt haben sowie eine Wertgrenze nicht überschreiten, sind Werbeartikel seit dem Transparenzkodex nur noch in Richtung Verbraucher und für nicht verschreibungspflichtige Medikamente – sogenannte OTC-Präparate – zulässig. Erst im Februar 2018 z.B. untersagte das Oberlandesgericht Stuttgart einem Pharmahersteller den Einsatz eines Produktkoffers mit Arzneimitteln gegen Erkältungsbeschwerden, den dieser an Apotheker verschenkt hatte, da von der kostenlosen Abgabe des Arzneimittelkoffers die „abstrakte Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung“ ausgehe. Dies, heißt es in der Urteilsbegründung weiter, könne dazu führen, dass der umworbene Apotheker seinen Kunden die Produkte des Herstellers empfehle.

In der Compliance-Falle

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Onpack-Promotions mit haptischen Werbeträgern sind ein unentbehrliches Marketinginstrument für die Getränkeindustrie.

Solche Fälle mögen dazu beitragen, die Ängste unter den Anwendern in den Unternehmen zu schüren – denn längst sind Compliance und „Geschenkeverbote“ nicht mehr nur in der Pharmabranche ein Thema, sondern in quasi allen großen Unternehmen. „Die großen Multinationals haben in den überwiegenden Fällen eine Politik, die den Werbeartikeleinsatz genau regelt, und setzen überwiegend geringwertige Produkte ein, die mehr als Marketingmaterial gelten, um dem Vorwurf der Bestechung zu entgehen“, so Andre Noordwijk, Geschäftsführer der niederländischen Werbeartikelagentur BeGlobal Promotions. „Banken und Finanzdienstleister sowie Behörden sind diesbezüglich ebenfalls sehr sensibel. Am Jahresende erlauben generell viele Unternehmen nicht mehr, dass Einzelpersonen Aufmerksamkeiten erhalten – eine Ausnahme sind die in den Niederlanden flächendeckend verbreiteten Kerstpakketen, die ja von der Geschäftsführung an die Mitarbeiter gehen.“ Van Bavel bestätigt: „Die Wertgrenze für die steuerliche Absetzbarkeit von Werbeartikeln liegt in Belgien bei 50 Euro pro Empfänger pro Jahr. Viele Unternehmen jedoch setzen nur noch Produkte von weitaus geringerem Wert ein, um sich nicht dem Vorwurf der Beeinflussung auszusetzen. Aus Compliance-Gründen ist es in vielen Unternehmen üblich, dass Präsente zum Jahresende nicht angenommen werden dürfen, sondern gesammelt und unter den Mitarbeitern verlost werden.“ Das ist insbesondere dann ärgerlich, wenn die eigenen Compliance-Regeln nur selektiv zur Anwendung kommen: Dass die Pharmabranche zwar Werbeartikel weitgehend verbannt hat, aber Kundengruppen weiterhin mit Incentives lockt, ist bekannt, ebenso wie viele andere Unternehmen versuchen, unter dem Radar Beziehungspflege mittels Zuwendungen zu betreiben. Van Bavel: „Zu unseren größten Wettbewerbern im Jahresendgeschäft sind Anbieter wie Zalando und Amazon geworden – denn viele Unternehmen setzen inzwischen gerne Gutscheincodes für Online-Shops ein, die sie ihren Kunden ganz unauffällig schicken können, ohne dass die Compliance-Abteilung dies mitbekäme.“

Gerade weil jedoch viele Unternehmen in ihrer Compliance-Politik eher inkonsistent sind, gibt es für Werbetreibende Möglichkeiten, der „Tombola” auf einfache und harmlose Weise zu entkommen: „Es gibt durchaus Möglichkeiten, die Compliance-Falle auf ganz unbedenkliche Weise zu vermeiden. Wir raten unseren Kunden z.B., Unternehmenspräsente nicht am Ende des Jahres einzusetzen, wenn die Compliance-Wächter besonders wachsam sind und alle Aufmerksamkeiten in der Tombola landen, sondern zwischen dem 15. Januar und dem 10. Dezember. Warum nicht mal eine Aufmerksamkeit zu Ostern oder ein Reiseaccessoire zu Beginn der Urlaubssaison Ende Juni?“, so Van Bavel, der zudem auf Produkte setzt, die eher wie Kommunikationsmedien wirken und keinen so starken „Geschenk-Charakter“ haben.

Aufklärungsarbeit

Dabei ist die Diskussion um Zulässigkeit oder Nicht-Zulässigkeit kleinerer Zuwendungen eigentlich ohnehin in vielen Fällen überflüssig, wie Dangmann erklärt: „Eigentlich dürften Werbeartikel gar nicht nach Compliance-Richtlinien beurteilt werden. Im ‚Kodex zur Abgrenzung von legaler Kundenpflege und Korruption‘ des Arbeitskreises Corporate Compliance steht ausdrücklich, dass Werbe- und Streuartikel bis zu einem Gegenwert von 50 Euro als ‚kleinere Aufmerksamkeiten‘ und bei gelegentlichem Einsatz als unproblematisch gelten. Das gilt für alle Branchen, außer für das Gesundheitswesen. Diese eindeutige Aussage ist nur leider zu wenig geläufig – oder die Empfehlungen der Compliance-Gremien werden in vorauseilendem Gehorsam übererfüllt. Hier versuchen wir, anzusetzen und Aufklärung zu betreiben.“ Ein wichtiges Werkzeug dabei ist der „Leitfaden Compliance“, den der GWW kürzlich veröffentlicht hat. Dieser richtet sich an Werbeartikelberater und Außendienstmitarbeiter im Vertrieb und gibt ihnen Argumente an die Hand, mit denen sie auf Compliance-Einwände der Kunden reagieren können. Gleichzeitig adressiert der Ratgeber auch Marketing-, Werbe- und Vertriebsabteilungen, die gern Werbeartikel einsetzen würden, es aber zunehmend weniger dürfen.

Der GWW selbst trägt seine Argumente mithilfe umfangreicher Netzwerk- und Lobbyarbeit an die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik heran. „Wir arbeiten eng mit dem ZAW, dem Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und dem Bundesverband Groß- und Außenhandel (BGA) zusammen, stehen in Kontakt mit diversen Compliance-Gremien und suchen das Gespräch mit politischen Entscheidern – erst vor wenigen Wochen waren wir auf einem steuerpolitischen Kolloquium in Berlin präsent“, berichtet Dangmann. Auch auf europäischer Ebene streckt der deutsche Branchenverband seine Antennen aus: „Als Mitglied im BGA haben wir diesen für unsere Themen sensibilisiert. Gleichzeitig ist der BGA unser ‚Sonar‘ in Brüssel und hält uns über die Themen, die dort anstehen und die Werbeartikelbranche betreffen, auf dem Laufenden“, berichtet Dangmann und ergänzt: „Egal, ob nun über Compliance, steuerliche Absetzbarkeit oder Werberestriktionen diskutiert wird: Wir müssen immer wieder eines deutlich machen: Was unsere Branche bietet, ist kein Geschenk oder Bestechungsinstrument, sondern eine wirkungsvolle Werbedisziplin“, ergänzt Dangmann. „Wer sich in seinem Werbeartikeleinsatz zu stark beschränkt, beraubt sich einer der wirkmächtigsten Formen des Marketings und schadet sich am Ende selbst.“

Denn geworben werden muss immer – das war in Zeiten der „Kauf mich-Reklame“ nicht anders als heute. Ein Trost für alle leidgeplagten Werbeartikel-Player, selbst oder gerade in Zeiten restriktiver Werberegulierung – immerhin bietet haptische Werbung gegenüber den traditionellen Disziplinen unschätzbare Vorteile. Den Marlboro-Mann jedenfalls hat sie überlebt.

// Till Barth

Fotos: Jens C. Friedrich, © WA Media (1); Foodwatch (1); Pernot Ricard Deutschland (1); Van Bavel Enjoy Giving (1); Illustration: Jens C. Friedrich

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