Haptische Werbung kann viel: Sie sorgt für Markenpräsenz, emotionalisiert Botschaften, macht abstrakte Werte greifbar, erfreut sich bei werbenden Unternehmen wie Zielgruppen hoher Beliebtheit und erzielt unvergleichlich hohe Recall-Werte. Dennoch wird ihr im Marketing und in Agenturen oft nicht dieselbe Awareness entgegengebracht wie klassischen Disziplinen oder den scheinbar omnipräsenten Online-Werbeformen. Wie ist es anno 2022 – nach zwei Corona-Jahren – um das Image haptischer Werbung bestellt? Darüber diskutierten im letzten WA Media-Talk (auch als Video abrufbar auf HAPTICA®//ONLINE) die WA Media-Redakteure Till Barth und Dr. Mischa Delbrouck mit den Experten Tobias Bartenbach (Bartenbach Werbemittel), Steven Baumgärtner (cyber-Wear), Olaf Hartmann (Touchmore) und Heike Lübeck (mypromo.com).

Slider WA Talk WN419 965x355 - „Wir machen andere Kanäle wirksamer“

2,65 Mrd. Euro, so der GWW (Gesamtverband der Werbeartikel-Wirtschaft), wurden 2021 von deutschen Unternehmen in haptische Werbung investiert. Das sind rund 27,5% weniger als in Vor-Corona-Jahren und trotzdem noch deutlich mehr als für Außen-, Kino- und Radiowerbung zusammen. Taugen diese Zahlen als Beleg für den Stellenwert der gegenständlichen Werbeform oder hat ihr Image mangels Einsatzmöglichkeiten in der Corona-Krise gelitten?

Steven Baumgärtner: Wir haben uns in unserer Ausrichtung sehr stark auf Konzerne konzentriert, und dort ist haptische Werbung schon ein integraler Bestandteil des Marketings. In Zeiten wegfallender Messen und Events ist sie es vielleicht ein bisschen weniger, dafür kommt sie pandemiebedingt und angesichts immer schwieriger zu findender Mitarbeiter mehr im Recruiting- und im HR-Bereich zum Einsatz. Richtung Jahresende waren auch Dankeboxen und kleine Goodies sehr intensiv gefragt, um die Zeit im Homeoffice schmackhafter und die Marke erlebbarer zu machen. In mittelständischen und kleinen Unternehmen werden Werbeartikel dagegen sicherlich zu den ersten Budgets gehören, die im Zweifelsfall gekappt werden. Da sind der Kugelschreiber, die Käppi oder das Lanyard nicht mehr ganz so wichtig, zumal auch Messen, Events und Kundenbesuche, auf denen man all diese Dinge einsetzen kann, fehlen.

Tobias Bartenbach: Wir haben durch die COVID-Krise gelernt, dass es in der Kommunikation oder im Wirtschaftsleben immer auch Sieger und Verlierer gibt, und es hat ganz klar auch Branchen gegeben, die innerhalb der letzten zwei Jahre Boden und Markt gut gemacht haben. Bei denen sieht man auch, dass die Haptik im Marketingmix eingesetzt wird.


Olaf Hartmann:
Es gab ein sehr heterogenes Bild in der Corona-Krise. Zunächst war eine Schockstarre zu spüren, und natürlich suchen KMUs als erstes nach Streichposten, um Geld zu sparen. Konzerne reagieren da langsamer und bedächtiger. Insbesondere haben sie durch ihre Unternehmensgeschichte häufig auch schon Krisenerfahrung und wissen, was dann passiert. Bei Unternehmen wie Procter & Gamble gehört es zum klassischen Playbook, in der Krise die Werbeausgaben sogar noch zu erhöhen, weil sie wissen, dass sie dadurch in dem gesunkenen Geräuschpegel für ihre Marken sehr viel Gutes bewirken können, um dann, wenn die Krise vorbei ist, im Mindset der Zielgruppen noch besser verfügbar zu sein. In diesem Fall waren ja gerade die Konsumgüterhersteller die Profiteure der Krise, Supermärkte sind gelaufen wie noch nie, auch die Finanzdienstleistungsbranche war wenig betroffen von der Krise, außer in der Form, dass persönliche Beratungsgespräche weniger stattgefunden haben. Da haben dann solche Dinge wie haptische Verkaufshilfen, Kontakt- und Ansprachehilfen natürlich einen kleineren Markt.

Tobias Bartenbach: Die Kontaktketten waren in den letzten zwei Jahren natürlich das Problem. Ein FMCG-Anbieter kann am POS seine Kontaktkette weiterhin spielen, ein B2B-Anwender, dessen Kunden zu 99% im Homeoffice sind und deren Adressen er aus Datenschutzgründen nicht kennt, hat keine Kontaktkette mehr, zumal ja auch Messen und Events weggefallen sind. Deswegen sind diese Customer Journeys so entscheidend: Wo erreiche ich die Zielgruppe? Und wie kann ich haptische Werbung als Verstärker einsetzen?

Olaf Hartmann: Gerade im B2B-Bereich, wo der Geräuschpegel so niedrig und die konkrete Erfahrung der Begegnung mit dem Verkäufer nicht vorhanden ist, hat die haptische Werbung in Form von Mailingverstärkern oder Danke-Paketen eine ganz wichtige Rolle übernommen, weil sie Präsenz schafft für die Marke. Marken leben ja vom Vertrauen. Und Vertrauen kommt auch von Vertrautheit. Und wenn man einen Gegenstand, der jeden Tag die Marke kommuniziert, im Umfeld der Zielgruppe platziert, passiert auf der unbewussten Ebene sehr viel: Es werden Gedächtnisspuren kreiert, die es mir dann, wenn ich später in einer Bedürfnissituation bin, leichter machen, an die entsprechende Marke oder den Anbieter zu denken.

Mal unabhängig von der Corona-Krise: Ist in den letzten Jahren das Bewusstsein für die Bedeutung haptischer Werbung im Marketing der werbetreibenden Industrie gestiegen?

Tobias Bartenbach: Die klassische Marketingantwort lautet immer: Es kommt darauf an. Pauschalierte Antworten auf die Frage nach dem Image einer Marketingdisziplin kann man eigentlich nicht geben, weil Kommunikation und Marketing immer individueller werden.

Olaf Hartmann: Es ist richtig, man kann nicht pauschal sagen „Jetzt setzen wir auf haptische Werbung“, denn die haptische Werbung ist ja kein Kanal an sich, den man wie Fernsehen oder Radio buchen kann, sondern sie wird in vielen unterschiedlichen Kontexten eingesetzt und fungiert immer wie ein Wirkverstärker. Ich beobachte, dass gerade die Online- Player jetzt sehr stark nach alternativen Kontaktmöglichkeiten suchen, weil sie mit ihren reinen Digitalstrategien einfach nicht mehr wachsen, sie aber ihren Venture Capital- Gebern weiterhin Wachstum zeigen müssen. Dieser digitale Rausch, bei dem die Antwort immer lautete „digital“, egal, was die Frage war, ist vorbei. Facebook hat behauptet: „Das Ende der klassischen Werbung ist da. Die Leute werden nur noch auf Augenhöhe mit Marken Gespräche führen“. Doch das ist überhaupt nicht eingetreten, weil Marken auch viel zu unwichtig sind im Leben der Menschen. Procter & Gamble hat 100 Mio. US-Dollar seiner Digital Spendings abgezogen und ein halbes Jahr lang gemessen, was am Point of Sale und was mit ihren Brand-KPIs passiert. Und das Ergebnis war: nichts. Dann öffnete sich auch der Blick, was es für andere Kanäle gibt, und da ist nach wie vor die Haptik extrem wirkungsvoll.

Es ist lustig, wenn man bestimmte traditionelle Kommunikationsformen in einer Sprache beschreibt, die aus diesem Digitalbereich kommt. „Ich habe hier ein Medium, was 80% Öffnungsrate hat, 100% Engagement und bis zu 40% Response erzeugt. Ist das nicht toll, ist das nicht eine geile Mediaplattform? Und was ist das? Ein klassischer Brief. Da wurde in der Vergangenheit viel mit Buzzwords gearbeitet und dadurch viel Budget angezogen. Das hatte auch Auswirkungen auf die haptische Werbung, dass man dachte, man braucht die nicht mehr. Aber jetzt merken immer mehr Firmen, dass sie sie eben doch brauchen, da ihre Kontaktketten weniger effizient geworden sind. Haptische Werbung punktet bei der Intensität des Kontakts. Sie lädt den Kontakt enorm auf, sowohl sensorisch als auch bezogen auf das Erlebnis mit dem Objekt. Die Materialität der haptischen Werbung strahlt enorm auf das Image des werbenden Unternehmens ab. Das erzwingt einen Trend zur Qualität. Wenn man das verstanden hat, verbietet es sich eigentlich, billige Produkte einzusetzen, die sich auch billig anfühlen, weil genau dieser Abstrahleffekt der Marke enorm schaden würde.

Tobias Bartenbach, Bartenbach Werbemittel

„Wenn die Haptik richtig eingebunden ist in eine Kampagne, kann sie Geschichten verstärken, fortsetzen und auch erzählen. Man kann damit auch Conversion schaffen. Aber diese Messebarkeit, integriert in crossmediale Kampagnen, die muss kommen.“

Heike Lübeck: Damit schlagen wir die Brücke zum Internet. Wer hat denn Erfolg auf z.B. Instagram? Das sind ja nicht die 08/15-Artikel, sondern es sind Dinge, die Leute persönlich betreffen, hochwertige Marken, das Thema Nachhaltigkeit … Immer dann, wenn es persönlich wird, wenn ich Dinge anfassen kann, wenn es Bezug zu mir selbst hat und gleichzeitig als Marke glaubwürdig ist, dann funktioniert Marketing, dann funktioniert Online-Marketing, dann funktioniert aber auch der klassische Werbeartikel.

Steven Baumgärtner: Ich glaube, dass die digitale Welt der haptischen Welt auch etwas Gutes tut: Jedem digitalen Content folgt mittlerweile ein haptischer Content. Die Influencer leben heute von haptischen Produkten, von Merchandise. Merchandise ist ein großes Wachstumsthema der letzten Jahre. Vor 30 Jahren steckte selbst der FC Bayern noch in den Kinderschuhen, was das Thema Merchandising anging – da gab’s im Zweifel ein Trikot, einen Schal, und das war’s. Mittlerweile macht jeder große Konzern Merchandise, und da geht alles über Qualität. Da wird mit Heerscharen von Mitarbeitern – teilweise in eigenen GmbHs – das Merchandise und damit natürlich auch die Marke weiterentwickelt. Da geht es um die qualitative und langlebige Wahrnehmung der Marke. Selbst kleine Unternehmen machen lieber bewusst weniger, dafür aber hochwertige Sachen mit einem dezenten Branding. Die Haptik hat eine ganz andere Wahrnehmung mittlerweile. Wir investieren mehr denn je in die Entwicklung von guten Werbeartikeln, auch runtergebrochen aufs einzelne Lanyard. Wir machen wirklich gute Sachen, sehr bewusst, und sprechen mit unseren Kunden viel über die Themen Langlebigkeit, Qualität und Wahrnehmung und fordern sie auch auf, die Produkte im Vorfeld zu testen.

Olaf Hartmann: Mit Euren Kollektionen schafft ihr ja auch echte Objects of Desire. Und das ist ja am Ende das Ziel jedes Marketingverantwortlichen. Wir müssen von diesen Zielen her argumentieren und erklären, wie unser Medium in diese Ziele hineinpasst. Haptik ist ja auch nur ein Aspekt des Objekts, das in seiner Gesamtheit eine multisensorische Erfahrung bietet. Das multisensorische Marketing rückt jetzt viel stärker in den Fokus, weil Marken wie Mastercard ihre ganze Markenkommunikation multisensorisch aufladen und damit enormen Erfolg haben. Mastercard hat die Marke sogar essbar gemacht. Es gibt zwei eigene Macaron-Sorten, die dann „Optimism“ und „Energy“ verkörpern, so wird die Marke auf Events gustatorisch inszeniert. Und Marken, die das tun, sind einfach messbar erfolgreicher. Wir sollten daher auf dieser qualitativen Ebene argumentieren, die Art des Kontakts, die wir kreieren, hat eine ganz andere Qualität. Jeder Kanal färbt ja auch auf die Botschaft ab, die ich über den Kanal empfange. Wenn das nicht so wäre, dann wäre es egal, ob ich meine Zielgruppe an der Autobahnraststätte in Bruchsal erreiche oder in der Champagner-Bar im Adlon. Und in diesem Vergleich ist die haptische Werbung die Champagner-Bar, weil sie uns multisensorisch involviert. Wir gehen mit den Produkten um, spüren den Stoff auf unserer Haut, lassen die Marke körperlich an uns ran. Dass das ein anderer Aspekt ist, als wenn ich mal ein kurzes Geflimmer auf dem Bildschirm sehe, ist relativ schnell verstanden.

Tobias Bartenbach: Noch eine etwas ketzerische Bemerkung: Warum müssen wir immer von „Werbeartikeln“ sprechen? Allein dieses Wort „Artikel“ ist so angestaubt und hat dieses Image: „Ah ja, das ist ein Kugelschreiber.“ Wenn ein Unternehmen sich mit Kommunikation beschäftigt, dann spricht es heute von „Sound Logo“ oder „Sound Branding“, und wir sprechen von „Werbeartikeln“. Dass wir da einfach nicht in diese Liga reinkommen, versteht sich von selbst. Hier muss die Branche tatsächlich mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen.

Olaf Hartmann: Das stimmt schon. Andere haben „Assets“, wir haben „Giveaways“, also Sachen, die man schnell loswerden will. Wenn wir stattdessen von „Haptic Assets“ oder „Hapticals“ reden, macht das einen ganz anderen Frame auf, dann reden wir eben über haptische Kommunikationsinstrumente oder Brand Touchpoints.

Nun gibt es ja einige Studien wie z.B. die Werbewirkungsstudie des GWW und ähnliche Erhebungen in Europa, die stichhaltige Argumente und Belege für die Power haptischer Werbung liefern. Sind die hilfreich?

Tobias Bartenbach: Wir sprechen bei jeder Präsentation die Werbewirkungsstudie an und zeigen die Ergebnisse. Für viele Marketingentscheider ist das sehr interessant, die wussten das aber gar nicht, die Bekanntheit der Studien tendiert gegen Null. Wir haben Cases und Erfolgsstorys, aber in denen müssen wir auch die KPIs und die Wirkung der Haptik, die ja anders eingesetzt wird als digitale Medien, mehr messen. Messbarkeit wird immer mehr im Marketing als Controlling-Instrument herangeführt. Wer eine Google-Anzeige oder ein Display-Ad schaltet und damit Reichweite gewinnen will, hat seine Messbarkeit. Das fehlt in der Haptik.

Olaf Hartmann: Man muss ja verstehen: Die Marketingentscheider wollen eigentlich kein Objekt kaufen, keine haptische Werbung. Sie wollen keinen Kapuzenpulli, keine Kappe etc. Was sie eigentlich kaufen wollen, ist ja den dahinterliegenden Effekt: Loyalisierung oder Awareness oder – aus meiner Sicht ein Killerargument für die Haptik – Glaubwürdigkeit. Die Haptik ist unser Wahrheitssinn. Auch wenn es haptische Illusionen wie z.B. Phantomschmerz gibt, ist unser Alltag nicht davon geprägt: Wir sind nicht daran gewöhnt, dass uns die Haptik in irgendeiner Weise täuscht. Das heißt, wenn ich einen Nutzen, der ja teilweise bei Marken auch sehr abstrakt ist, spürbar, also wirklich haptisch erlebbar mache, dann erzeuge ich eine ganz andere Gedächtniswirkung bezogen auf diese Marke. Dann geht das um den ganzen Werbefilter in unserem Gehirn herum und verankert die Marke direkt mit einem Begriff wie z.B. Flexibilität. Und das ist ja genau das, was sich Marken wünschen, dass sie mit bestimmten Nutzenversprechen, die kauftreibend sind, verbunden werden.

Auf dieser Dimension kann die haptische Werbung enorm viel leisten. Das wird aber von den bisherigen Studien nicht so dargestellt. Da wird u.a. mit der Reichweite argumentiert, dabei kann man diese Reichweite mit haptischer Werbung eben nicht buchen. Was ich wirklich nachweisen kann, ist diese qualitative Wirkung. Da sollte aus meiner Sicht mehr passieren, denn wir leben im Zeitalter der Rechtfertigung, d.h. jede Investition muss sich bezogen auf die Ziele des Unternehmens rechtfertigen. Wir müssen uns anschlussfähiger machen an die Diskussion rund um Media, z.B. den Mediawert eines Artikels mal auszurechnen, die Kontaktzeit, die Kontaktmenge. Dann stellt sich auch heraus, dass der hochwertige Artikel überhaupt nicht teuer ist, sondern extrem günstig, weil keine anderen Maßnahmen diese Art von Markenawareness mit diesen Mitteln erreichen.

Heike Lübeck: Es gibt ja den EWE-(Etat-Werbemittel-Effizienz)-Vergleich, der ist gerade einmal anderthalb Jahre alt, wo den Werbeartikeln mit die größte Zielgruppengenauigkeit zugespielt wird. Und bei Parametern wie Wirkungsdauer, Nutzungshäufigkeit und Emotionalität erreicht der Werbeartikel absolute Spitzenwerte. Das sind glasklare Zahlen, die vorliegen, die den Werbeartikel in puncto Effizienz und Effektivität mit anderen Werbeformen vergleichbar machen. Ich glaube jedoch, diese Zahlen kennt und kommuniziert fast niemand.

Präsenz schaffen, Glaubwürdigkeit vermitteln … Was sind weitere wichtige Dimensionen, in denen die haptische Werbung punktet?

Tobias Bartenbach: Storytelling: Wenn die Haptik richtig eingebunden ist in eine Kampagne, kann sie Geschichten verstärken, fortsetzen und auch erzählen. Man kann damit auch Conversion schaffen. Aber diese Messbarkeit, integriert in crossmediale Kampagnen, die muss kommen. Es gibt ausreichend Beispiele, die müssen wir als Branche nach vorne stellen, um immer mehr Marketingentscheider für uns zu gewinnen. Viele Konzerne haben das Thema Haptik schon auf der Uhr, sie müssen es allerdings in ihren Briefings und in ihren Marketingaktionen viel früher im Kopf haben, damit es auch sinnvoll eingebunden werden kann.

Steven Baumgärtner, cyber-Wear

„Wir sprechen immer davon, dass wir erlebbare Produkte entwickeln, dass wir Marken erlebbar machen, aber wir selbst sind überhaupt nicht erlebbar, treten als Unternehmen oft völlig unemotional auf. Als Gesamtbranche underperformen wir.“

Steven Baumgärtner: Das ist der wichtigste Aspekt: Tatsächlich poppt der Werbeartikel oftmals ganz am Ende noch auf, wenn wieder aufgefallen ist, dass man die Lanyards noch nicht bestellt hat. Wenn keine Zeit da ist, leidet auch das Thema Qualität, dann sieht der Druck vielleicht gruselig aus und man hat genau den Effekt, den man nicht haben will. Haptische Werbemittel sind dann gut, wenn man sie gut einsetzt und wenn man den Kunden gut berät. Dann werden sie auch bei den meisten Unternehmen niemals wegfallen, denn es will sie ja auch jeder haben. Jeder möchte coole Produkte habe, und dieses „Haben wollen“ ist ein ganz klarer Vorzug unserer Werbeform. Das kann kein digitaler Content.

Ein YouTube-Video guckt man sich vielleicht noch ein zweites oder drittes Mal mit Freunden an, dann ist das Thema durch. Dann kann man es nochmal liken, dann hat man aber auch seine digitale Schuldigkeit getan. Ein guter Werbe- oder Merchandise-Artikel ist dagegen fortwährend da. Das machen z.B. viele große Hotelketten schlecht, dass sie bei den Kugelschreibern den billigsten – Entschuldigung – Rotz wählen, den man nehmen kann, der dann im Hotel auch liegen bleibt. Das ist die schlechteste Werbung, die man machen kann. Dabei ist das so eine banale Sache. Jedes Hotel sollte eigentlich froh sein, wenn die Gäste einen guten Kugelschreiber mitnehmen: Der erinnert sie auch noch ein Jahr später, wenn sie wieder auf der Suche nach einem Hotel sind.

Olaf Hartmann: Es gibt da einen großartigen Ted Talk mit Rory Sutherland, Vice Chairman von Ogilvy, da beschreibt er, wie er bei Virgin Atlantic in der ersten Klasse fliegt und es dort Salz- und Pfefferstreuer als kleine, knuffige versilberte Flugzeuge gibt. Das erste, was man denkt: „Oh, das passt ja noch gut in meine Tasche.“ Und dann guckt man von unten auf das Flugzeug drauf: Und da steht „Stolen from First Class Virgin Atlantic“. Diese Emotionalität – das vergisst niemand mehr. Der Mensch neigt auch zu magischem Denken: Wir geben Objekten immer gerne Bedeutung. Das kennt jeder aus dem Urlaub, wenn er drei Wochen in Italien ist und sich irgendeine Muschel sucht, die diese komplexe Erfahrung „Urlaub in Italien“ in diese eine Muschel destilliert. Und jedes Mal, wenn man diese Muschel anschaut, ist man mental wieder in Italien. Das kann kein anderes Medium so leisten wie haptische Werbung.

Es ist sicher nicht sinnvoll, den Werbeartikel als Rivalen zum Online-Marketing zu sehen. Trotzdem scheint in der Branche eine gewisse Scheu vor den digitalen Medien vorhanden zu sein. Was sind Ihre Erfahrungen bei der Selbstvermarktung der Branche im Internet?

Heika Lübeck: Bei Werbeartikeln, die in Kampagnen eingebunden sind, die in Richtung Sonderartikel gehen, steht die Beratung im Vordergrund, das lässt sich online nicht so darstellen. Andere Artikel kann man sehr wohl gut online verkaufen. Dazu gehören aber gute Artikeldaten, bei denen Artikeltexte und Produktfotos so aufbereitet sind, dass auch der haptische Wert deutlich wird. Ganz oft beziehen sich die Beschreibungen auf die Wattzahl oder die Größe, aber nicht darauf, was das Besondere an dem Artikel ist, warum er für mich wirbt, warum er für mich wirkt. Diesen Schritt müssen wir online schaffen.

Olaf Hartmann: Andersrum gibt es auch Artikel, die die crossmediale Brücke in digitale Angebote bauen. Die Haptik ist ja extrem aktivierend und hat als Sprungbrett in die digitale Lead-Strecke einen Riesenmarkt, sei es über Augmented Reality, über NFC-Chips oder über QR-Codes, die ja eigentlich schon tot waren, aber durch Corona plötzlich von der Bevölkerung wieder gewohnt sind und eine ganz andere Response haben als noch in der Vergangenheit.

Was kann die Branche tun, um die Argumente für die haptische Werbung besser hörbar zu machen?

Steven Baumgärtner: Wir machen einen großen Fehler als Branche. Wir sprechen immer davon, dass wir erlebbare Produkte entwickeln, dass wir Marken erlebbar machen, aber wir selbst sind überhaupt nicht erlebbar, treten als Unternehmen oft völlig unemotional auf. Ich übertreibe mal: Einen Katalog rausschicken, und das war’s dann, das reicht heute nicht mehr. Du musst sichtbar sein, du musst präsent sein, du musst die Kunden an dich ran lassen, du musst sie selber mit auf deine Reise nehmen, schildern, was dich bewegt als Unternehmen. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, für unsere Kunden erlebbar zu sein, Case Studies zu entwickeln, fingierte Marken zu kreieren, um zu zeigen, was man alles machen kann. Als Gesamtbranche underperformen wir allzu oft – dann ist man auch schnell bei Messen, aber das ist wieder ein anderes Thema.

Wenn du die Kunden an dich ranlässt, dann kommst du auch in den Dialog. Und wir müssen über den Dialog verkaufen. Spätestens jetzt in diesen sehr kommunikationsintensiven Zeiten ist eine Nähe zum Kunden einfach unabdingbar. Ohne die Nähe zum Kunden machst du momentan kein Geschäft. Was mich ärgert: Es gibt viele tolle Unternehmen in der Branche, aber in der Summe fliegen wir immer noch unterhalb des Radars. Dabei wird man doch Unternehmer, weil man eine Vision hat, weil man, an dem, was man tut, Spaß hat, sonst könnte man ja auch in einem Konzern arbeiten gehen und hätte sein sicheres Auskommen. Und dann ist der Auftritt oft so unemotional. Das finde ich schade.

Immer wieder ist die Rede davon, dass wir Best Practices brauchen, oftmals wird dann aber mit Verweis auf schwierige Kunden oder mögliche Wettbewerber, die einen kopieren oder einem die Kunden abspenstig machen könnten, auf eine Veröffentlichung verzichtet. Ist die Branche teilweise zu ängstlich?

Olaf Hartmann: Das denke ich schon. Und dann liegt natürlich auch eine Schwierigkeit im Medium an sich. Bei einem Mailing kann man Responsequoten mit und ohne Hapticals messen, und die sind dann auch bei günstigen Hapticals oft bis zu fünf- oder zehnfach höher als ohne Hapticals. Aber diese ganzen anderen Effekte – diese Imagefaktoren etc. – sind halt schwerer messbar. Man kann sich trotzdem darum bemühen, z.B. erfassen, wie die Qualitätswahrnehmung einer Marke bei einem Recruiting-Gespräch mit einem Haptical steigt im Vergleich zu einem Recruiting-Gespräch ohne Haptical.

Steven Baumgärtner: Ich glaube, Angst ist in der Branche ein ganz großes Thema. Wir haben ja alles andere als Angst, sind proaktiv unterwegs, um zu zeigen – auch wertgeschätzten Kollegen –, was alles machbar ist, und eine Wahrnehmung in der großen Breite zu erzeugen, die der Branche auch gerecht wird. Nur gilt auch da: Mit ein paar Gummibärchen beim Kunden aufzuschlagen und die Haptik wortwörtlich abzufrühstücken – das reicht nicht mehr. Lass den Entscheider doch ein Mailing mit einem haptischen Verstärker auspacken, dann kann er den Unterschied zu einem Mailing ohne haptisches Produkt direkt erleben. Es wird viel diskutiert, und es werden die Vorteile einzelner Produkte aufgezeigt, aber damit bekommt man niemanden. Man bekommt die Leute mit diesem Selber-Erleben-Dürfen.

Olaf Hartmann, Touchmore

„Es macht einen Unterschied, ob ich meine Zielgruppe an der Autobahnraststätte in Bruchsal erreiche oder in der Champagner-Bar im Adlon. Und in diesem Vergleich ist die haptische Werbung die Champagner-Bar, weil sie uns multisensorisch involviert.“

Heike Lübeck: Agenturen sind Marken. Wenn Unternehmen pitchen, kaufen sie nicht nur das Werbekonzept ein, sondern hintendran ein Agenturkonzept, wofür die Agentur steht, welche Werte sie lebt etc. Das gibt es im Werbeartikelbereich ganz selten. Natürlich brauchen wir die persönliche Nähe, um verkaufen zu können. Aber diese Nähe entsteht eben auch durch einen Marken-Trust als Firma, den ich mir als Firma aufbaue. Warum ist Flyeralarm so erfolgreich im Werbeartikelmarkt? Weil sie diesen Marken-Trust haben. Sie machen das, was sie machen, gut, halten ihre Versprechen ein und haben es geschafft, genau das in die Werbeartikelwelt zu übertragen. Jeder Anbieter sollte auch eine Markenbildung anstreben und in den Markt transportieren, aber das machen wir wirklich viel zu selten.

Tobias Bartenbach: Der Schuster trägt die schlechtesten Schuhe. Wenn ich mich als Unternehmen nicht selbst positioniere und weiß, was ich kann und was ich nicht kann, wird’s schon schwierig. Dann wird man als Lieferant Nr. NN abgestempelt. Das darf‘s ja nicht sein. Um nochmal auf die Case Studies zurückzukommen: Wir brauchen die. Die Agenturbranche hat z.B. den Effie, der Kampagnen auszeichnet, die eine besonders hohe Effizienz haben, nicht weil sie cool oder emotional sind, sondern weil sie etwas gebracht haben. Ich denke, das könnte es auch für die Haptik geben. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten.

Steven Baumgärtner: Die gibt es ja. Im Rahmen des PSI Sustainability Awards gibt es z.B. die Campaign of the Year. Aber entscheidend ist, was da jedes Jahr nicht rein kommt. Ich glaube, wir hatten dieses zwei Einreichungen. Die Kategorie ist also fast nicht bewertbar und wenn man bedenkt, dass der Award europaweit ausgerichtet ist, ist das erbärmlich. Ich glaube nicht, dass dies immer daran liegt, dass die kampagnenführenden Unternehmen das nicht möchten, sondern es wäre auch an den Beratern, die Frage zu stellen, ob man das einreichen will, und aufzuzeigen, welche Perspektive es haben könnte. Wir denken oft zu kurzfristig, sind zu projektgetrieben, anstatt auch einmal einen strategischen Plan aufzustellen.

Für cyber-Wear sind Campaigns ein Riesenthema. Wir haben ja auch beim Promotional Gift Award dieses Jahr mit drei Kampagnen gewinnen dürfen. Für uns ist das cool, ein Produkt zu entwickeln, das als integraler Bestandteil von einer großen Kampagne eingesetzt wurde, und damit auch einen Leuchtturm in der Branche darzustellen, um zu zeigen, wie toll das eigentlich ist, womit wir uns den ganzen Tag beschäftigen. Es geht auch darum, ab und zu mal über den Tellerrand zu schauen, zu beobachten, was andere machen ohne quasi abzuspicken wie in der Schule, zu kopieren und sich dabei auch ein bisschen schäbig zu fühlen, sondern um zu lernen. Wir z.B. analysieren unsere Wettbewerber im positiven Sinne. Da haben wir einen unheimlichen Antrieb, übers Lernen besser werden zu wollen.

Olaf Hartmann: Das finde ich einen ganz wichtigen Punkt, auch in der Branche so eine Art Fortbildungskultur zu etablieren. Man muss wissen, was Marke ausmacht, um die Probleme der Marketingentscheider tiefgreifend zu verstehen, man muss auch die Probleme der anderen Kanäle kennen. Da braucht es den Willen, sich fortzubilden und sich damit zu beschäftigen, angefangen vom Markt bis hin zur Theorie. Wir können ja mal fragen, wer in der Branche eigentlich den Effekt der multisensorischen Verstärkung erklären kann. Ich denke, dass das nicht so viele sind.

Heike Lübeck: Wenn wir über das Thema Weiterbildung reden, müssen wir Werbeartikel auch viel mehr als integralen Bestandteil von multimedialen Kampagnen begreifen. Auch ein Mailing mit Werbeartikel ist wieder nur Teil einer großen, umfassenden Kampagne. Alles wird kleinteiliger und spezieller, aber das ist ja genau das, wo der Werbeartikel punkten kann, wenn man ihn eben nicht einfach wahllos in großer Menge einfach nur streut und hofft, dass schon irgendetwas passieren wird, sondern ihn ausgerichtet auf die Zielgruppe einsetzen kann. Das setzt aber auch gerade heute, da sich die Medien unglaublich schnell verändern und auch die Mediennutzungsgewohnheiten, voraus, dass auch der klassische Werbeartikelberater eine steile Lernkurve gehen muss, um da mithalten zu können. Er muss ganz schnell weg vom Beschaffer zu einem echten Marketingberater. Aber das ist schwierig.

Olaf Hartmann: Da können Verbände eine wichtige Rolle übernehmen, indem sie z.B. das scannen, was sich gerade im Markt bewegt, und Wege aufzeigen, wie man das anschlussfähig an die haptische Werbung machen kann. Aber es ist schon richtig: Da den Überblick zu behalten ist schon ein schweres Brett.

Fortbildung ist ein in die Zukunft weisendes Thema. Was wäre denn Ihre Prognose für die nahe Zukunft: Wird sich die haptische Werbung weiter im Marketing-Mix etablieren und an Bedeutung gewinnen, trotz aller Probleme?

Steven Baumgärtner: Ich glaube schon, dass wir auf einem guten Weg sind. Dadurch, dass selbst in kleinsten Unternehmen spürbar ist, dass sie wirklich auf Qualität setzen, auf Usability, auf Langlebigkeit, auf Marke – Marke mit Marke z.B. ist ein Riesenthema – wird auch wieder mehr Wertigkeit transportiert. Auch im Kontext der Nachhaltigkeit hat die Branche in den letzten zwei, drei Jahren Riesenschritte gemacht. Vor drei Jahren war Nachhaltigkeit ein Thema, dass man machen kann, aber nicht muss. Und bei den Einkäufern wurde es erst unbedingt gefordert, war dann aber beim Preis schon nicht mehr so wichtig, da hat man sie hinten runterfallen lassen. Mittlerweile ist es eher so, dass die schlechtere Alternative, also die, die nicht nachhaltig ist, in den Ausschreibungen und in den Anfragen gar nicht mehr mit dabei ist. Das ist ein Riesenschritt in die richtige Richtung.

Tobias Bartenbach: Die Intelligenz, haptische Werbung einzusetzen, nimmt zu. Die Auflagen werden kleiner, dafür gezielter. Die Qualität nimmt zu, und es gibt ausreichend Erfolgsstorys. Diese müssen wir in der Branche identifizieren und nach vorne stellen. Dazu müssen wir uns gegenseitig auch besser austauschen. Und dann kommt man eben nicht zum Kunden, um ihm das vermeintlich beste Produkt zu präsentieren, sondern um ihm zu zeigen, wie es einsetzbar ist oder wie er haptische Werbung digitalisieren kann, welchen Content man über diese haptischen Werbeträger spielen und wie man diesen Content langfristig nutzen kann. Das sind ausreichend Ansatzpunkte, um in den nächsten Jahren die haptische Kommunikation nach vorne zu bringen. Ich bin da auf jeden Fall sehr optimistisch.

Heike Lübeck, mypromo.com

„Werbeartikel haben USPs, die kein anderes Werbemedium übernehmen kann. Und genau diese USPs – diese Emotionalität, dieses Involvement – sind gerade sehr gefragt.“

Heike Lübeck: Werbeartikel haben USPs, die kein anderes Werbemedium übernehmen kann. Und genau diese USPs – diese Emotionalität, dieses Involvement – sind gerade sehr gefragt. Wenn die Branche diesen Nutzen in den Vordergrund stellt, dann wird der Werbeartikel wieder definitiv im Vor-Corona- Glanz und noch mehr erstrahlen.

Olaf Hartmann: Es gibt eine Parallele zum totgesagten Bereich Print, in der Kanäle wie die Bild, die ein reines Reichweitenmedium ist, an Bedeutung verlieren, während die Zeit, ein Qualitätsmedium mit einer enormen Tiefe, bei Rekordauflagen angekommen ist. Eine ähnliche Entwicklung werden wir in unserem Bereich haben. Zudem tut uns die Digitalisierung gut. Denn nach dem digitalen Rausch spüren die Menschen nun so eine digitale Erschöpfung. Es gibt wieder eine Sehnsucht nach realem Erleben. Der amerikanische Autor David Sax hat mal ein schönes Buch darüber geschrieben: Die Rache des Analogen. Analoge Medien sind einfach auch gehirngerechter und entsprechen uns, sie sind menschlicher. Wir verbinden uns mit Objekten ganz anders als mit einem Flimmern auf dem Bildschirm.

Ein letzter Punkt: In einer Untersuchung wurden über 3.200 Kampagnen in sieben verschiedenen Branchen über fünf Jahre getrackt. Und da gab es ein ganz eindeutiges Ergebnis: Je mehr Kanäle bespielt werden, desto effektiver sind Kampagnen. Da können wir uns wunderbar als Kampagnen- Dopingmittel positionieren. Wir machen Kampagnen, Aktionen, Kommunikation und den Verkauf erfolgreicher. Das können wir mit breiter Brust behaupten, weil wir das auch einlösen können

www.haptica.online

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